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Bürger sollen sich erklären

ORGANSPENDE Steinmeier und Kauder treiben gemeinsam Änderung des Transplantationsgesetzes voran

04.07.2011
2023-08-30T12:16:45.7200Z
4 Min

Es kommt nicht oft vor, dass sich Fraktionsvorsitzende persönlich in die parlamentarische Kärrnerarbeit der Fachausschüsse einschalten; sind sie doch in der Regel für das Große und Ganze zuständig. Mit Volker Kauder (CDU), Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Gregor Gysi (Die Linke) nahmen am vergangenen Mittwoch gleich drei Fraktionschefs aktiv an einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses teil. Der vierstündigen Sitzung lag - auch das ist eher selten - kein Gesetzentwurf oder Antrag zugrunde. Das Thema der also in verschiedener Hinsicht außergewöhnlichen Veranstaltung lautete: "Ethische und rechtliche Aspekte von Organspenden".

Den Fraktionsvorsitzenden wie der überwiegenden Mehrzahl der angehörten Sachverständigen geht es darum, die Zahl derjenigen zu erhöhen, die nach ihrem Tod ihre Organe spenden, um anderen Menschen weitere Lebensjahre zu ermöglichen. "Es sterben jährlich mehr als 1.000 Menschen, die leben könnten, wenn genug Organe zur Verfügung stünden", sagte Steinmeier am Rande der Sitzung. Der SPD-Politiker hat selbst seiner Frau eine Niere gespendet und damit die Diskussion über das Thema Organspende beflügelt.

Zu wenige Spender

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) warten derzeit rund 12.000 schwer erkrankte Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Drei von ihnen stürben pro Tag, weil es nicht ausreichend Organspender gibt. Deutschland liegt laut DSO bei der Spendenbereitschaft im EU-Vergleich auf den hinteren Rängen. Um das zu ändern, plädieren Steinmeier und Kauder dafür, das Transplantationsgesetz (TPG) von 1997 zu novellieren. Zurzeit gilt eine erweiterte Zustimmungslösung. Danach dürfen einem Menschen nur dann Organe entnommen werden, wenn er sein Einverständnis vor seinem Tod in einem Organspendeausweis festgehalten hat oder seine Angehörigen einer Organentnahme nach seinem Tod zustimmen. Mit einer gemeinsamen Initiative wollen Steinmeier und Kauder diese Regelung durch eine sogenannte Entscheidungslösung ersetzen. Diese sieht vor, jeden Bürger zu seiner Organspendebereitschaft zu befragen und seine Entscheidung - etwa im Personalausweis oder in einem öffentlichen Register - zu dokumentieren. Nach der Sommerpause wollen Kauder und Steinmeier einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf vorlegen, das geänderte TPG könnte Anfang 2012 in Kraft treten.

Bis dahin sind noch viele Fragen zu klären, beispielsweise die, die Gysi in der Anhörung aufwarf: Reiche es, wenn die Bürger einmal in ihrem Leben nach ihrer Organspendebereitschaft gefragt werden, oder müsse dies alle zehn Jahre bei der Beantragung eines neuen Personalausweises geschehen?

Grundsätzlich erhielten Kauder und Steinmeier jedoch seitens der Sachverständigen viel Zustimmung, etwa vom ärztlichen Direktor des Universitätsklinikums Essen, Eckhard Nagel, und dem früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber. Im Todesfall eines Patienten müssten heute schon die Angehörigen befragt werden, ob dieser als Spender infrage kommt, sagte Nagel. Die Angehörigen könnten sich "nicht vor einer Entscheidung drücken". Deshalb sei es folgerichtig, dass jeder zu Lebzeiten selbst mit einer solchen Entscheidung konfrontiert wird, fügte der Professor hinzu.

Huber sagte, es gebe eine "ethische Entscheidungspflicht" jedes Einzelnen. Diese könne von der Gesellschaft auch eingefordert werden. Gleichwohl dürfe niemand zu einer Organspende gezwungen werden. "Wir reden über Organspende und nicht über eine Organbereitstellungspflicht", betonte der Bischof. Auch der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Edzard Schmidt-Jortzig, hob hervor, eine Entscheidungslösung könne nur dann verfassungsgemäß sein, wenn an die Entscheidungspflicht keine juristischen Konsequenzen geknüpft würden.

Vom Tisch zu sein scheint derweil die ebenfalls diskutierte Widerspruchslösung, bei der jeder automatisch Organspender ist, der dies zu Lebzeiten nicht ausdrücklich verneint hat. Hessen, Bayern und Sachsen-Anhalt hatten diese weitgehende Regelung favorisiert, fanden dafür aber in der vergangenen Woche auf der Gesundheitsministerkonferenz der Länder keine Mehrheit.

Wann ist der Mensch tot?

Die Gastprofessorin am Institut für Soziologie der Technischen Universität Darmstadt, Alexandra Manzei, erinnerte in der Bundestagsanhörung daran, dass im Vorfeld der Gesetzgebung von 1997 höchst umstritten gewesen sei, wann der Tod eintritt und mit welchen Mitteln er sich feststellen lässt. Angesichts neuer medizinischer Studien stehe das Hirntodkonzept heute erneut in Frage. Daher solle die Bundesärztekammer (BÄK) die Kriterien der Hirntodfeststellung überprüfen, verlangte Manzei. Sowohl der Münchner Hirntod-Experte Heinz Angstwurm als auch BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery widersprachen deutlich: Angstwurm betonte, es gebe keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Montgomery fügte hinzu: "Es ist unendlich schwer, etwas zu beweisen, was es nicht gibt."

Einer schnellen Umsetzung der Steinmeier/Kauder-Initiative könnte - wie die Erfahrungen mit dem TPG aus den 1990er Jahren zeigen - ein Aufflammen dieser Debatte durchaus abträglich sein. Der SPD-Fraktionschef appellierte daher vorsorglich an die Abgeordneten: "Wir wollen nicht in alte Gräben zurückfallen."