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Kultur der zweiten Chance

INSOLVENZRECHT Experten uneins über eine Konzentration der Gerichte. Erste Lesung im Bundestag

04.07.2011
2023-08-30T12:16:46.7200Z
3 Min

Es war der 1. September 2009, als das Essener Amtsgericht das wohl öffentlichkeitswirksamste Insolvenzverfahren der letzten Jahre eröffnete. Schuldner war der Konzern Arcandor, bekannt durch seine Töchter Karstadt und Quelle. Mehr als 43.000 Beschäftigte mussten um ihre Arbeitsplätze bangen. Quelle wurde zerschlagen. Bei Karstadt stieg im Oktober 2010 der Investor Nicolas Berg- gruen ein.

Es waren Fälle wie diese, die die Abgeordneten bei der Debatte um die Reform des Insolvenzrechtes am vergangenen Donnerstag zitierten. Ziel des in erster Lesung behandelten Gesetzentwurfes der Bundesregierung (17/5712) ist es, betroffenen Unternehmern Mut zu machen, rechtzeitig Insolvenz zu beantragen. Die Rechte der Gläubiger sollen gestärkt werden, Unternehmer die Möglichkeit erhalten, während der Insolvenz Einfluss auf ihre Firma zu behalten. Wie wichtig das Thema Insolvenzrecht ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen der vergangenen Jahre. 2010 meldeten knapp 32.000 Unternehmer Insolvenz an. Etwa 131.000 Menschen waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei diesen Firmen beschäftigt.

Scheu vor dem Gericht

"Wir brauchen in Deutschland eine Kultur der zweiten Chance", warb Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) für die Reform. Viele Unternehmer scheuten den Gang zum Insolvenzgericht, weil das in der Öffentlichkeit gleichbedeutend sei mit einer Pleite der Firma. Die Gläubiger, bisher erst Monate nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einbezogen, sollten frühzeitiger die Möglichkeit erhalten, mitzuwirken. In einem vorläufigen Gläubigerausschuss sollten sie den vorläufigen Insolvenzverwalter mitbestimmen können. Eine wichtige Neuerung sei auch das Schutzschirmverfahren. Dies könnten Schuldner beantragen, die noch zahlungsfähig seien.

"Wir wollen ein Gesetz schaffen, das auch in der Praxis funktioniert", betonte auch Elisabeth Winkelmeier-Becker. Die CDU-Politikerin sah die Stärkung der Gläubiger positiv: "Sie sind die Hauptbetroffenen, aber bisher nur in der Zuschauerrolle." Der Ausschuss mache nicht nur bei der Wahl des vorläufigen Insolvenzverwalters Sinn. Auch in den Wochen danach würden viele Entscheidungen getroffen, "die über Wohl und Wehe, über Sanierung oder Zerschlagung mitentscheiden können".

Zahl der Gerichte reduzieren

Der Plan der Bundesregierung, die Zahl der Insolvenzgerichte auf ein Amtsgericht pro Landgerichtsbezirk zu reduzieren, sei richtig. Zuständig ist immer das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Hauptsitz hat. Bei den Gerichten fristeten Insolvenzfälle häufig ein Schattendasein, sagte Winkelmeier-Becker. Dem widersprach Burkhard Lischka. "Welches Problem wollen sie eigentlich lösen?", fragte der rechtspolitische Sprecher der SPD. "Um die Qualität unserer Gerichte beneiden uns doch andere Staaten." Es gebe keine Studie, die belege, dass kleine Insolvenzgerichte schlechter arbeiteten als größere, also gebe es auch keinen Grund, die Zahl der Gerichte zu reduzieren. Auch Richard Pitterle (Die Linke) kritisierte die geplante Konzentration. "Ich habe da so meine Zweifel", sagte er. Die Absicht, Arbeitnehmern künftig im vorläufigen Gläubigerausschuss einen Platz einzuräumen, sah er positiv. Trotzdem müssten ihre Rechte noch weiter gestärkt werden. Gerade im Vorfeld von Insolvenzen "rackern" sich Arbeitnehmer ab, machen Überstunden und tolerieren ausbleibende Gehälter. "Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist vielfach die Chance vorbei, diese Leistungen jemals vergütet zu bekommen", sagte Pitterle. Eine Sanierung, schon bevor das Unternehmen insolvent sei - das müsse das Ziel der Reform sein, sagte Ingrid Hönlinger (Grüne). "Wir sollten überlegen, sanierungsbedürftigen Unternehmen ein Reorganisationsverfahren zu ermöglichen, eventuell vor einer spezialisierten Kammer für Handelssachen, um so dieses Stigma der Insolvenz zu vermeiden." Das Nachbarland Österreich erziele mit dieser Praxis schon gute Erfolge.

Die Konzentration der Insolvenzgerichte war auch unter den Experten in der Anhörung des Rechtsausschusses am vergangenen Mittwoch umstritten. Barbara Brenner vom Internationalen Verein für Kreditschutz- und Insolvenzrecht beispielsweise plädierte dafür, Insolvenzfälle künftig vor Landgerichten zu verhandeln, und zwar vor den Kammern vor Handelssachen. Insolvenzfälle sollten von Handelsrichtern behandelt werden. "Die können schnell sanierungsfähige von nicht-sanierungsfähigen Unternehmen unterscheiden", sagte Brenner. Ein vehementer Gegner dieser Änderung war Oliver Sporré, Präsidiumsmitglied des Deutschen Richterbundes: Durch die Rechtsänderung entstünden viele Nachteile für die Schuldner und Gläubiger. Dass eine Insolvenz nicht immer in eine Pleite führen muss, zeigen prominente Beispiele. Die Modekette SinnLeffers musste 2008 zum Gericht gehen. Neun Monate später meldete sie einen erfolgreichen Abschluss des Insolvenzverfahrens. Das Unternehmen konnte weiter bestehen.