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Wird die Ukraine zu einem zweiten Weißrussland?

OSTEUROPA Timoschenko-Urteil bringt Eiszeit mit der EU

24.10.2011
2023-08-30T12:16:50.7200Z
2 Min

Da mag sich Europa über die willkürliche Verurteilung von Ex-Premierministerin Julia Timoschenko empören. Den ukrainischen Staatspräsident Wiktor Janukowitsch zwingt das nicht in die Knie. Die Botschaft ist eindeutig: "Wenn ihr im Westen uns nicht wollt - wir kommen auch ohne Euch klar." Dass er mit seiner Starrköpfigkeit sein Land immer mehr ins Abseits manövriert, nimmt Janukowitsch offenbar in Kauf: Donnerstag letzter Woche sagte die Europäische Union kurzfristig den Besuch des ukrainischen Präsidenten in Brüssel ab. Gleichzeitig stellt sie die Ratifizierung des lange herbei verhandelten und endlich unterschriftsreifen Freihandelsabkommens auf unbestimmte Zeit zurück.

Doch der Ausgeladene nutzt den freien Tag nicht etwa für Krisentelefonate. Janukowitsch fliegt ungerührt zum Staatsbesuch nach Kuba. Nicht ohne zuvor von der EU übers Fernsehen noch ultimativ eine Beitrittsperspektive für sein Land zu fordern.

Das ganze Volk sei zu "Geiseln einsamer Entscheidungen" geworden", stellt die regierungskritische Tageszeitung "Levy Bereg" dieser Tage resigniert fest. Und die Resignation breitet sich aus. Vor allem junge Leute sind frustriert über Korruption, mangelnde Jobchancen und die Rückschritte bei Pressefreiheit und Menschenrechten. Doch Massenproteste wie in anderen Metropolen Europas - in Kiew heute nicht vorstellbar. Stattdessen reden viele nicht mehr nur über Auswanderung, sondern bereiten sie konkret vor: Rette sich, wer kann - ein deprimierendes Motto, acht Monate, bevor sich das Land bei der Fußball-EM als weltoffene und moderne Nation im Herzen Europas präsentieren will.

Ob die inhaftierte Julia Timoschenko bis dahin frei kommt? Im Moment stehen die Zeichen auf Aussitzen. Das ukrainische Parlament, in dem Janukowitschs Partei der Regionen die Mehrheit hat, lehnte eine Amnestieregelung für Timoschenko in der letzten Woche ab. Und inzwischen droht der Ikone der Orangenen Revolution sogar noch ein weiterer Prozess. Viele Beobachter sind überzeugt: Der Präsident kann Timoschenko gar nicht freigeben. Nicht nur weil er die politische Gegnerin fürchtet. Sondern auch, weil er sein wichtigstes Verhandlungspfand mit Moskau, Washington und Brüssel aus der Hand geben würde. Doch für die EU ist der Fall Timoschenko eine prinzipielle Frage. Sie rührt an das westliche Grundverständnis von Rechtstaatlichkeit. Spannend zu beobachten, wie sich die Beziehungen zwischen Kiew und Brüssel nun gestalten: Wird der Dialog fortgesetzt, selbst wenn Timoschenko weitere Jahre hinter Gittern sitzen sollte? Oder bereitet der Westen Sanktionen vor: strengeres Visaregime statt ersehnter Reisefreiheit, Stopp von dringend benötigten IWF-Krediten, am Ende gar Einreiseverbote für die politischen Eliten? Mit der Pause beim Freihandelsabkommen gewinnt die EU zunächst Zeit. Sie sollte sie nutzen, darüber nachzudenken, welche Perspektiven sie den Staaten an ihrer östlichen Außengrenze grundsätzlich geben wollen. Ein zweites Weissrussland kann niemand wollen.