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Wirtschaftswachstum Intakter Wachstumskern

WIRTSCHAFT VOR ORT Deutscher Maschinenbau glänzt mit gut gefüllten Auftragsbüchern. Mittelstand hat aus der Krise gelernt

23.01.2012
2023-08-30T12:17:23.7200Z
7 Min

Der Maschinenbau ist das Herz der deutschen Exportwirtschaft. Es wird wahrscheinlich auch im Jahr 2012 kräftig schlagen - manch düsteren Konjunkturdiagnosen zum Trotz. Ein Besuch bei drei selbstbewussten Mittelstandsfirmen.

Sie schauen bereits nach Grundstücken. So fängt die Expansion meist an. Der Ventilatorenbauer "Ebm-Papst" erwartet, dass es am Stammsitz im baden-württembergischen Mulfingen bald schon zu eng wird - und deshalb sondiert Geschäftsführer Hans-Jochen Beilke den Immobilienmarkt. Zukunft ist für ihn gleichbedeutend mit Zuversicht.

Am anderen Firmenstandort, im bayerischen Landshut, gibt es bereits grünes Licht für Bagger und Beton. Im vergangenen November fiel die Entscheidung für ein neues Logistikzentrum. Auf einer Fläche von 5.000 Quadratmetern soll bis Frühjahr 2012 ein Hochregallager entstehen - Investitionsvolumen: knapp zwölf Millionen Euro. Firmenchef Beilke sagt: "Sie merken, bei uns gibt es Optimismus."

Glasklare Ansage

Wer hätte dieser Tage eine solch glasklare Ansage erwartet? Zeitungen, Fernsehen und andere Medien verbreiten seit längerem eher düstere Aussichten. Ein Ökonomiebeobachter warnt neuerdings immer vor dem Absturz nach zwei Jahren Boom. Prognostiziert wird mindestens eine Rezession in Europa, wenn nicht gar in der Welt. Doch wer sich aufmacht, einige tüchtige Mittelständler des Maschinen- und Anlagenbaus zu treffen, erfährt, dass es vor Ort viel mehr gute als schlechte Nachrichten gibt. Hier steckt für Deutschland wahrscheinlich die ehrliche und wichtigste Nachricht: Der Wachstumskern ist intakt.

Die Maschinen- und Anlagenbauer sind ein Kraftzentrum im Land. Sie bilden eine von Deutschlands Schlüsselbranchen - rund 6.000 Unternehmen, mittelständisch geprägt zumeist, mit fast einer Million Beschäftigten und ungefähr 200 Milliarden Euro Umsatz. Viele der Firmen haben hohe Exportquoten und spielen ohne großes PR-Tamtam in der Champions League der Weltwirtschaft mit. Drei davon heißen Ebm-Papst, Hawe und Wago. Sie verteidigen selbstbewusst ihren Vorsprung auf den Märkten, weil sie um ihre leistungsfähigen Produkte und die eigene Anpassungsfähigkeit wissen.

Deutsche Tüftler

"Wir sind im besten Sinne deutsche Tüftler", sagt Ebm-Papst-Geschäftsführer Beilke: "Mit Erfindungsreichtum und Querdenken schaffen wir Ventilatoren und Motoren, die leichter, energiesparender und langlebiger sind." Ein Schlüssel ist für ihn der Pioniergeist in den eigenen Teams. Beilke schwört auf das nach wie vor hohe Qualifikationsniveau deutscher Ingenieure und dual ausgebildeter Fachkräfte - auf deren Ideen und deren Biss. "Es klingt arrogant", sagt er: "Aber chinesische Ingenieure müssen wir fast immer intern weiterbilden, bis sie uns hilfreich sind."

Das Immer-Besser-Werden ist bei dem Maschinenbauer aus dem Hohenlohischen eine Mission. Rund 30 Innovationsprojekte laufen zur Zeit firmenintern. Es geht um neue, rohöleinsparende Biowerkstoffe und eine höhere Energieeffizienz vieler Produkte. Dabei hilft auch die immer stärkere Einbettung von exklusiver Software. Bielke: "Das ist ein Spielfeld, auf dem wir mehr bieten können als andere."

Das Unternehmen hat 2010/2011 das beste Geschäftsjahr seiner Geschichte abgeschlossen. Gut 11.300 Beschäftige weltweit erwirtschafteten 1,3 Milliarden Euro Umsatz. Das laufende Geschäftsjahr, das im April endet, wird wohl ein Plus von immerhin noch vier, fünf Prozent bringen. Die weiteren Umsatzaussichten sind positiv. Die Nachfrage aus Europa zeigt sich erstaunlich stabil, die Bestellungen aus Asien und Amerika ziehen wieder an. "In den vergangenen Wochen spüren wir einen vorsichtigen positiven Trend in unseren Auftragsbüchern", erzählt der Firmenchef.

Solche Signale aus der Praxis sind es wohl, die den Branchenverband VDMA an seinen Konjunkturprognosen festhalten lassen: Danach sollen Produktion und Umsatz der Firmen 2012 real um vier Prozent steigen. Im vergangenen Jahr lag das Wachstum bei 14 Prozent. VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers ärgert sich, wenn daraus medial eine Vollbremsung wird. "Wachsen ist wie schnell fahren", erklärt er: "Wenn die Firmen also im Schnitt vier Prozent zulegen, fahren sie noch einmal schneller."

Die Verbandsprognose ist von einem vorsichtigen Optimismus durchzogen. Erwartet wird, dass bei der europäischen Staatsschuldenkrise zumindest die Talfahrt schon vorbei ist und die Politik in den nächsten Monaten immerhin auf festem Boden den Aufzug zu reparieren versucht. Kalkuliert ist auch, dass Schwellenländer wie China und Brasilien ihre Atempause aus dem zweiten Halbjahr 2011 überwinden und in diesem Jahr wieder ordentlich Luft holen. Für VDMA-Mann Wiechers passt das Angebot des deutschen Maschinenbaus weiterhin perfekt zur Nachfrage in der Welt: "Für die Megatrends - Mobilität, Infrastruktur, Umweltschutz und Ressourcenschonung - liefern unsere Firmen extrem wettbewerbsfähige Lösungen." Bloß nicht zu viel über konkrete Erfolge quatschen, gehört zu den typischen Tugenden des deutschen Mittelstands. Auch bei der Münchener Hawe-Gruppe, Hersteller von Hydraulikkomponenten und -systemen. Dabei hätte man schon zu Jahresanfang viel zu erzählen. Aus dem Ausland ist ein millionenschwerer Großauftrag aus dem Bereich erneuerbare Energien eingegangen. Mehr will Vorstandssprecher Karl Haeusgen, Hauptgesellschafter des Familienunternehmens und Enkel des Firmengründers, nicht verraten. Immerhin traut er sich die allgemeine Vorhersage: "Auch 2012 wird ein starkes Jahr für uns - falls es nicht noch einen unerwarteten weltweiten Schock gibt."

Die Welt als Markt

Wie für etliche andere exportstarke deutsche Maschinenbauer schlagen schwächelnde europäische Märkte auf den Umsatz durch, sind aber nicht mehr lebensbedrohlich: Denn die Welt ist ihr Markt. Die Hawe-Gruppe mit ihren insgesamt 2.000 Mitarbeitern verkauft rund 45 Prozent ihrer Produkte und Dienstleistungen in Asien, Europa macht nur noch 25 Prozent aus. "Unsere Wachstumsimpulse kommen aus China und dem nordamerikanischen Markt", sagt Firmenchef Haeusgen. Die Hydraulik-Produkte aus München finden breit Verwendung: Sie kommen in Bau- und Werkzeugmaschinen, Mobilkränen, beim Schiffbau oder Off-Shore zum Einsatz - um den Winkel von Rotorblättern zu verstellen oder die Hauptwelle abzubremsen.

So überraschend es klingt: Ein Teil seiner heutigen Stärke hat der Mittelständler durch die Krise 2008 gewonnen, als die Wirtschaftswelt plötzlich aufhörte, sich zu drehen. Um bis zu 50 Prozent brachen die Auftragseingänge ein. Haeusgen musste handeln: Er nutzte den gesamten Instrumentenkasten, den Tarifpartner und Politik bereitstellten. Es waren keine einfachen Entscheidungen. Die Verträge der Zeitarbeiter wurden nicht verlängert, Befristungen liefen einfach aus, die Stammbelegschaft erlebte Kurzarbeit und Leistungskürzungen über ausgehandelte Betriebsvereinbarungen. Es reichte trotzdem nicht: 125 Beschäftigte wurden über einen Sozialplan entlassen und in einer Transfergesellschaft aufgefangen. Mit einem "extrem sozialen Paket", wie Haeusgen sagt.

Das scheint alles ganz weit weg - jetzt, wo die Firma wieder im Normalmodus läuft und die Beschäftigtenzahlen aus der Vorkrisenzeit sogar schon übertroffen sind. Und doch haben sich die Erfahrungen des Krisenmanagements im Unternehmen eingebrannt. "Alle haben noch mehr partnerschaftliches Denken gelernt", sagt er. "Und alle wissen nun, wie man die notwendige betriebliche Flexibilität auch fair erreichen kann." Bei Hawe ist so ziemlich genau das eingetreten, was der renommierte Industrieforscher Horst Wildemann schon im Jahr 2010 zu Protokoll gab: Die Kerngedanken der sozialen Marktwirtschaft kehren durch die Krise zurück, sagte er damals und prognostizierte weiter: "Die starken Mittelständler werden danach noch stärker sein."

Im westfälischen Minden bei Wago würde das niemand so laut hinausposaunen, obwohl es auch hier zwei Rekordjahre nach der Krise gab. Unterstatement ist Teil der Unternehmenstugend. So ist man groß geworden und hat Standards gesetzt. Der Produzent von elektrischer Verbindungstechnik und Automatisierungslösungen ist nach der Gründung 1951 durch Innovationen und Mut zu einem dieser versteckten deutschen Weltmarktführer herangewachsen - mit gut 5.300 Mitarbeitern und Produktionsstätten in Deutschland und sieben anderen Ländern der Welt. In Fachkreisen heißen die Klemmen aus Minden, die in Millionen Verteilerdosen stecken, schlicht nur "Wagos".

Das Kriseneinmaleins

Wer den geschäftsführenden Gesellschafter Sven Hohorst trifft, begegnet auch hier der Gewissheit, das Kriseneinmaleins der beweglichen Firma erlernt zu haben. Er selbst spricht davon, eine gute "Erfahrungskiste" aus dieser Zeit zu haben. "Wir werden weiter langfristig denken, aber auch kurzfristig lenken", lautet sein Credo.

So startet die Firma in das Jahr 2012, dessen Verlauf auch der erfahrene Hohorst jetzt im Januar schwer kalkulieren kann. Das Geschäft mit Steckverbindersystemen und sogenannten Kopplern - softwaregetriebenen Steuerungselementen, die unter anderem in Zügen und Flugzeugen zum Einsatz kommen - ist schwankungsanfällig, weil es weitgehend mit den Konjunkturen in den einzelnen Absatzländern läuft. In den Euro-Ländern erwartet Firmenchef Hohorst "keine große Sprünge". Selbst die Schweiz, wo Wago ein Werk hat, müsse wegen des starken Franken kämpfen. Aus den immer wichtiger werdenden Aufsteigerländern wie China und Indien kommen in den ersten Wochen immerhin positive Signale. Hohorst sagt: "Wir können hoffen, mit einem leichtem Wachstum bei den Auftragseingängen durchs Jahr zu kommen."

So oder so: Der Mittelständler aus Minden lässt nicht locker, noch innovativer und produktiver zu werden. Im vergangenen Jahr wurden in die Entwicklung und die Fertigung rund 100 Millionen Euro investiert - das waren fast 20 Prozent des Gesamtumsatzes von rund 550 Millionen Euro. Im Mai dieses Jahres soll zum Beispiel ein neuartiges Steckverbindungssystem für industrielle Leiterplatten auf den Markt kommen, das gegenüber den bisherigen Lösungen deutlich handhabbarer ist und höhere Vibrationen aushält. "Mit unserem Fokus auf ständige Innovationen werden wir den Vorsprung vor Konkurrenten in aller Welt halten", ist sich der Wago-Chef sicher.

Einstellungen

Und deshalb stellt das Unternehmen auch in diesem Jahr weiter ein - trotz aller kurzfristigen Unwägbarkeiten der Märkte. 150 Leute werden noch gesucht, Entwicklungsingenieure zumeist. Man versteht das bei Wago im wahrsten Sinne des Wortes als Investition in die Zukunft.

Und wenn jetzt doch noch eine globale Krisenwelle anrollt? "Dann wissen wir jetzt, wie wir bei unserem doch groß gewordenen Tanker schnell den Kurs ändern", sagt Hohorst.