Wer als Präsidentschaftskandidat in Russland ohne Unterstützung durch eine Duma-Partei antritt, muss laut Wahlgesetz zwei Millionen Unterschriften sammeln. Diese Hürde konnte nur einer überwinden: der Milliardär Michail Prochanow. Der Kandidat der liberalen Partei "Jabloko"-Partei, Grigorij Jawlinskij, wurde die Teilnahme an der Präsidentschaftswahl hingegen unter dem absurden Vorwand verweigert, er habe "kopierte Formulare" eingereicht. Dabei hatte "Jabloko" bei der Dumawahl über 2,5 Millionen Stimmen erhalten.
Der Politologe Peter Patze ist davon überzeugt, dass dieses Gesetz gegen den demokratischen Grundsatz verstößt, der den Bürgern die gleichen Chancen einräumt, ein politisches Mandat oder Amt zu erringen. Anhand von 30 Indikatoren bewertet Patze den Stand der Demokratisierung Russlands und stellt fest, dass "imitierte Institutionen" nur den Anschein einer Demokratie in einem ansonsten "streng autoritären" Herrschaftssystem vermitteln. Weder bei der Staatlichkeit noch im Wahl-, Medien- und Justizsystem seien die für Demokratien geltenden Minimalbedingungen erfüllt.
Laut Patze hat die jahrelange und planmäßige Ungleichbehandlung der politischen Lager einen "autoritären Teufelskreis" in Gang gesetzt. Als Hoffnungsträger bot sich Präsident Dmitrij Medwedew an: Obwohl er es öffentlich abgelehnt habe, eine Demokratisierung des Systems anzustreben, schien Medwedew "den autoritären Kurs seines Vorgängers nicht weiter zu verfolgen beziehungsweise zu vertiefen".
Tatsächlich überbewertet der Wissenschaftler Medwedews Rhetorik, wenn er ihn als "vorsichtigen und mutigen" Kämpfer gegen den Autoritarismus charakterisiert. Der Ämtertausch in Moskau dürfte diesen Eindruck korrigiert haben. Schließlich war bereits bei Medwedews Amtsantritt klar, dass Wladimir Putin keinen Liberalen an die Macht bringen würde, um eines seiner wichtigsten politischen Ziele zu konterkarieren: die Rückkehr Russlands als Großmacht auf die Weltbühne.
Wie demokratisch ist Russland? Ein tiefenorientierter Ansatz zur Messung demokratischer Standards.
Nomos Verlag, Baden-Baden 2011; 355 S., 49 €