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Kurz notiert

05.03.2012
2023-08-30T12:17:26.7200Z
3 Min

Wer als Präsidentschaftskandidat in Russland ohne Unterstützung durch eine Duma-Partei antritt, muss laut Wahlgesetz zwei Millionen Unterschriften sammeln. Diese Hürde konnte nur einer überwinden: der Milliardär Michail Prochanow. Der Kandidat der liberalen Partei "Jabloko"-Partei, Grigorij Jawlinskij, wurde die Teilnahme an der Präsidentschaftswahl hingegen unter dem absurden Vorwand verweigert, er habe "kopierte Formulare" eingereicht. Dabei hatte "Jabloko" bei der Dumawahl über 2,5 Millionen Stimmen erhalten.

Der Politologe Peter Patze ist davon überzeugt, dass dieses Gesetz gegen den demokratischen Grundsatz verstößt, der den Bürgern die gleichen Chancen einräumt, ein politisches Mandat oder Amt zu erringen. Anhand von 30 Indikatoren bewertet Patze den Stand der Demokratisierung Russlands und stellt fest, dass "imitierte Institutionen" nur den Anschein einer Demokratie in einem ansonsten "streng autoritären" Herrschaftssystem vermitteln. Weder bei der Staatlichkeit noch im Wahl-, Medien- und Justizsystem seien die für Demokratien geltenden Minimalbedingungen erfüllt.

Laut Patze hat die jahrelange und planmäßige Ungleichbehandlung der politischen Lager einen "autoritären Teufelskreis" in Gang gesetzt. Als Hoffnungsträger bot sich Präsident Dmitrij Medwedew an: Obwohl er es öffentlich abgelehnt habe, eine Demokratisierung des Systems anzustreben, schien Medwedew "den autoritären Kurs seines Vorgängers nicht weiter zu verfolgen beziehungsweise zu vertiefen".

Tatsächlich überbewertet der Wissenschaftler Medwedews Rhetorik, wenn er ihn als "vorsichtigen und mutigen" Kämpfer gegen den Autoritarismus charakterisiert. Der Ämtertausch in Moskau dürfte diesen Eindruck korrigiert haben. Schließlich war bereits bei Medwedews Amtsantritt klar, dass Wladimir Putin keinen Liberalen an die Macht bringen würde, um eines seiner wichtigsten politischen Ziele zu konterkarieren: die Rückkehr Russlands als Großmacht auf die Weltbühne.

Peter Patze:

Wie demokratisch ist Russland? Ein tiefenorientierter Ansatz zur Messung demokratischer Standards.

Nomos Verlag, Baden-Baden 2011; 355 S., 49 €

Kann es ein freiheitlich-demokratisch regiertes Russland geben? Kommt der postkommunistische Vielvölkerstaat ohne eine "harte Hand" aus? Wäre Russland ohne Wladimir Putins Politik der "Konsolidierung des Staates" heute demokratischer? Die beiden Soziologen Lev Gudkov, Leiter des renommierten Moskauer Meinungsforschungsinstituts "Lewada-Zentrum", und Victor Zaslavsky analysieren in ihrem intelligenten Buch die Entwicklung in Russland seit dem Ende der Sowjetunion. Dabei benennen sie klar die falschen Weichenstellungen der Entscheidungsträger.

Die Autoren verstecken sich nicht hinter Zitaten und Bewertungen anderer, sondern machen deutlich, wer die Herausbildung eines demokratischen Russlands in der Vergangenheit verhindert hat und wer heute noch an diesem Kurs festhält. Es ist richtig, dass Putins erste Präsidentschaft (2000-2008) Russland vor einem Zerfall und weiteren wirtschaftlichen Krisen bewahrt hat. Richtig ist aber auch, dass seine Politik des "starken Staates", die mit Rohstoffverkäufen finanziert wurde, die Etablierung eines autoritären Regimes erst ermöglichte. Nach dem enttäuschenden ersten Jahrzehnt seit dem Zerfall der UdSSR mit einer allgemeinen Instabilität, sinkendem Lebensstandard und hoher Arbeitslosigkeit sorgte Putin für Ruhe und Ordnung. "Unter diesen Umständen geriet die Idee der Demokratie zunehmend in Misskredit und viele Russen wünschten sich eine Rückkehr zum alten, vertrauten System des autoritären Paternalismus", schreiben die Autoren. Damit zeigen sie auf, warum es Putin so leicht fiel, die Kontrolle über Politik und Medien durchzusetzen sowie die Unterordnung der Regionalbehörden und der Oligarchen unter die Zentralgewalt zu erreichen.

In einer klaren Sprache kritisieren die Autoren Putins System der "gelenkten Demokratie": Dem Präsidenten gelinge es, "jegliches Gegengewicht" zur uneingeschränkten Präsidialmacht auszuschalten. Das Ergebnis sei ein korrupter, "bürokratischer Autoritarismus".

Lev Gudkov, Viktor Zaslavsky:

Russland. Kein Weg aus dem postkommunistischen Übergang?

Wagenbach Verlag, Berlin 2011; 206 S.,19,90 €