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»Auf dem Platz«

INTERNET-ENQUETE Trotz Twitter, Facebook und Adhocracy: Experten dämpfen Hoffnungen auf stärkere politische Teilhabe

26.03.2012
2023-08-30T12:17:28.7200Z
4 Min

Bundeskanzlerin Angela Merkel führt einen Zukunftsdialog über Facebook. Die Fraktionen des Bundestages haben eigene Twitter-Accounts, die Mehrheit der Abgeordneten ebenso. Seit einem Jahr verfügt zudem die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" über eine Adhocracy-Beteiligungsplattform, mit der Bürger sich in die laufende Arbeit der Kommission einschalten können. Nicht ausgeschlossen ist es außerdem, dass bei kommenden Bundestagswahlen die Stimmabgabe auch über das Internet erfolgen kann.

Dies alles macht eines deutlich: Die politische Kommunikation und Partizipation ist in einem Strukturwandel begriffen. Doch führt die aktuelle Entwicklung zu einer breiteren politischen Teilhabe? Nicht unbedingt, urteilten die zu einer öffentlichen Anhörung der Internet-Enquete in der vergangenen Woche geladenen Experten. Sie kamen mehrheitlich zu dem Fazit, dass das Internet in Bezug auf die politische Partizipation bisher nur eingeschränkt seine Wirkung entwickelt habe. Nach wie vor machten knapp 50 Prozent der Deutschen "einen weiten Bogen um jegliche politische Kommunikation", sagte der Medienwissenschaftler Professor Gerhard Vowe von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

»Übliche Verdächtige«

Zwar habe sich das Internet als Informationsmedium etabliert, doch werde es als Medium aktiver politischer Partizipation nur von einer kleinen Anzahl der Internetnutzer genutzt, urteilte der Politikwissenschaftler Markus Linden von der Universität Trier. Professor Christoph Neuberger von der Ludwig-Maximilians-Universität München machte auf eine mögliche digitale Spaltung aufmerksam. Es bestehe die Gefahr, dass "die üblichen Verdächtigen" sich das Medium zu Eigen machten, sagte Neuberger. Der Kommunikationswissenschaftler betonte zugleich die wichtige Vermittlerrolle des Journalismus beim Strukturwandel der politischen Kommunikation. Statt einer Konkurrenz, so Neuberger, gebe es eine Ergänzung zwischen Journalismus und "Social Media". Da es nicht selbstverständlich sei, dass die Diskussion in politischen Foren auf einem hochstehenden Niveau erfolge, werde ein Vermittler benötigt. "Journalisten werden nicht überflüssig", machte er deutlich.

Professor Gerhard Vowe bemühte eine Fußballweisheit zur Erläuterung. "Entscheidend ist auf dem Platz", sagte er. Dort stehe der Bürger, dessen "eingeschliffenen Gewohnheiten" auch durch eine Weiterentwicklung der Technik nicht verändert würden. Diese "schweigende Mehrheit" beschränke ihre politischen Aktivitäten auf morgendliches Zeitungslesen, das Hören von Nachrichten im Autoradio und der Stimmabgabe bei der Wahl. Die Treiber der Veränderung bei der politischen Kommunikation und Partizipation seien hingegen die "Digital Citizens", sagte Vowe. Diese Gruppe umfasse 16 Prozent der Bevölkerung und sei "wesentlich jünger und wesentlich gebildeter als der Durchschnitt".

Anspruch auf Anonymität

Die sogenannte E-Partizipation kranke am gleichen Problem wie andere Reformversuche der Teilhabe, sagte Politikwissenschaftler Linden. "Je anspruchsvoller die politische Aktivität, desto größer ist die soziale Disparität der Beteiligten." Bildungsgrad und Einkommen seien neben dem Alter und dem Geschlecht starke Einflussgrößen für E-Partizipation. Linden warnte zudem davor, dass durch die Reform der Partizipation der Einfluss der Parlamente gegenüber der Exekutive verloren gehen könne.

Christoph Kappes, Geschäftsführer der Fructus GmbH, hat hingegen "keine Probleme" damit, dass auch die Exekutive - also die Bundesregierung - mit Beteiligungsinstrumenten arbeitet. Gerade mit Blick auf die Einbringung von Gesetzentwürfen gehöre das zu ihrer Kernkompetenz. Der Unternehmensberater unterstützte auch den Anspruch auf Anonymität bei der politischen Kommunikation und Partizipation. Das sei wichtig für den Schutz der Privatsphäre. Kappes machte zudem deutlich, dass die Nutzung der neuen Kommunikationsmöglichkeiten weiter erkundet werden müsse. "Das kann noch dauern", betonte er. Was man heute vorfinde, sei noch lange nicht der Endzustand der Technik. Vielmehr müsse mit einer Serie an Innovationen gerechnet werden, die den heutigen Zustand erheblich verändern würden.

Nutzerbefragung

Mit einer Innovation hat vor einem Jahr die Internet-Enquete aufgewartet. Daniel Reichert vom Verein Liquid Democracy, der die Adhocracy-Beteiligungsplattform der Kommission entwickelt hat, ging während der Anhörung auf die Ergebnisse einer Nutzerbefragung ein. Danach seien mehr als 70 Prozent der Ansicht, dass sie keinen Einfluss auf die Politik nehmen könnten. Dies sei zwar nicht zutreffend - immerhin seien zwei der Handlungsempfehlungen der Projektgruppe Medienkompetenz eins zu eins aus der Beteiligungsplattform übernommen worden. Aber: "Es muss besser dargestellt werden, dass es nicht so ist", forderte Reichert. Ein weiterer Kritikpunkt der Nutzer sei die fehlende Rückmeldung der Kommissionsmitglieder bei der Diskussion auf der Plattform.

Die Stellung der Beauftragten für Informationsfreiheit müsse gestärkt werden, forderte Stefan Wehrmeyer, Leiter des Projektes: FragdenStaat.de. Er kritisierte zugleich die Eingrenzung des Auskunftsanspruchs auf Informationen der Verwaltung sowie die zahlreichen Ausnahmeregelungen in den gesetzlichen Regelungen zur Informationsfreiheit. Die Vertraulichkeit von Regierungs- und Parlamentsarbeit dürfe sich nicht bloß aus Tradition und Bequemlichkeit ergeben, sagte Wehrmeyer. Als Beispiel nannte er eine Anfrage an das Justizministerium nach den Teilnehmern der Verhandlungen für das Acta-Abkommen, die mit dem Verweis der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit abgelehnt worden sei. "Das kann der normale Bürger nicht nachvollziehen", kritisierte Wehrmeyer.