Viele, die ihre Erfahrungen mit der deutschen Politik noch in Bonn gemacht haben, schwärmen davon noch heute: So beschaulich sei der damalige Regierungssitz gewesen, man habe einander gekannt und vertraut und sich darauf verlassen können, dass nicht alle Verfehlungen gleich öffentlich gemacht werden. So lautet das - meist männliche - Fazit. Andere Erinnerungen hat dagegen die ehemalige "Spiegel"-Journalistin Ursula Kosser. Gemeinsam mit anderen Journalistinnen und auch Politikerinnen, die wie sie in den 1970er und 80er Jahren nach Bonn gingen, erinnert sie sich an ein Biotop, in dem junge Frauen "auf die alteingesessenen Bonner Machos trafen und diese alles taten, um den jungen Hennen das Gefieder zu stutzen". Zeiten, in denen ein Abgeordneter einer Journalistin Sexspielzeug schickte, um eine "gute, gerne auch sehr gute Zusammenarbeit" einzuläuten, oder ein Bonner Chefredakteur ungestraft zu seiner Assistentin sagte, sie sei "so doof, Ihnen sollte man mit einer stumpfen Klinge die Klitoris beschneiden".
In ihrem Buch "Hammelsprünge" beschreibt Kosser ein "Bonner Männergetümmel", in dem gegrabscht und angemacht wurde, in dem Minister und Pressesprecher noch vollkommen unbehelligt ein- und zweideutige Kommentare zu Aussehen und Talent von Journalistinnen und Politikerinnen machen konnten. Gewehrt habe sich damals kaum eine Frau.
Bei Kosser liest sich das gelegentlich irritierend leicht, als sei das alles nur ein humorvoller Rückblick. Nur ganz zum Schluss formuliert Kosser, dass sich auch heute noch vieles bewegen müsse. Sie habe, so schreibt sie, in den 80er Jahren eine Quote abgelehnt. Heute hält sie ihren Glauben und den ihrer Kolleginnen, man könne allein über Leistung vorankommen, für naiv. Ursula Kosser wünscht, dass irgendwann stimmen möge, wovon ihre Teenager-Tochter überzeugt ist: "Wenn einer dieser XXL-Machos wagen würde, das mit uns zu machen, der würde ja so was von auf die Schnauze fallen!"
Hammelsprünge. Sex und Macht in der deutschen Politik.
DuMont Buchverlag Köln 2012; 256 S., 18,99 €