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Auf kalten und heißen Spuren

NSU-AUSSCHUSS Ministerpräsident Bouffier weist Vorwürfe wegen umstrittener Vernehmung von V-Leuten zurück

01.10.2012
2023-08-30T12:17:38.7200Z
4 Min

Ein monströser Verdacht: Ein Mitstreiter von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe soll ein V-Mann gewesen sein. Offiziell verlautet kein Name, doch in den Medien ist vom ehemaligen NPD-Mitglied Ralf Wohlleben die Rede, der unter dem Verdacht in Untersuchungshaft sitzt, den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) unterstützt zu haben. Wohlleben soll der Zelle, der die Erschießung von neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin angelastet wird, zur Tatwaffe verholfen haben. Der Hinweis stammt von einem Bundesanwalt, der den Namen Wohllebens in Akten auf einer Liste mit V-Leuten gelesen haben will. Tagelang sorgte diese atemberaubende Meldung für Schlagzeilen. Der Untersuchungsausschuss, der Fehlgriffe bei der Aufklärung der Mordserie durchleuchten soll, bleibt indes zurückhaltend: Man will abwarten, was die Überprüfung des Falls ergibt. Nach allem, was bislang in die Medien durchgesickert ist, dürfte an der Vermutung nichts dran sein.

Kontakte zum NSU

Doch nicht nur der Fall Wohlleben beschäftigte vergangene Woche die Sitzungen des Bundestags-Untersuchungsausschusses, der mit der gescheiterten Suche nach der Tatwaffe und mit dem Auftritt des hessischen Regierungschefs Volker Bouffier (CDU) brisante Themen auf der Tagesordnung stehen hatte. Freilich bieten V-Leute des Verfassungsschutzes nun mal Stoff für Spekulationen. Dies gilt etwa für "Corelli", der nach Zeitungsberichten ein Kontaktmann des NSU-Trios und ein Spitzel des Verfassungsschutzes gewesen sein soll. Über den Rechtsextremisten Thomas R. aus Sachsen-Anhalt scheinen auch Abgeordnete zu rätseln. Zu "Corelli" lägen keine "substantiellen Antworten" vor, klagt Hans-Christian Ströbele von den Grünen. Was aufhorchen lässt: "Corelli" hatte offenbar mit der Zeitschrift "Der Weiße Wolf" zu tun, in der 2002 "Vielen Dank an den NSU" zu lesen war - die erste öffentliche Erwähnung der Terrorzelle.

Im Dunkeln liegt weiterhin die Affäre um den von der Berliner Polizei geführten Spitzel Thomas S., der dem NSU-Trio Sprengstoff beschafft haben soll. Gegen diesen V-Mann wird wegen des Verdachts ermittelt, den NSU unterstützt zu haben. Thomas S. hatte 2002 die Polizei auf eine Person hingewiesen, die Kontakt zu drei Leuten aus Thüringen habe, nach denen wegen Sprengstoff und Waffen gefahndet werde. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) hat zur Aufklärung dieses Falls Oberstaatsanwalt Dirk Feuerberg als Sonderermittler eingesetzt. Auch der Bundestagsausschuss will sich diesem Thema noch widmen.

Selbstkritik

Dessen Sitzungen gingen im Trubel um die V-Leute auch wegen der Selbstkritik nicht unter, die zum Erstaunen der Abgeordneten der Ex-Chef der Verfassungsschutzabteilung des Düsseldorfer Innenministeriums übte. Die Täter hätten wohl entdeckt werden können, räumte Hartwig Möller ein, "wenn es zwischen den Behörden einen besseren Informationsaustausch gegeben hätte". Angesichts von "Fehleinschätzungen" sei man "falsche Wege gegangen". Zwar hätten zur Erschießung eines türkischen Kioskbesitzers in Dortmund 2006, zum Attentat auf einen Kölner Lebensmittelladen 2001 und zum Nagelbombenanschlag auf ein türkisches Viertel in Köln 2004 mit vielen Verletzten keine Hinweise auf Rechtsterrorismus existiert. Doch habe man Nachforschungen in diese Richtung zu früh beendet.

Stimmte die Selbstkritik den Ausschuss hoffnungsfroh, so sorgte die "Waffenspur" für Frustration. Neun der zehn Mordopfer waren mit einem Spezialmodell einer Ceska 83 erschossen worden. Das BKA machte bis auf wenige Exemplare den Weg all dieser Pistolen ausfindig. Man war nah dran an der Tatwaffe, die über ein Schweizer Waffengeschäft zum NSU gelangt ist. Unions-Obmann Clemens Binninger: "Bereits 2004 gab es eine heiße Spur", doch die habe man erkalten lassen - auch deshalb, weil die Auskunft des Käufers der Tatwaffe akzeptiert worden sei, keine Pistole dieses Typs gekauft zu haben. Zudem kritisierte Binninger, dass nur nach türkischen Käufern einer bestimmten Munition und einer Ceska 83 gesucht worden sei. Werner Jung vom BKA entgegnete, vor allem Türken würden solche Pistolen illegal besitzen.

Vernehmungen

Bei seinem medienwirksamen Auftritt wies Bouffier Vorwürfe zurück, er habe 2006 die Ermittlungen zur Erschießung des Kasseler Internetcafe-Betreibers Halit Yozgat behindert, weil er die persönliche Vernehmung der V-Leute des Verfassungsschützers Andreas T. untersagt habe. Dieser stand vorübergehend unter Tatverdacht, weil er vor dem Mord das Geschäft besucht hatte. Bouffier verteidigte seine Entscheidung als damaliger Innenminister als "richtig und rechtlich geboten", da bei einer Befragung durch die Ermittler der "Quellenschutz" gefährdet gewesen wäre. Vor allem vier Informanten aus dem islamistischen Milieu wären dann "verbrannt" gewesen. Nur die Befragung des einen rechtsextremen V-Manns hätte er erlaubt, sagte der CDU-Politiker. Gestattet habe er eine mittelbare Anhörung der V-Leute durch die Polizei auf schriftlichem Weg. Eine direkte Vernehmung sei für die später eingestellten Ermittlungen gegen Andreas T. unnötig gewesen.

Bouffier bezeichnete die Interview-Äußerung des Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD), er habe die Ermittlungen aus dem Amt heraus behindert, als "falsch und ehrenrührig".

Edathy konterte, seine Kritik stütze sich auf die Aussage des Leiters der Mordkommission, eine direkte Befragung der V-Leute wäre "essentiell" gewesen und dies sei der Polizei verwehrt worden. Während Binninger Bouffier verteidigte, nannte SPD-Obfrau Eva Högl den CDU-Politiker unter Hinweis auf die Aktenlage einen "eiskalten Bürokraten". Linken-Sprecherin Petra Pau monierte, dass Quellenschutz vor Mordaufklärung rangiere.