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Sport-Genossen

GRUNDGESETZ Die SPD will Kultur und Sport als Staatsziele gefördert wissen - vor drei Jahren hatte sie dies noch abgelehnt

01.10.2012
2023-08-30T12:17:38.7200Z
4 Min

Die Zeiten haben sich geändert. Im Frühjahr 2009 war es die FDP, die für eine Verankerung der Kultur im Grundgesetz plädierte und die SPD "ganz schön ins Schwitzen gebracht hat", wie Siegmund Ehrmann am vergangenen Freitag im Bundestag einräumte. Aus "Koalitionsräson" habe man damals ablehnen müssen, gestand der SPD-Kulturpolitiker in der Debatte über einen erneuten Vorstoß in Sachen Grundgesetzänderung. Diesmal aber ist es die SPD-Fraktion, die einen Gesetzentwurf (17/10644) vorgelegt hat, um die Staatsziele Kultur und Sport festzuschreiben. Und damit die Liberalen in die Bredouille bringt, die in der Bewertung des Vorhabens nicht einig sind. Während der Kulturpolitiker Reiner Deutschmann "ganz starke Argumente" für eine Aufnahme erkennt und der Sportexperte Joachim Günther dem Ansinnen "positiv gegenüber steht", sieht Innenpolitiker Stefan Ruppert "sehr gute Bedingungen für Kultur und Sport, auch ohne eine Aufnahme in das Grundgesetz". Einig sind sich die Liberalen aber in der Bewertung des Vorgehens der SPD: Statt die Kollegen mit "Schaufensteranträgen zu überraschen", wäre es besser gewesen, sich im Vorfeld mit den anderen Fraktionen auszutauschen.

Gesellschaftliche Bedeutung

Diesem Vorwurf trat der SPD-Sportexperte Martin Gerster entgegen. Man habe etwas "auf den Tisch gelegt", worüber nun sachlich diskutiert werden könne. Es sei schließlich unstreitig, dass der Sport nicht nur Körperertüchtigung, sondern "von großer Bedeutung für die Gesellschaft ist", sagte Gerster. "Unser Vorschlag ist ausgesprochen minimalistisch", ergänzte sein Fraktionskollege Dieter Wiefelspütz. In Artikel 20a heiße es: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung." Jetzt solle lediglich der Satz folgen: "Er schützt und fördert ebenso die Kultur und den Sport." Damit werde man der herausragenden Bedeutung von Sport und Kultur gerecht, sagte Wiefelspütz. Im Übrigen betrete man kein Neuland. Nicht nur in vielen Landesverfassungen, sondern auch in vielen anderen Staaten seien Sport und Kultur als Staatsziel verankert.

Die Bedeutung von Sport und Kultur erkennt auch die Union an. Dass der Sport die größte Bürgerbewegung ist und Deutschland sich als Kulturstaat versteht, sei unstrittig, sagte deren Innenpolitiker Franz-Josef Jung. Aber: "Unsere Verfassung ist kein Warenhauskatalog." Es dürften nicht Erwartungen geweckt werden, die nicht erfüllbar sein, warnte der CDU-Abgeordnete. Zudem seien Schutzfunktionen für Sport und Kultur schon jetzt im Grundgesetz geregelt. "Durch die Aufnahme können dem Sport und der Kultur keine Rechte zuwachsen, die nicht jetzt schon gegeben sind", urteilte Jung. Der Sportexperte Stephan Mayer (CSU) warnte, man solle sich davor hüten, "alles was man gerade aufgrund des Zeitgeistes ganz nett und sympathisch findet, als Staatsziel in das Grundgesetz zu schreiben".

Auch im Bundesinnenministerium steht man einer Grundgesetzerweiterung skeptisch gegenüber. Das Ganze sei "überflüssig", befand der Parlamentarische Staatssekretär Christoph Bergner (CDU). "Nach Maßgabe des vom Parlament beschlossenen Haushalts und im Rahmen der föderalen Grundordnung lässt sich die Bundesregierung bei der Förderung von Kultur und Sport von niemanden überbieten", urteilte Bergner.

Linke will Fördergesetz

Das Vorhaben der SPD überbieten will offenbar die Linksfraktion. Der Verankerung im Grundgesetz stimme ihre Fraktion zu, weil es darum gehe, darin Ziele zu bestimmen und daraus auch Aufgaben abzuleiten, sagte Katrin Kunert. Ihre Fraktion wolle jedoch mehr. "Es fehlt ein Sportförderungsgesetz des Bundes, in dem der Sport als Ganzes behandelt wird", befand Kunert. Die hohe soziale Bedeutung des Sportes sei unumstritten. Daher müssten auch gute Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Situation von Sportvereinen und Sportstätten verbessern zu können. In einem Sportförderungsgesetz, argumentierte Kunert, könnten auch Grauzonen in den Übergängen von Zuständigkeiten beseitigt werden, um Planungssicherheit für den Sport zu schaffen, "statt immer nur festzustellen, wofür der Bund nicht zuständig ist".

Auf die Historie der Forderung nach einer Aufnahme der Staatsziele ins Grundgesetz ging Agnes Krumwiede (Bündnis 90/Die Grünen) ein. Im Jahr 2009 habe dies die FDP aus der Opposition heraus gefordert, was die SPD seinerzeit aber abgelehnt habe. Der aktuelle Vorstoß der SPD ohne Absprache mit anderen Fraktionen erzeuge den Eindruck, dass es weniger um die Sache als vielmehr um ein "Säbelrasseln für den Bundestagswahlkampf" geht. Die Kultur- und Sportfreundlichkeit der Fraktionen könne aber nicht an deren Zustimmung oder Ablehnung des Gesetzentwurfes gemessen werden, sagte Krumwiede. Als Kulturpolitikerin wisse sie, dass ein Staatsziel Kultur "nicht der Heilige Gral und auch kein Allheilmittel für die uns vertrauten Durchsetzungsprobleme ist".

Reiner Deutschmann erinnerte an das einstimmige Votum der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland". Hätte der Bundestag dies umgesetzt, würde Artikel 20b des Grundgesetzes heute lauten: "Der Staat schützt und fördert die Kultur." Mit der Aufnahme anderer Staatsziele habe man zudem ein Ungleichgewicht geschaffen, welches korrigiert werden müsse. Da das Staatsziel "Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" im Grundgesetz verankert sei, müssten die kulturellen und geistigen Lebensgrundlagen an gleicher Stelle geschützt werden. "Es ist eigentlich ganz einfach", fasste Deutschmann zusammen. "Wenn Umwelt und Tierschutz im Grundgesetz stehen, gehört auch die Kultur dahin."