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Schöne teure Welt

ENERGIEWENDE Steigende Strompreise gefährden die ambitionierten Ziele für die Erneuerbaren Energien. Ein Besuch bei Sparern

22.10.2012
2023-08-30T12:17:39.7200Z
7 Min

Jeder Tag bringt für Peter Altmaier (CDU) großes Kino. Er steht an diesem Montag in einem Saal der Nordischen Botschaften in Berlin, er weiß: Sie schauen alle auf ihn. Regierungspolitiker Europas in der ersten Reihe, danach Diplomaten und Forscher, dann auf den hinteren Rängen eine internationale Journalistenschar. "Ich freue mich, dass die Energiewende nicht mehr nur in inneren Zirkeln diskutiert wird", sagt er und zeigt lächelnd seine Zähne, "sondern in einer breiten öffentlichen Debatte."

Man sieht seinem Gesicht nicht an, ob sich der Bundesumweltminister tatsächlich über die gesteigerte Aufmerksamkeit freut. Grimmig und entschlossen schaut er drein, der Chef-Architekt dieses "nationalen Gemeinschaftswerks", welches im angelsächsischen Wortschatz schon jetzt keiner Übersetzung bedarf wie "Kindergarten", "Blitzkrieg" oder "Weltanschauung": Wie die "Energiewende" gelingen soll, wollen alle von ihm wissen, in einem mit dunkelrotem Leder bezogenen Saal, hinter dem Christdemokraten eine große Filmleinwand.

Saftige Preiserhöhung

Es ist kein guter Tag für Peter Altmaier. Vor zwei Stunden haben die Netzbetreiber eine saftige Preiserhöhung bekannt gegeben: Die Umlage für den Ökostrom steigt pro Kilowattstunde von 3,6 Cent auf 5,3 Cent. Ein Durchschnittshaushalt zahlt dann allein für die Umlage 185 Euro im Jahr - etwa 60 Euro mehr als bislang, wobei darin die Mehrwertsteuer noch nicht mit eingerechnet ist.

Dabei ist die Politik in einem Dilemma: Zum einen gelangen immer mehr regenerativ erzeugte Strommengen aus Wind, Sonne oder Biogas auf den Markt und machen die Erneuerbaren damit eigentlich billiger; die Differenz zum veranschlagten Garantiepreis für die Ökostromproduzenten erhöht sich damit und macht den Strom insgesamt teuer. Diese Differenz, die im Jahr 2013 rund 20,36 Milliarden Euro betragen wird, wird auf alle Stromkunden umgelegt und ergibt die sogenannte EEG- oder Ökostrom-Umlage.

Zum anderen sind viele energieintensive Unternehmen von der vollen Umlagezahlung befreit, um sie nicht im internationalen Wettbewerb zu schädigen. Dass vielleicht allzu viele in diesen Genuss kommen, wird gar Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Tag später andeuten: "Auch diesen Teil müssen wir uns noch mal anschauen, ob es eigentlich richtig war, dass wir so viele Unternehmen rausgenommen haben", sagte sie beim Arbeitgebertag.

Politiker stehen ungern als Preistreiber da. Peter Altmaier öffnet die Arme, schiebt sie vor, als wolle er ein Meer teilen. "Ich bin immer besorgt", sagt er mit Blick auf die steigenden Strompreise, "zeige es nicht immer, bin es aber." Ein Patentrezept präsentiert er nicht, sieht er auch nicht. Pocht aber auf mehr Stromeffektivität. "In Deutschland sollen bis 2020 zehn Prozent Strom weniger verbraucht werden", ruft er dem internationalen Publikum zu. "Wir können ein Modellland werden."

Ausbau mit Augenmaß

Doch vorerst muss er die Leute im eigenen Land von der Energiewende überzeugen, vom Ausstieg aus der Atomkraft und einem derart starken Ausbau der regenerativen Energien, dass sie bis 2050 rund 80 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland abdecken. Auf Twitter schreibt er nach seinem Auftritt in den Nordischen Botschaften Skandinaviens: "Der Ausbau der Erneuerbaren Energien war und ist richtig. Er muss weitergehen in Zukunft. Aber mit Augenmaß. Und ohne Schnellschüsse!"

Altmaiers Rechnung für den Bürger macht schon Sinn. Wer weniger Strom verbraucht, zahlt auch weniger. Doch geht das so leicht? Sein Ministerium setzt auf Sparberater, sie sollen künftig vielen Haushalten im Land zeigen können, wie sich der Stromzähler langsamer dreht. Vorerst indes kommen nur Bezieher von Hartz-IV oder Grundeinkommen in den Genuss solch kostenlosen Services.

Neun Kilometer südlich von den Nordischen Botschaften am weitläufigen Tiergarten durchteilen gedrungene Altbaustraßen den Neuköllner Kiez. Junge Studenten wohnen hier und viele Einwanderer. Ihr Bürgermeister beklagt die hohe Arbeitslosigkeit unter Arabern und Türken, aber auch unter den so genannten "Ur-Neuköllnern" gibt es hier etliche ohne Job. Viel zu tun also für den katholischen Wohlfahrtsverband "Caritas". Es ist 9.30 Uhr. Wenig los auf den Bürgersteigen, hier und da Maurer, die an verwaschenen Gründerzeithäusern den Putz ausbessern. Da fährt ein weißer Polo vor. Die Stromsparberater von der Caritas nehmen zwei Köfferchen von der Rückbank. Sie haben einen Termin bei Frau K.

In der 55-Quadratmeter-Wohnung steht kalter Rauch. Stefan Becker zückt ein Messgerät und beruhigt erstmal Frau K. "Nein, die Kaffeemaschine läuft ganz normal, die ist kein Stromfresser." Das war ihre größte Sorge gewesen; doch mehr Stirnrunzeln bereitet Stefan Becker und seinem Kollegen Muhammad Khalife der große Kühlschrank daneben. "Den hat mein verstorbener Mann vor 14 Jahren gekauft", lächelt Frau K. "Wenn der kaputt gehen sollte, lassen Sie sich bloß keinen schenken oder kaufen Sie keinen gebrauchten", rät Muhammad Khalife.

Kühlschränke sorgen oft für 25 Prozent des gesamten Stromverbrauchs in einem Haushalt. "Nun, dann spare ich mal auf einen neuen", murmelt Frau K leise. "Gibt es eigentlich bald eine Abwrackprämie für alte Kühlschränke? Würde sich doch lohnen", fragt sie. Ihr Haar hat die zierliche Mittfünfzigerin zu einen eleganten Zopf gebunden; seit zwei Jahren bezieht sie eine Berufsunfähigkeitsrente wegen ihrer kaputten Knochen, lebt mit ihrem 18-jährigen Sohn hier. "Eine Spülmaschine würde sich auch lohnen", schlägt Muhammad Khalife vor, aber da zieht Frau K. bloß die Schultern hoch.

Im Wohnzimmer, wo Frau K. schläft, wird Stefan Becker ebenfalls fündig. "Dieser Deckenstrahler da geht gar nicht", sagt er streng. Ach, sagt Frau K., den benutze sie eigentlich nie. Und der Fernseher in der Ecke? "Nun, zum Einschlafen mache ich ihn mit der Fernbedienung aus", erzählt sie.

Stefan Becker misst am Flachbildschirm eine Leistung von 4,1 Watt -im Stand-By-Modus. "Das macht sieben bis zehn Euro im Jahr aus", sagt er. Ein separater Stecker am Bett würde den unnötigen Strom abwürgen. "Na jut", antwortet Frau K. Sie schaut zufrieden. In zwei Wochen werden die Stromsparberater noch einmal kommen, mit konkreten Vorschlägen für die ganze Wohnung. "Da wird sich einiges machen lassen", verspricht ihr Stefan Becker.

Untersuchte solch ein Sparteam jeden Haushalt, würde im Land einiges an eingespartem Strom zusammenkommen, keine Frage. Und das Duo von der Caritas spart nur Strom mit konventionellen Methoden. Wie nah aber die Zukunft totaler Ersparnis ist, zeigt dagegen ein Haus wieder zurück am Berliner Tiergarten.

Effizienzhaus Plus

Ein schwarz glänzender Kubus in der Fasanenstraße lädt nicht gerade zum Verweilen ein. Der Eingang versteckt sich hinter grauem Glas. Nur der weiße BMW ist ein Hingucker, läuft doch ein orangefarbenes Stromkabel aus dem Hofboden dorthin, wo man den Tank vermutet. Unvermutet öffnet sich ein Spalt in der Glaswand, und Jörg Welke tritt heraus. "Diese Strompreisdebatte ist ein künstlicher Aufreger", sagt der 43-Jährige. "Strom ist immer noch zu billig. Verantwortlichen Umgang findet nur, was Wert hat und spürbar kostet." Er hat ein wenig gut reden, wohnt er doch in einem "Energieüberschusshaus", erbaut vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Bundesminister Peter Ramsauer (CSU) hatte persönlich in einem Losverfahren die Familie Welke bestimmt, die seit vergangenem Mai hier als Forschungsobjekt 15 Monate lang wohnt. Aber Jörg Welke hat gleich einen konkreten Vorschlag: "Es sollte einen Sozialsockel geben", schlägt er vor. "Die ersten 2000 bis 3000 Kilowattstunden sollten für einkommensschwache Haushalte frei sein." Dann könne der Strompreis ruhig exponentiell steigen. "Wer einen beheizten Pool im Keller haben will, soll halt dafür zahlen." Das "Effizienzhaus Plus" in der Fasanenstraße produziert mit Photovoltaik auf dem Dach 16.500 Kilowattstunden im Jahr. Den Verbrauch der vierköpfigen Familie schätzt Jörg Welke auf 3.000 bis 4.000 Kilowattstunden - inklusive Heizung und Warmwasser. Er zückt sein Smartphone. Auf einen sanften Druck hin öffnet sich eine Tür, Licht im Flur geht an. Alles lässt sich im Haus digital kontrollieren. "Der Energieverbrauch ist schon phänomenal niedrig", sagt er, und zeigt auf dreifach verglaste Fenster, mit Zellstoff und Hanf gedämmte Wände und die Fußbodenheizung. Die wird betrieben durch eine Wärmepumpe: "Der umgebenden Luft wird wie bei einem umgekehrten Kühlschrank die Wärme entzogen und diese mit einer Pumpe weiter erwärmt." Das gesamte Haus sei übrigens nahezu komplett recycelbar. "Wir müssen nur noch die Temperatur einstellen, von dem ganzen High-Tech kriegen wir nichts mit."

Ist das alles nicht ein wenig übertrieben, überhaupt ein Beispiel für Andere? Es kann schließlich nicht jeder in seinem eigenen Kraftwerk wohnen. Immerhin 1,75 Millionen Euro hat das 130-Quadratmeter-Wohnhaus gekostet. "Nun, Photovoltaik passt auf jedes Dach", sagt Welke. Und für Neubauten sollten gute Dämmung und Lüftung selbstverständlich sein. "Viele, viele solcher Häuser sollte man schaffen", sagt er zum Abschied. Und das könne man auch.

Derweil hetzt Umweltminister Peter Altmaier entlang einer Terminstafette. Hält Reden und Grußworte, legt nebenbei, mal abseits der Energiewende, einen Gesetzentwurf für eine neue Endlagersuche vor oder verteidigt in der Aktuellen Stunde des Bundestages seine Pläne für eine Neuregelung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Das möchte er gern in einem breiten gesellschaftlichen Konsens mit allen Beteiligten reformieren.

Das Internet indes kennt die ganze Woche über vor allem ein Thema: die neuen Strompreise. "Das Volk ist nicht blöd", wird Altmaier angetwittert. "Energiespartipps lösen das eigentliche Problem nicht. Strom ist für Privatleute zu teuer." Und der umtriebige Minister antwortet prompt: "Hab' ich auch nicht behauptet, aber bis ich Energiewende vom Kopf auf die Füße gestellt habe, kann man selbst schon mal was tun."

Der Autor arbeitet als freier Journalist

in Berlin.