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Wahre Harmonie

KULTUR Der Bund beteiligt sich maßgeblich an der Barenboim-Said-Akademie. Und setzt damit ein Zeichen für den Frieden

26.11.2012
2023-08-30T12:17:42.7200Z
4 Min

Dass Politiker überraschende Geldgeschenke verteilen können, passiert eher selten - umso mehr genießen die Parlamentarier aber dann ihre ungewohnte Freigiebigkeit. Auch dem FDP-Haushaltspolitiker Jürgen Koppelin ist die Freude über den gelungenen Coup in den Beratungen über den Kulturetat des Bundes noch Tage später anzumerken. Großartig sei es, die Barenboim-Said-Akademie unterstützen zu können, sagt er euphorisch, die nämlich sei ein "unglaubliches Projekt". "Damit wird es einen Ort geben, an dem junge Menschen aus Israel, Palästina, Ägypten, Jordanien und dem Libanon im wahrsten Sinne des Wortes harmonieren und gemeinsam Musik machen. Etwas Schöneres kann ich mir kaum vorstellen."

Ab 2015 will der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim im Magazin der Berliner Staatsoper Nachwuchsmusiker ausbilden. Die Absolventen seiner Akademie sollen Teil seines West-Eastern Divan Orchestra werden, das Barenboim 1999 mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said gegründet hat und das heute als weltberühmtes Friedensprojekt gilt.

Für einen Euro

Für das Vorhaben überließ das Land Berlin Barenboim die Räume für 99 Jahre zu einem symbolischen Preis von einem Euro jährlich. Das Gebäude soll künftig einen Konzertsaal für bis zu 800 Besucher, Unterrichtsräume und einen Musikkindergarten beherbergen. Obwohl sich der bekannte Architekt Frank Gehry und der Akustiker Yasuhisa Toyota bereit erklärt haben, gratis zu arbeiten, wird der Umbau des Magazins viel Geld kosten - etwa 28,5 Millionen Euro. 20 Millionen, verteilt auf die nächsten vier Jahre, gibt es dafür nun vom Bund, der Rest soll von privaten Spendern aufgebracht werden. Wenige Tage vor Barenboims 70. Geburtstag verkündet, konnte der die Entscheidung des Haushaltsausschusses des Bundestags als großes Geschenk werten.

Bislang kommen die Musiker des West-Eastern Divan Orchestra einmal im Jahr zusammen, um zu proben und schließlich gemeinsam aufzutreten. Aufgrund der schwierigen politischen Lage im Nahen Osten ist das immer wieder mit Schwierigkeiten verbunden: Jedes Jahr gibt es erneut Schwierigkeiten bei der Visavergabe und diplomatische Verwicklungen. Mit dem festen Sitz in Berlin soll sich das künftig ändern.

Das Orchester war niemals nur ein kulturelles Projekt - es ist hochpolitisch. Er kämpfe damit gegen die Ignoranz beider Konfliktparteien, hat Daniel Barenboim einmal gesagt. Nirgendwo anders gebe es einen Konflikt wie den im Nahen Osten, wo zwei Völker glaubten, allein auf demselben Stück Land leben zu müssen. Er habe jedoch mit seinem Orchester des West-Eastern Divan erlebt, wie vermittelnd und erzieherisch gemeinsames Musizieren sein könne. Deswegen werde seine Akademie auch nicht nur Musik unterrichten, sondern auch Philosophie und Geschichte lehren. Mit ihrer Entscheidung, die Akademie zu unterstützen, setze die Bundesrepublik ein Zeichen zur Überwindung der Sprachlosigkeit im Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis, sagte Barenboim.

Auch für Jürgen Koppelin ist es dies ein emotionales Anliegen. Gerade jetzt, angesichts der jüngsten Konflikte, habe sich einmal mehr bestätigt, wie wichtig Barenboims Bestrebungen zur Völkerverständigung seien. Berlin setze damit ein Signal für seine Weltoffenheit. "Dafür muss Geld da sein."

Davon ist auch Agnes Krumwiede, kulturpolitische Sprecherin der Grünen, überzeugt. Als Bildungseinrichtung und Begegnungsstätte für Musiker aus dem Nahen Osten werde die Akademie "das deutsche Musikleben bereichern". Sie sei von dem ganzheitlichen Ansatz des Konzeptes, das für die Studenten nicht nur Instrumentalunterricht, sondern auch Philosophiekurse vorsehe, "rundum überzeugt". Das Publikum könne sich schon jetzt auf "unvergessliche Konzerterlebnisse" freuen.

Dennoch ist Krumwiede nicht glücklich damit, wie die Entscheidung für die Förderung gefallen ist. Regelmäßig werde der Kulturausschuss bei Fördermaßnahmen "durch den Kulturstaatsminister vor vollendete Tatsachen gestellt". Auch bei der Bereinigungssitzung für den Haushalt 2013 seien "hinter verschlossenen Türen und ohne Debatte im Kulturausschuss 100 Millionen Euro verteilt" worden. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) hingegen nannte es einen "Glückstag für die Kultur in Deutschland".

Unmut in der Künstlerszene

Weniger beglückt fühlen sich indessen viele Berliner Künstler, deren Einrichtungen chronisch unterfinanziert sind. Schon eine Million, meint der Geschäftsführer des Grips-Theaters, Volker Ludwig, würde seinem eigenen Projekt beim Überleben helfen, Barenboims Akademie aber wohl nicht gefährden. Und erst im Sommer dieses Jahres klagte der Münchner Opernintendant Nikolaus Bachler, er bekomme keinen guten Nachwuchs mehr, "weil zum Beispiel Herr Wowereit in Berlin Herrn Barenboim so mit Geld überschüttet, dass die Musiker dort um vieles mehr verdienen als hier". Krumwiede kann "den Unmut einiger Kulturschaffender nachvollziehen, die für ihre Projekte selbst Unterstützung durch den Bund benötigen und leer ausgehen, während einem renommierten Dirigent wie Daniel Barenboim alle Türen geöffnet werden".

Tatsächlich ist Barenboim nicht nur ein Weltklassedirigent, sondern auch ein begabter Geldeinwerber. Im November 2000 profitierte er von einem Überraschungscoup des damaligen Kulturstaatsministers Michael Naumann (SPD). Der stellte Barenboims Staatsoper unerwartet 3,5 Millionen Euro zu, obwohl der Bund sich zuvor immer geweigert hatte, eines der drei Berliner Opernhäuser finanziell zu unterstützen. Die Entscheidung fiel damals pünktlich zu Barenboims 58. Geburtstag. Zum 70. gab es für den Künstler also wieder Geld - und eine für ihn erfreuliche Personalie gleich dazu: Die Geschäftsführung der neuen Akademie wird sein alter Freund Michael Naumann übernehmen.