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Kurz notiert

18.03.2013
2023-08-30T12:23:56.7200Z
4 Min

Wer sich für die politische Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts interessiert, wird bei Jan-Werner Müller neue interessante Ansätze und Erklärungsmodelle finden. In seinem gut lesbaren Buch beschreibt der in Princeton lehrende Professor, wie das Zeitalter der Ideologien und des Hasses die Jahrzehnte seit dem Ersten Weltkrieg bis zum Zerfall des kommunistischen Systems in Mittel- und Osteuropa prägte. Dabei erwiesen sich nicht nur die eher abstrakten politischen Theorien als wirkmächtig, sondern vor allem die Konzepte, die in praktische Politik umgesetzt wurden. Deshalb räumt der Autor "Bürokraten mit Visionen", aber auch einflussreichen "philosophierenden Staatsmännern" und "berufsmäßigen Ideenvermittlern" viel Platz in seinem Buch ein. Gerade die zuletzt genannten seien im Zeitalter der Massendemokratie gefragt, weil sie die Herrschafts- und Institutionsformen der politischen Systeme rechtfertigten.

Laut Müller begann Europas "demokratisches Zeitalter" unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Mit Blick auf den real existierenden Staatssozialismus oder den Faschismus mag diese These überraschen. Der Autor verweist jedoch auf einen Wert wie Gleichheit, den selbst die Machthaber totalitärer Staaten ihren Bürgern zu verwirklichen versprachen. Auch wenn sie nur als Kollektivsubjekt - sei es als klassenlose Gesellschaft oder als reinrassige Volksgemeinschaft - erreicht werden sollte.

Die Nachkriegsdemokratien in Westeuropa hätten sich nicht nur in klarer Abgrenzung zum Staatsterror und zum aggressiven Nationalismus, sondern auch "zur totalitären Vorstellung der uneingeschränkten historischen Handlungsmöglichkeiten von Kollektivsubjekten" definiert, betont Müller. Dies habe zu stabilen Demokratien geführt, die sich freiwillig dem Urteil und den Richtlinien "nicht gewählter" Institutionen, wie Verfassungsgerichten oder den Europäischen Gemeinschaften, unterstellten. Gerade diese Institutionen hätten sich als Gegengewicht zu populistischen Strömungen bewährt.

Jan-Werner Müller:

Das demokratische Zeitalter. Eine politische Ideengeschichte Europas im 20. Jahrhundert

Suhrkamp Verlag, Berlin 2013; 509 S., 39,95 €

Sein Name gilt seit rund 500 Jahren als der Inbegriff eines zynischen Politikverständnisses, das ausschließlich dem Prinzip folgt: es ist alles erlaubt, solange es von Erfolg gekrönt ist. Der Vorwurf des Machiavellismus gehört bis heute mit zu den beliebtesten Angriffen auf den Kontrahenten im politischen Geschäft. Dabei wurde und wird noch immer gerne übersehen, dass der 1469 in Florenz geborene Niccolò Machiavelli in seinen berühmten Schriften - wie etwa "Il principe" oder "Discorsi" - die Kategorie Macht ganz analytisch und weniger normativ beschrieb. Und zwar auf der Grundlage dessen, was er selbst in seiner Karriere als Politiker und Diplomat beobachten konnte.

Der Historiker und Renaissance-Experte Volker Reinhardt nimmt in seiner exzellenten Biographie Machiavellis eine Art Ehrenrettung für den ebenso oft gescholtenen wie missverstandenen Staatsphilosophen vor. Machiavelli habe als erster überhaupt die Grundsätze einer Staatsräson formuliert. Die lautete: "Der Herrscher, der dem Staat dient, muss die Gesetze der traditionellen Moral verletzen. Schreckt er davor zurück, geht er zusammen mit seinem Staat unter, dessen elementaren Bedürfnisse er aus falsch verstandener Menschlichkeit vernachlässigt hat." Und Machiavelli habe "der Politik die Maske der Wohlanständigkeit" heruntergerissen" und "Herrschaft als Inszenierung der Propaganda entlarvt".

Reinhardt gelingt es, auch stilistisch auf höchstem Niveau, die Biographie Machiavellis mit seinen Lehren zu verknüpfen und damit für den Leser nachvollziehbar und verständlich darzustellen. Reinhardt geht es darum, Machiavelli aus seiner Zeit heraus zu verstehen und zu erklären. Ihn und seine Lehren mit Blick auf die faschistischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts zu verdammen, lehnt Reinhardt entschieden ab. Ebenso, ihn als Vordenker einer pluralistischen Demokratie zu vereinnahmen. Machiavelli sei vor allem ein "brillanter intellektueller Außenseiter" gewesen, "der Hilfsmittel gegen die Krisen seiner Zeit erfand". In diesem Sinne sei er aber für alle Zeiten zum "Stein des Anstoßes" geworden.

Volker Reinhardt:

Machiavelli oder Die Kunst der Macht. Eine Biographie

Verlag C.H. Beck, München 2012; 400 S., 24,95 €