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Bürger unter Strom

NETZAUSBAU Wo die Energiewende mit neuen Hochspannungstrassen konkret wird, formiert sich der Widerstand der Anwohner

18.03.2013
2023-08-30T12:23:56.7200Z
7 Min

Bisher war in Winkelhaid nahe Nürnberg die Welt noch in Ordnung. Zwölf Vollerwerbshöfe gibt es hier, gut zwei Dutzend denkmalgeschützte Bauten, darunter die überregional wichtige Johanniskirche, in der früher Theologiestudenten ihre ersten Probepredigten hielten und für das Seelenheil der Winkelhaider Gläubigen beteten. Doch heute ist es mit dem Seelenfrieden der rund 4.000 Einwohner vorbei. Quer durch ihr Wohngebiet, Richtung Penzenhofen, soll die bereits bestehende 220.000-Volt-Hochspannungsleitung "aufgerüstet" werden -auf 380.000 Volt. Die in Berlin durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verkündete Energiewende ist schuld und natürlich Fukushima, die Atomkatastrophe in Japan vor ziemlich genau zwei Jahren. Und hier in Winkelhaid, ausgerechnet in Winkelhaid, soll die Energiewende nun konkret werden. Durch eine neue Leitung.

"Für Bürger bedeutet das in einem Bereich von 400 Metern links und 400 Metern rechts der jetzigen Trasse eine massive Erhöhung des Elektrosmogs, der Lärmbelästigung durch Knistern der Leitung und ein unkalkulierbar erhöhtes Gesundheitsrisiko durch Ausfall von Schadstoffen in Windrichtung", erklärt Walter Hübner, Sprecher der neu gegründeten Bürgerinitiative gegen die "Aufrüstungspläne" des Netzbetreibers Tennet. Betroffen seien nicht nur die unmittelbar unter und neben den Leitungen wohnenden Winkelhaider, sondern auch die Grundschule in der Penzenhofener Straße und die beiden Kindergärten im Brunnleithenweg. In der Apcer Straße stehe zudem ein Hochspannungsmast mitten im Kreisverkehr. Vorrangiges Ziel der Initiative sei deshalb die Verhinderung der geplanten "Stromautobahn" über Winkelhaid. Alternativ fordert man eine Erdverkabelung und/oder eine Verlegung der Trasse aus dem Ort heraus. "Es gibt Alternativen zu den heutigen Freileitungsmasten und zum Trassenverlauf, die die Menschen schützen und die Umwelt weniger belasten", sagt Hübner. Letztlich laufe alles auf eine reine Kostenfrage hinaus: "Da geht es um die Abwägung, wie viel die Gesundheit der Winkelhaider Bürger wert ist."

Von Nord nach Süd

Szenenwechsel in den Norden: Denn von hier, wo vor allem der Wind zu Land aber auch auf dem Meer kräftig bläst, soll der Strom in den Süden der Republik transportiert werden. Dort sitzen die energiehungrigen Industrien. Doch in Fedderingen, in der "Kirchspielgemeinde" Eider in Dithmarschen sieht man das anders. Hier ist die Welt ebenso wie im Nürnberger Land in Ordnung. Eigentlich. Und schon immer. Gegen die Dänen hat man hier vor langer Zeit einmal gekämpft. Der berühmteste Einwohner Fedderingens, Hans Reimer Claussen, musste deswegen sogar bis nach Amerika auswandern, wo er ausgerechnet in der Prohibitionsgesetzgebung des Staates Iowa ein gewichtiges Wort mitzureden hatte. Heute wird in Fedderingen wieder heftig gestritten - in der Bürgerinitiative "Westküste Trassenfrei" über die geplante "Stromautobahn" von Niebüll über Husum nach Heide - mitten durch die schützenswerte Eider-Treene-Niederung. Von den Planern des Netzbetreibers wird das Gebiet dieser Trasse als eine Region "mit sehr hohem Raumwiderstand" bezeichnet. Die Fedderingenser nehmen dies als Auszeichnung. Im Herbst will man hier eigentlich mit dem Raumordnungsverfahren für die Detailplanung der Strommastentrasse beginnen. Baubeginn soll 2018 sein. Doch bis dahin wird sich der Netzbetreiber durch André Tesch und Jürgen Dithmer von der Bürgerinitiative und ihren Mitstreitern noch einige Nachfragen und vor allem viel Widerstand gefallen lassen müssen.

Im Windland

Das gilt besonders auch für Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), den stellvertretenden Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins. Er trägt als erster Minister in Deutschland den Titel "Energiewende-Minister". "Der Netzausbau ist die Herausforderung der Energiewende schlechthin. Im Windland Schleswig-Holstein lässt sich das wie unter einem Brennglas beobachten", meint Habeck und treibt in allen Landesteilen Schleswig-Holsteins Netzinfrastrukturprojekte voran, um den boomenden Ausbau der Windenergie auch in den nächsten Jahren fortführen zu können. Keine leichte Aufgabe. "So wichtig der Netzausbau ist - er muss mit den Interessen von Mensch und Natur in Einklang gebracht werden. Das ist ein hartes Stück Arbeit, aber ich bin zuversichtlich, dass es gelingt", sagt Habeck.

Das aber ist leichter gesagt als getan. Denn nebenan, im Kreis Plön, genauer gesagt in Schwentinental/Pohnsdorf haben sie sich in der Bürgerinitiative "Unter Hochspannung" zusammengeschlossen, um gegen die Pläne für eine neue Energie-Autobahn vom Umspannwerk im ostholsteinischen Göhl bis nach Kiel zu protestieren. Die Trasse soll Ökostrom transportieren - zerstört nach Worten der Initiative jedoch die Natur. "Wir lassen uns nicht veralbern", sagt Initiativen-Sprecher Malte Graf. Der Pohnsdorfer bekommt Rückenwind vom Landesnaturschutzbund SH (LNV): "Das ist eine Trittbrett-Trasse, die mit der Energiewende nichts zu tun hat", betont Ragnar Schaefer, Geschäftsführer des LNV. "Diese Trasse ist nur ein Beispiel von vielen. Im Netzentwicklungsplan Strom sind im gesamten Bundesgebiet jede Menge Trassen eingeplant, die kritisch hinterfragt werden sollten", fordert Graf.

Im benachbarten Niedersachsen sieht es nicht anders aus: Nicht nur im Nordwesten formiert sich der Widerstand gegen den Ausbau von Hochspannungstrassen. Auch im Südosten wollen Bürgerinitiativen verhindern, dass die Stromleitungen in der Nähe von Städten und Gemeinden gebaut werden und fordern eine Erdverkabelung. Bewohner aus allen 130 Ortschaften im Gebiet der Hochspannungstrasse zwischen Wahle (Landkreis Peine) und Mecklar (Landkreis Hersfeld-Rotenburg in Hessen) protestieren. Überall in der gesamten Republik stößt die Energiewende, dort wo sie konkrete Gestalt annimmt, auf teils erbitterten Widerstand. Neue Energien - ja gerne und möglichst sauber. Aber neue Leitungen über meinem Haus - nein danke - so lautet die schlichte Wahrheit. Auch im Rheinland, im Kreis Neuss und hier in der 7.500-Einwohner-Gemeinde Reuschenberg etwa. Zwar steht über dem Haus von Willi Traut bereits heute ein 33 Meter hoher Strommast. Er stand schon immer da, jedenfalls bevor es das Dörfchen Reuschenberg und das Haus von Willi Traut gab. Aber jetzt soll ein neuer Mast, ein so genannter "Monster-Mast" kommen. Höher und größer. Für 380 Kilovolt ausgelegt. Denn um die bislang geltenden Elektro-smog-Grenzwerte am Boden bei stärkeren Leitungen einhalten zu können, planen die Betreiber mit bis zu 60 Meter hohen Riesenmasten.

Breite Schneisen

Willi Traut ist dagegen. Die Leitung könne gerne in seinem Garten verbuddelt werden, aber nicht weiterhin über seinem Haus hängen, meint er. Und mit ihm die lokale Bürgerinitiative "Pro Erdkabel", die wiederum auf Landesebene Mitglied bei "Pro Erdkabel NRW" ist. Alle Argumente, dass die Verlegung eines Erdkabels um ein Vielfaches teurer würde und eine 30 Meter breite Schneise entlang der Kabeltrasse benötige, helfen nichts. Hinzu kämen alle paar Kilometer technisch notwendige Einrichtungen, so genannte Umspannwerke, entlang der Strecke jeweils in Garagengröße. Willi Traut in Reuschenberg ist dennoch gegen die oberirdische Variante.

Und mit ihm viele andere Bürger auch. Und sie protestieren - gegen die "Verspargelung" der Landschaft durch übergroße Windräder, gegen Offshore-Windparks, Biogasanlagen, Solarparks und Stromtrassen. Allein 30 Bürgerinitiativen gegen den Stromtrassenbau gibt es in Brandenburg. Beim Bau einer Trasse vom nordhessischen Mecklar ins niedersächsische Wahle gab es im Rahmen eines Raumordnungsverfahrens in Hessen rund 8.000 Einwendungen. In Niedersachsen waren es sogar 14.000. Als Musterbeispiel für Verzögerungen galt dabei lange Zeit die "Thüringer Strombrücke". Während Teilabschnitte der gut 170 Kilometer langen Strecke nach Bayern bereits fertig sind, gab es im Thüringer Wald selbst seit sage und schreibe zehn Jahren heftigsten Widerstand. Denn hier kämpfen die Anwohner in einer Initiative mit dem Namen "Achtung Hochspannung". Sie befürchten Umweltzerstörungen in dem Naturpark und Schäden für den Tourismus. Doch im benachbarten Bayern wird der Strom aus Thüringen schon bald dringend gebraucht, dann nämlich, wenn 2015 das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld vom Netz geht. Die für dieses Jahr vorgesehene Inbetriebnahme der Stromautobahn ist schon lange nicht mehr zu halten gewesen - "aufgrund der Komplexität der Verfahren", wie die Bundesnetzagentur beklagt. Dass einige Kommunen sich zudem an den Kosten für Gerichtsverfahren gegen das Projekt beteiligen, trägt ebenfalls nicht gerade zur Vereinfachung bei. Bis zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sind die Bürger von "Achtung Hochspannung" gegangen, damit ihre Proteste endlich irgendwo Gehör fanden. Vor kurzem erst wiesen die Richter ihre Einsprüche ab. Die Leitung darf nun doch - endlich - gebaut werden.

Für Frank Weber, den energiepolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag, ist dies ein Meilenstein in der Rechtsprechung, da der Richterspruch Präzedenzwirkung entfalten könne: "Der Netz-um- und -ausbau ist unumgänglich, wenn die Energiewende hin zu einer klimaschonenden und risikoarmen Energieversorgung gelingen soll", erklärt Weber.

Entschädigungen

Und die kostet viel Geld. Sehr viel Geld. Von dem man vielleicht auch ein wenig abhaben könnte, meint zum Beispiel Winfried Hanft, Landwirt aus Rödental-Unterwohlsbach in der Nähe von Coburg. Über seine Felder soll eine dieser neuen Leitungen gehen. Das Planfeststellungsverfahren steht kurz vor dem Abschluss. Erst dann darf der Netzbetreiber, die Tennet, mit dem Bau der umstrittenen Stromtrassen beginnen. Als Entschädigung ist für die Eigentümer eine einmalige Ausgleichszahlung vorgesehen. Dagegen wehrt sich der Bauernverband. "Wir wollen den jährlichen Ausgleich. Ein Jungbauer, der das Grundstück in 20 Jahren von seinem Vater übernimmt, hat doch nichts von einer Einmalzahlung", so Hans-Jürgen Rebelein vom Bayerischen Bauernverband. Man habe deshalb deutschlandweit die Rahmenvereinbarung über Entschädigungen gekündigt und denkt nach. Worüber ist klar: über einen Musterprozess.