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Rente mit 69 im Blick

Wachstums-Enquete Debatte über "nachhaltig gestaltende Ordnungspolitik"

18.03.2013
2023-08-30T12:23:56.7200Z
3 Min

Wer mit dem verwinkelten parlamentarischen Prozedere nicht vertraut ist, versteht wohl nicht auf Anhieb, was sich bei der Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" abgespielt hat. Das Gremium debattierte vergangene Woche einen Bericht, den die Projektgruppe 4 unter Leitung Edelgard Bulmahns (SPD) über "nachhaltig gestaltende Ordnungspolitik" im Finanzwesen und im Umweltsektor entworfen hatte. In einem Kapitel über finanzielle Risiken, die der demographischen Entwicklung entspringen, hatte die Koalition unter Verweis auf den Sachverständigenrat die Forderung nach einer Rente mit 69 im Jahr 2060 verankert, um so die "Tragfähigkeitslücke der öffentlichen Haushalte" einzudämmen.

Höheres Rentenalter

Ein rotes Tuch für die Opposition, es kam zur Kampfabstimmung: Mit 17 gegen 15 Stimmen setzten sich Union und FDP gegen SPD, Linke und Grüne durch. Dann aber wurde die gesamte Expertise inklusive des Plädoyers für ein höheres Rentenalter einstimmig verabschiedet. Zuerst votiert die Opposition gegen die Rente mit 69, dann doch dafür? Des Rätsels Lösung: Teil des Berichts sind auch diverse Sondervoten von SPD, Linken und Grünen, in denen unter anderem die Anhebung des Rentenalters abgelehnt wird.

Ein Reizthema wie die Rente mit 69 erregt natürlich Aufmerksamkeit. Im Grunde aber ist das noch Zukunftsmusik. Bemerkenswerter ist, dass im Sinne von mehr Stabilität und Nachhaltigkeit im Finanzsektor weithin fraktionsübergreifend Regulierungsmaßnahmen gefordert werden, die in ihrer Strenge über das hinausreichen, was ansonsten diskutiert wird. "Sonst können wir eine erneute Krise wie 2008/2009 nicht ausschließen", argumentierte Bulmahn.

Die Projektgruppe 4 sollte in einem "ordnungspolitischen Instrumentenkasten" Mittel und Wege benennen, mit deren Hilfe das Ziel der Nachhaltigkeit erreicht werden kann. "Wir wollen Nachhaltigkeit nicht nur in Sonntagsreden proklamieren, sondern konkrete Vorschläge zur Umsetzung dieses Prinzips präsentieren", sagte Bulmahn.

Bankenaufsicht

Die Parlamentarier verlangen eine wirkungsvolle europäische Bankenaufsicht mit "echten Durchgriffsrechten" auf Kreditinstitute. Deren Eigenkapitalquoten müssten höher sein als bislang international vorgesehen, bei system- relevanten Einrichtungen sollen die Auflagen noch rigider sein. Schluss sein soll mit "Schattenbanken", Finanzinstitute dürften ihre Aktivitäten nicht mehr in Zweckgesellschaften auslagern, um sich der Regulierung zu entziehen. Zum Katalog gehört auch, Verbriefungen zu erschweren. All dies steht unter der Leitlinie, im Bankensektor Risiko und Haftung wieder zusammenzuführen.

Auf Ablehnung bei Union und FDP stieß die Idee von SPD, Linken und Grünen, im Sinne nachhaltiger öffentlicher Finanzen die Einnahmen zu erhöhen, etwa über eine Vermögenssteuer. Ansonsten herrschte aber auch beim Thema Finanzpolitik viel Einigkeit. Weitreichende Folgen hätte eine These, so sie Eingang in die Politik finden sollte: Künftig soll zuerst geklärt werden, welche gesellschaftlichen Aufgaben der Staat erledigen soll, etwa in der Bildung und im Gesundheitswesen, und danach soll sich der Geldbedarf bemessen - und nicht umgekehrt. Das Konzept der Schuldenbremse wird befürwortet, nur die Linksfraktion sieht das anders. Mehr Zuwanderung, höhere Erwerbsquoten bei Älteren und Frauen, weniger Arbeitslose: Auch dies soll zur "Nachhaltigkeit öffentlicher Finanzen" beitragen. Erstaunlich wenig Kontroversen taten sich in der Umweltpolitik auf.

Mehr Nachhaltigkeit in der Chemieindustrie? Natürlich: Die Branche soll mehr biologisch abbaubare Verpackungsmaterialien herstellen und fossile Ressourcen durch Biomasse ersetzen. Auch sollen sich einzelne Betriebe in "Chemieparks" niederlassen, um über eine Vernetzung von Produktionsketten die Verwertungsquote bei Rohstoffen zu erhöhen und Müllmengen zu senken.

Erneuerbare Energien fördern, den EU-Emissionshandel reformieren: Auch solche klimapolitischen Forderungen muten wenig spektakulär an. Streit kam bei der Frage auf, ob bei der Verminderung von Treibhausgasen Fortschritte vor allem über internationale Vereinbarungen oder über eine Vorreiterrolle der Bundesrepublik erreicht werden können. Hermann Ott (Bündnis 90/Die Grünen) mahnte, die von Deutschland ausgehende "enorme Signalwirkung" nicht zu unterschätzen. Aus Sicht von Judith Skudelny (FDP) bringen indes nationale Vorstöße nicht viel, solche Anstrengungen müsse man mit der internationalen Politik koppeln.

Problem vertagt

Ein umkämpftes Thema wurde erst einmal vertagt, nämlich das Kapitel über Prinzipien der Ordnungspolitik. Für die Koalition trat der von der FDP benannte Sachverständige Karl-Heinz Paqué mit Verve dafür ein, auch angesichts der sich durch die Nachhaltigkeit stellenden neuen Herausforderungen nicht mit dem System der sozialen Marktwirtschaft zu brechen, sondern diese "in pragmatischer Weise weiterzuentwickeln". Die Marktwirtschaft werde auch jetzt wieder ihre "ungeheure Anpassungsfähigkeit" unter Beweis stellen.

Die Opposition hingegen will eine "sozialökologische Transformation". Bulmahn forderte deshalb eine "Neujustierung der sozialen Marktwirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit".

Angesichts großer Krisen wie dem Klimawandel oder der gesellschaftlichen Spaltung in Arm und Reich würden "kleinere pragmatische Anpassungen" nicht mehr weiterhelfen. Die Koalition unterschätze die "Dramatik der Veränderungen".