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Gerade mal zwölf Minuten

OPPOSITION Linke und Grüne sehen in einer Großen Koalition die parlamentarische Kontrolle gefährdet

28.10.2013
2023-08-30T12:24:06.7200Z
4 Min

Es sind 31 Stimmen, die fehlen. Doch diese 31 Stimmen entscheiden darüber, dass die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen im Fall einer Großen Koalition aus Union und SPD ihrer Rolle als Opposition nur sehr schwer gerecht werden könnten. Und die Hauptaufgabe einer Opposition lautet: Kontrolle der Regierung.

In einer parlamentarischen Demokratie wie der Bundesrepublik zeichnet zwar der Bundestag insgesamt für die Regierungskontrolle verantwortlich, doch in der gelebten Praxis herrscht eine klassische Rollenverteilung. Während die Mehrheitsfraktion oder -fraktionen den Zielen einer Regierung die nötige parlamentarische Mehrheit sichern, liegt die Kontrollfunktion eher bei der Opposition. Zumindest dann, wenn diese Kontrolle medien- und öffentlichkeitswirksam ausgeübt wird.

Einschränkungen

Einer Opposition steht im Bundestag durchaus ein breites Instrumentarium an Möglichkeiten zur Verfügung, um einer Regierung auf den Zahn zu fühlen. Aber etliche gewichtige Rechte sind durch das Grundgesetz und die Geschäftsordnung des Bundestages an Mindestvoraussetzungen gekoppelt (siehe Leiste links). So liegt das Quorum für eine Normenkontrollklage, eine Subsidiaritätsklage, die Einsetzung eines Untersuchungsauschusses oder eine Enquete-Kommission sowie eine öffentliche Anhörung in den Fachausschüssen bei einem Viertel aller Abgeordneten. Im 631 Sitze umfassenden 18. Deutschen Bundestag sind dies 158 Mandate. Linke und Grüne verfügen zusammen jedoch nur über 127 Sitze.

Doch auch die Debattenkultur im Bundestag könnte angesichts der Mehrheitsverhältnisse leiden. So entfallen auf Linke und Grüne nach der üblichen Berechnung in einer einstündigen Aussprache gerade mal zwölf Minuten. Und so unkte Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, launig, die Opposition könnte bereits eingeschlafen sein, bis erstmals ein Abgeordneter aus ihren Reihen an das Rednerpult darf.

Wie erdrückend die Mehrheitsverhältnisse im Fall einer scharz-roten Koalition im neuen Bundestag wären, bekamen Linke und Grüne bereits in der konstituierenden Sitzung in der vergangenen Woche demonstriert. Noch vor dem offiziellen Beginn ihrer Koalitionsverhandlungen hatten sich CDU/CSU und SPD auf eine Erhöhung der Zahl der Bundestagsvizepräsidenten geeinigt. Und sie taten dies, ohne sich mit den beiden kleinen Fraktionen darüber zu verständigen. Da nutzten dann auch die leidenschaftlichen Plädoyers der beiden Ersten Parlamentarischen Geschäftsführerinnen der Linken und Grünen, Petra Sitte und Britta Haßelmann, nichts. Am Ende entschied das übermächtige Votum von Union und Sozialdemokraten. Da mochte sich so mancher Abgeordneter an das berühmte Zitat von Franz Müntefering (SPD) erinnert fühlen: "Opposition ist Mist."

Zwischen Linken und Grünen bestehen trotz des gemeinsamen Ziels offensichtlich unterschiedliche Auffassungen, wie der Kampf um ihre Minderheitenrechte im Bundestag zu führen ist. Während sich die Grünen-Fraktion etwa in der Abstimmung über die zu beschließende Geschäftsordnung des Bundestages geschlossen der Stimme enthielt, votierte der Großteil der Linksfraktion bei wenigen Enthaltungen für deren Annahme.

Britta Haßelmann ist "irritiert" über das Abstimmungsverhalten der Linken (siehe Interview unten). Und dies nicht ohne Grund. Denn eine ganze Reihe der parlamentarischen Kontrollrechte sind in der Geschäftordnung geregelt und ließen sich durch eine entsprechende Änderung auf die beiden kleinen Fraktionen übertragen. Selbst das im Grundgesetz genannte Quorum von einem Viertel aller Abgeordneten für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ließe sich so umgehen. Denn in Artikel 44 heißt es wörtlich: "Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen (...)." Das bedeutet aber auch, dass der Bundestag bei einem niedrigeren Quorum einen Untersuchungsausschuss beschließen kann.

Grundgesetzänderung

Andere Rechte hingegen ließen sich aber wohl doch nur durch eine Verfassungsänderung bewerkstelligen. So ist eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht an das 25-Prozent-Quorum gebunden. Dies gilt auch für eine Subsidiaritätsklage vor dem Europäischen Gerichtshof. Vor allem die Normenkontrollklage gegen Gesetze hat in den zurückliegenden Legislaturperioden an Bedeutung gewonnen. Immer wieder musste Karlsruhe darüber entscheiden, ob Gesetze im Einklang mit dem Grundgesetz stehen. Gregor Gysi hat deshalb bereits mehrfach dieses Recht für die Opposition angemahnt. Wenn dies in dieser Wahlperiode nicht mehr wahrgenommen werden könnte, dann müssten sich Bürger jahrelang durch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht klagen. Einen Vorschlag für eine Grundgesetzänderung hat Gysi auch parat: Das Quorum sollte gestrichen werden. Statt dessen sollte eine Klage ermöglicht werden, wenn dies von den Oppositionsfraktionen geschlossen angestrebt wird.

Union und SPD haben zwar prinzipiell zugesagt, die Minderheitenrechte der Opposition wahren zu wollen. Wie weit sie dabei konkret gehen werden, ist noch nicht klar. Auch darüber soll in den Koalitionsverhandlungen gesprochen werden. Die Union steht einer erneuten Grundgesetzänderung allerdings skeptisch gegenüber. Die Minderheitenrechte ließen sich auch auf anderem Weg ermöglichen, stellte Michael Grosse-Brömer (CDU), Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Fraktion klar. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der in der konstituierenden Sitzung die Rechte der Opposition anmahnte, äußert sich in diesem Sinn (siehe Seite 2).

Bereits in der vergangenen Großen Koalition von 2005 bis 2009 waren die Anforderungen im Grundgesetz für die Kontrollrechte der damaligen Opposition aus FDP, Linken und Grünen von einem Drittel auf ein Viertel der Abgeordneten gesenkt worden. Während der ersten Großen Koalition 1966 bis 1969 waren die Verhältnisse für die Opposition deutlich ungünstiger: Damals standen 447 Abgeordnete von Union und SPD 49 FDP-Parlamentariern gegenüber. Dies förderte zugleich aber auch die Bildung der sogenannten außerparlamentarischen Opposition (APO) und den Widerstand in der Bevölkerung gegen diverse Gesetzesvorhaben.