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Bundesrat Ruhig und konzentriert

PLENUM Rund ein Dutzend Mal im Jahr tagt die Länderkammer. Ein Besuch bei der jüngsten Sitzung: So arbeitet der Bundesrat

18.11.2013
2023-08-30T12:24:07.7200Z
8 Min

Freitag, 8. November; 9.05 Uhr. Vor dem Westflügel des Bundesratsgebäudes in Berlin versperrt eine Besuchergruppe den Bürgersteig, bis sie durch einen Seitengang in das imposante Gebäude eingelassen wird. Eine dreiflügelige, neoklassizistische Anlage, die einen Ehrenhof zur stark befahrenen Leipziger Straße hin umschließt. Ein durchaus geschichts-trächtiger Ort: Die Immobilie war 1904 für das Preußische Herrenhaus fertiggestellt worden, das zusammen mit dem Abgeordnetenhaus die Legislative des Landes bildete - bis zur Revolution 1918. Im Dezember 1918 tagte hier die Reichsversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte; später nahm der Preußische Staatsrat in dem Haus seinen Sitz. Dessen Präsident war bis 1933 Konrad Adenauer, damals Kölner Oberbürgermeister und später Gründungskanzler der Bundesrepublik; seine Dienstwohnung hatte er im westlichen Seitenflügel.

Neues Geschäftsjahr

Seit September 2000 tagt hier der Bundesrat, etwa elf Mal im Jahr, meist im Abstand von drei bis vier Wochen, in der Regel immer an einem Freitag ab 9.30 Uhr. Dieses Mal wird es in gewisser Hinsicht eine besondere Sitzung sein: die erste Sitzung im neuen Geschäftsjahr der Länderkammer, das jeweils am 1. November beginnt, und die erste Bundesratssitzung in der neuen Wahlperiode des Bundestages.

9.12 Uhr: In der säulenbestückten Eingangshalle hinter dem Hauptportal warten Kamerateams auf Politiker-Statements; Landesminister laufen die breite Treppe zur Wandelhalle hoch, hinter der der Plenarsaal liegt. Die Journalisten warten nicht umsonst, wenige Minuten später wird ihnen die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) Fragen beantworten.

9.22 Uhr. Allmählich füllt sich der Plenarsaal. Die Glasdecke sorgt für Tageslicht, hell wirken auch die Wandvertäfelungen aus Birkenfurnier im Kontrast zum dunklen Räuchereichenparkett des Bodens. Die 16 Sitzblöcke der Länder sind - in alphabetischer Reihenfolge - halbkreisförmig auf das Präsidium und das Rednerpult ausgerichtet, an der Stirnwand hinter dem Präsidium hängen die Wappen aller Bundesländer. Der neue Präsident des Bundesrates, Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD), umarmt seine Parteifreundin Dreyer zur Begrüßung; in ihrer Nähe unterhält sich ihr schleswig-holsteinischer Amtskollege Torsten Albig (SPD); Fotografen machen Pressefotos. Dann sieht man Weil im Gespräch mit Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU), bevor er seinen Platz im Präsidium einnimmt; an der Bank der Bundesregierung rechts vom Präsidium steht Maria Böhmer (CDU), Staatsministerin bei der Kanzlerin. Schließlich ertönt ein Gong, Saaldiener geleiten die Fotografen nach draußen, während die letzten Ländervertreter zu ihren Sitzplätzen streben, die fast vollständig versammelten Regierungschefs jeweils in der ersten Reihe.

9.32 Uhr. Weil eröffnet die Sitzung. Es ist die 916. seit der Konstituierung des Bundesrates am 7. September 1949 - anders als der Bundestag, der ja mindestens alle vier Jahre neu gewählt wird - gilt der Bundesrat als ein "ewiges Organ". Stephan Weil war auf der vorherigen Sitzung im Oktober einstimmig für das neue Geschäftsjahr an die Spitze der Länderkammer gewählt worden; er folgt in dem Amt Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann nach, der als erster Grünen-Politiker Präsident des Bundesrates war.

Weils Wahl erfolgte nach einem festen Turnus. Danach werden die Länderchefs in der Reihenfolge der Einwohnerzahl ihres Landes für jeweils ein Jahr zum Bundesratspräsidenten gewählt. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Einberufung und Leitung der Plenarsitzungen; auch werden laut Grundgesetz "die Befugnisse des Bundespräsidenten (...) im Falle seiner Verhinderung oder bei vorzeitiger Erledigung des Amtes durch den Präsidenten des Bundesrates wahrgenommen". Diese Vertreterfunktion erfüllten in den letzten Jahren gleich zwei Bundesratspräsidenten: Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) nach dem Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhlers 2010 (siehe Seite 5) und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) nach der Demission von Köhler-Nachfolger Christian Wulff 2012.

Antrittsrede

Wie zu Beginn vieler Bundesratssitzungen gibt auch Weil zunächst die "Veränderungen in der Mitgliedschaft" der Länderkammer bekannt. Im Bundesrat sind die Regierungen aller Bundesländer vertreten und haben dort je nach ihrer Einwohnerzahl zwischen drei und sechs Stimmen. Ändert sich die Zusammensetzung einer Regierung, betrifft dies auch den Bundesrat. Dieses Mal hat Weil unter anderem personelle Folgen der Bayern-Wahl zu verkünden, bei der die FDP aus dem Landesparlament flog und ihre Minister neben dem Regierungsamt auch die Bundesratsmitgliedschaft verloren.

9.36 Uhr. Weil erhebt sich zu seiner Antrittsrede als Bundesratspräsident. Traditionell zieht der jeweilige Amtsinhaber in der letzten Sitzung vor Ablauf des Geschäftsjahres im Plenum eine Bilanz seiner Amtszeit, während sein Nachfolger in der folgenden Sitzung im November einen Ausblick auf die künftige Arbeit bietet - grundsätzliche Einlassungen, mit denen oft Schwerpunkte benannt, Themen besetzt werden sollen. Weil rückt an diesem Tag die Bildungsaufgaben der Länder in den Focus, für die er Geld vom Bund will.

9.48 Uhr. Wie immer folgt der Antrittsrede

des Bundesratspräsidenten eine Erwiderung der Bundesregierung, auch wenn die derzeit nur geschäftsführend im Amt ist. Kanzleramtsminister Pofalla übernimmt die Antwort; er dankt dem Bundesrat für "konstruktive Zusammenarbeit", spricht wie Weil von einer Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, hält "neue Kooperationsmöglichkeiten" im Bildungsbereich für "denkbar".

9.58 Uhr. Das Plenum beginnt sich durch die Tagesordnung zu arbeiten. Die ist mit 28 Punkten ungewöhnlich kurz. 60 bis 80 Tagesordnungspunkte in einer Sitzung sind im Bundesrat eher die Regel, manchmal werden es mehr als 100. Am Anfang der jeweiligen Tagesordnung der Länderkammer stehen normalerweise Gesetzesbeschlüsse des Bundestages, bei denen der Bundesrat zu entscheiden hat, ob er ihnen zustimmt, Einspruch gegen sie einlegt oder den Vermittlungsausschuss anruft. Es folgen Initiativen aus den Reihen der Länder und anschließend Gesetzentwürfe der Bundesregierung. Sie muss ihre Gesetzesvorhaben zuerst dem Bundesrat zuleiten, der dann im sogenannten "ersten Durchgang" seine Stellungnahme dazu abgibt. Beides zusammen geht mit einer "Gegenäußerung" der Bundesregierung auf diese Stellungnahme an den Bundestag, der dann über das Vorhaben entscheidet. Beschließt das Parlament das Gesetz, landet es zum "zweiten Durchgang" wieder im Bundesrat - siehe oben.

Der neu gewählte Bundestag aber hat seine Arbeit noch gar nicht richtig aufgenommen, und mit der Konstituierung des neuen Parlaments sind alle noch beim alten Bundestag anhängigen, nicht beendeten Beratungsvorgänge der vergangenen Wahlperiode dem "Grundsatz der Diskontinuität" verfallen, sprich: schlicht obsolet geworden. Und von der lediglich geschäftsführenden Bundesregierung sind auch keine Gesetzesinitiativen zu erwarten. Mit Blick auf eine "in Aussicht genommene Regierungsbildung im Dezember" würden Gesetzesvorhaben der Bundesregierung "voraussichtlich erst nach dem Jahreswechsel wieder den Bundesrat beschäftigen", heißt es dazu aus den Reihen der Länder.

Kurze Sitzung

An diesem Freitag finden sich daher weder Gesetzesbeschlüsse des Bundestages noch Gesetzentwürfe der Bundesregierung auf der Tagesordnung des Bundesrates, der nun gleich zu den Länderinitiativen übergeht. Den Anfang macht ein Entschließungsantrag von Schleswig-Holstein und Niedersachsen, der Kieler Ministerpräsident Albig spricht dazu kurz im Plenum, es geht um die Folgen der Bundeswehrstrukturreform für betroffene Kommunen. Das Thema sei ähnlich schon zweimal im Bundesrat behandelt worden, dann aber der Diskontinuität anheim gefallen, sagt Albig. Nach sechs Minuten ist er mit seiner Rede fertig, die Vorlage wird zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen.

Es folgt ein gemeinsamer Gesetzesantrag von 15 Ländern für ein "Steuer-Anpassungsgesetz", das Wort erhält Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Wenn das Gesetz nicht bis zum Jahresende unter Dach und Fach sei, gingen den öffentlichen Haushalten "extrem hohe Einnahmen verloren", warnt er. Der Bundesrat hatte zu dem Gesetz schon den Vermittlungsausschuss angerufen, doch kam es in der abgelaufenen Wahlperiode nicht mehr zu einer Entscheidung.

Auf den Landesminister antwortet Hartmut Koschyk (CSU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, dann wird abgestimmt. Die Ausschüsse haben noch nicht über die Vorlage beraten, doch gibt es eine Übereinkunft, "bereits heute in der Sache zu entscheiden", wie Sitzungsleiter Weil erläutert. Einstimmig wird beschlossen, den Gesetzentwurf als "besonders eilbedürftig" beim Bundestag einzubringen. Damit muss die Bundesregierung die Vorlage innerhalb von drei Wochen dem Bundestag zuleiten, wofür ihr normalerweise sechs Wochen Zeit blieben.

"Grüne Liste"

10.29 Uhr. Auch einen Zwölf-Länder-Antrag "zur Änderung des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes" bringt die Länderkammer in sofortiger Sachentscheidung als eilbedürftig beim Bundestag ein, nachdem NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) kurz zum Thema gesprochen hat. Einen Verordnungsentwurf Schleswig-Holsteins weist der Bundesrat dem Agrarausschuss zu, dann stimmt er über die "grüne Liste" ab, die nach der Farbe des Papiers benannt ist, auf dem sie gedruckt wird. Sie enthält Beschlussempfehlungen zu einer ganzen Reihe von Tagesordnungspunkten, über die das Plenum in einer einzigen Abstimmung entscheidet. Erstellt wird die Liste zwei Tage vor der Sitzung vom "Ständigen Beirat", der von den Bevollmächtigten der Länder beim Bund gebildet wird. Acht Punkte erledigt der Bundesrat so an diesem Freitag.

Im Plenarsaal sind jetzt kaum noch Ministerpräsidenten zu sehen, für das Abstimmungsprocedere werden die Länderchefs nicht benötigt. Es herrscht eine ruhige, konzentrierte Arbeitsatmosphäre, im Bundesrat sind weder Beifall noch Zwischenrufe üblich. Die einzelnen Landesregierungen haben sich schon vor den Abstimmungen geeinigt, wie sie bei jeweiligen Entscheidungen votieren. Dabei kann jedes Land seine Stimmen nur einheitlich abgeben - was das Bundesverfassungsgericht nach einem beispiellosen Eklat im Bundesrat im Jahr 2002 klargestellt hat.

Damals ging es um das rot-grüne Zuwanderungsgesetz, das ohne die vier Stimmen der rot-schwarzen Regierung Brandenburgs keine Mehrheit im Bundesrat finden konnte. Brandenburgs damaliger Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) votierte mit Nein, sein Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) dagegen mit Ja, was der seinerzeitige Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) nach einer Nachfrage als Zustimmung wertete. Das zog nicht nur wütende Proteste im Plenarsaal nach sich, sondern auch die Entscheidung der Karlsruher Richter, die das Gesetz noch im selben Jahr kassierten mit der Begründung, aufgrund der uneinheitlichen Stimmabgabe habe es an der Zustimmung Brandenburgs gefehlt.

50 Einzelempfehlungen

10.34 Uhr. Mittlerweile ist das Plenum bei den auf der Tagesordnung stehenden EU-Vorlagen angekommen; schließlich wirken die Länder laut Grundgesetz durch den Bundesrat auch "in Angelegenheiten der Europäischen Union mit". Den Bundesratsmitgliedern liegen - teilweise unterschiedliche - Empfehlungen der Ausschüsse vor, in denen die jeweiligen Fachminister der Länder oder von ihnen benannte Vertreter sitzen. 50 Einzelempfehlungen für eine Stellungnahme des Bundesrates zu einem EU-Richtlinienvorschlag über Pauschalreisen umfasst allein die Bundesratsdrucksache 577/1/13, über 16 von ihnen wird einzeln abgestimmt, teilweise sogar über einzelne Sätze. Festgestellt wird bei den Abstimmungen im Bundesrat in aller Regel nur, ob die für jeden Beschluss der Länderkammer notwendige absolute Mehrheit von 35 der insgesamt 69 Stimmen zustande kommt oder nicht. Ohne Aussprachen erledigt der Bundesrat auf diese Weise sechs weitere Beratungsgegenstände.

"Tagesschau"-Meldung

10.39 Uhr. Nach den EU-Vorlagen stehen nun Verordnungen der Bundesregierung auf der Tagesordnung, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) spricht fünf Minuten zur Änderung der "Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung" und dazu gehörenden Entschließungsvorschlägen, Ab- stimmung, nächster Tagesordnungspunkt. Bei Nummer 17 geht es um eine Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung. Keine Aussprache, der Bundesrat stimmt der Änderung nur mit Auflagen zu: Er fordert, in Apotheken die Abgabe der "Pille danach" ohne ärztliche Verschreibung zu ermöglichen. Es wird der einzige Bundesratsbeschluss dieses Tages sein, der am Abend in der "Tagesschau" Erwähnung findet. Ob die Verordnung in der von der Länderkammer vorgegebenen Form in Kraft gesetzt wird, obliegt nun der Bundesregierung.

10.48 Uhr. Die Tagesordnung ist abgearbeitet. Weil beruft die nächste Sitzung ein auf den 29. November, dann schließt er die Sitzung: "Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende". Bisweilen kommt der Gesetzgebungs- und Regierungsalltag doch reichlich unspektakulär daher.