Piwik Webtracking Image

Über Zweifel erhaben

REAKTION Der Wunsch der Amerikaner nach Sicherheit ist größer als die Angst vor dem Überwachungsstaat

25.11.2013
2023-08-30T12:24:08.7200Z
4 Min

Diese Botschaft ist in Amerika angekommen: Die Berichte über den angeblichen Umfang der Abhörpraktiken des NSA-Geheimdienstes haben beträchtliche Verärgerungen in Europa ausgelöst. Es geht um eine möglicherweise massenhafte Überwachung des Telefon- und E-Mail-Verkehrs der Bürger, um das Abhören von Regierungschefs sowie Industriespionage. Als EU-Justizkommissarin Viviane Reding vergangene Woche Washington besuchte, versprach US-Justizminister Eric Holder ihr eine rasche und zufriedenstellende Lösung. Womöglich könnten die USA und die EU bis kommenden Sommer ein "No spy"-Abkommen aushandeln und unterzeichnen.

Ein halbes Jahr, nachdem die "Washington Post" und der "Guardian" erstmals über "Prism" und andere Überwachungsprogramme berichtet hatten, zeigt sich, wie Amerika darauf reagiert. Eine Mehrheit der US-Bürger lehnt das Abhören verbündeter Regierungschefs ab: 56 Prozent laut einer Pew-Umfrage von Ende Oktober.

Neue Initiativen

Im US-Kongress mehren sich die Initiativen für eine schärfere Kontrolle des NSA-Geheimdienstes. Gesellschaftliche Gruppen rufen die Gerichte an; sie sollen mögliche Rechtsbrüche überprüfen. Erzwingt die Empörung der Europäer also eine Korrektur? Und ist auf die viel beschworene Fähigkeit des amerikanischen Gesellschafts- und Regierungssystems mit seinen "checks and balances" am Ende auch hier Verlass?

In der amerikanischen Öffentlichkeit spielt die NSA-Affäre, erstens, eine nachgeordnete Rolle. Hauptthemen der politischen Auseinandersetzung sind die Pannen bei der Einführung der nächsten Phase der Gesundheitsreform und der heraufziehende Wahlkampf für die Kongresswahl 2014.

Zweitens geht es in der US-Debatte über die Abhörpraktiken nicht um die verletzten Rechte und Gefühle der Europäer, sondern um die eigenen Bürger sowie die Kontrollbefugnisse des Kongresses. Die demokratische Senatorin Dianne Feinstein, einflussreiches Mitglied des Ausschusses für die Aufsicht über die Geheimdienste, hat sich nach den Hinweisen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkels (CDU) Mobiltelefon abgehört werde, energisch zu Wort gemeldet. Diese Praxis sei unakzeptabel. Im Kern ihrer Beschwerde ging es aber um etwas anderes: dass der zuständige Kongressausschuss darüber nicht informiert worden sei.

Das "Electronic Privacy Information Center", eine Bürgerrechtsorganisation, hat den Obersten Gerichtshof der USA, den Supreme Court, angerufen: Die in Medien berichtete Praxis, dass die nicht öffentlichen FISA-Gerichte, die die Überwachung privater Kommunikation im Inland genehmigen müssen, die Speicherung von Millionen Verbindungsdaten absegne, gehe weit über den gesetzlichen Auftrag hinaus, erklären sie. Amerikas Oberstes Gericht lehnte es in der vergangenen Woche jedoch auf Antrag der Regierung Obama ab, sich mit der Frage überhaupt zu befassen. Das zeigt: Wenn Präsident Obama mehr Transparenz und eine bessere Balance zwischen Sicherheitsinteressen und Datenschutz einfordert, sind das wohl eher Lippenbekenntnisse. Tatsächlich schützt er seine Regierung und die Geheimdienste davor, dass deren Praxis öffentlich überprüft wird. Generell liegen Welten zwischen dem Bild, das US-Medien zeichnen und der Darstellung in deutschen Medien. In Deutschland gilt Whistleblower Edward Snowden als Held, der skandalöse Praktiken aufgedeckt hat. Für die meisten Amerikaner ist er ein Verräter, der gegen seinen Eid zur Verschwiegenheit verstoßen und den nationalen Interessen schwer geschadet hat.

Drittens kann eine Korrektur der Überwachungspraxis der US-Dienste nach Lage der Dinge nur aus Amerika kommen. Proteste des Auslandes bewirken wenig, solange nicht in den USA die Einsicht reift, dass die Abwägung zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit vor Terror und dem Schutz der Privatsphäre aus der Balance geraten ist. Wie wahrscheinlich aber ist diese Selbstkorrektur sechs Monate nach den ersten Enthüllungen durch den Whistleblower Edward Snowden?

Starke Beharrungskräfte

Die Berichte Snowdens haben einen Teil der Gesellschaft und ihrer gewählten Repräsentanten wachgerüttelt. Die Bedenken, ob die USA es nach dem Schock des Terrorangriffs von 9/11 beim Wunsch nach Abwehr und Schutz übertrieben haben, werden nicht mehr so leicht beiseite geschoben wie in den ersten Jahren. Aber die Beharrungskräfte sind nach wie vor stark. Und je näher die Kongresswahl 2014 rückt, desto schwieriger wird eine besonnene Debatte. Ende Juli, als die Aufregung über die Vorwürfe noch frisch war, fand sich eine ungewöhnliche Koalition aus eher Linken und eher Rechten im Repräsentantenhaus zusammen und verfehlte nur knapp die Mehrheit: Die Hälfte der Demokraten und die Libertären in den Reihen der Republikaner, die ein tiefes Misstrauen gegen ausufernde staatliche Macht hegen, forderten eine Eingrenzung der NSA.

Inzwischen allerdings haben die Strippenzieher in der Regierung, im Parlament und in den vielfältigen Sicherheitsapparaten jedoch wenig Mühe, die Bemühungen um eine Korrektur zu neutralisieren. Der engere Zirkel um den Präsidenten möchte keine Angriffsflächen bieten für Wahlkampfvorwürfe der Republikaner, Obama vernachlässige die Sicherheit. Und daher haben der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, und der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, letztlich auch gemeinsam Sorge dafür getragen, dass die Auflagen für die NSA am Ende nicht in den Entwurf für das Gesetz zum Verteidigungsetat aufgenommen wurden.