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Jeder mit jedem

Nachrichtendienste Die westlichen Geheimdienste arbeiten zur Terrorabwehr teilweise eng zusammen

25.11.2013
2023-08-30T12:24:08.7200Z
6 Min

Deutsche Geheimdienstler genießen in der internationalen Zunft durchaus hohes Ansehen. So lobte der britische GCHQ vor fünf Jahren, der Bundesnachrichtendienst (BND) habe "enormes technisches Potenzial und einen guten Zugang zum Herz des Internets". Die Spione ihrer Majestät, die selbst 2012 erst zehn Gigabyte pro Sekunde kontrollieren konnten, staunten laut einem Artikel des britischen "Guardian", der BND sei "bereits in der Lage, Glasfaserkabel mit 40 bis100 Gigabyte pro Sekunde zu überwachen".

Die USA halten ebenfalls große Stücke auf die Qualitäten des deutschen Nachrichtendienstes. "Diese Jungs waren unbezahlbar", schwärmte Ende 2008 General Tommy Franks, Oberbefehlshaber der Militäroperation "Iraqi Freedom", mit Blick auf zwei BND-Agenten, die fünf Jahre zuvor beim Feldzug zum Sturz von Diktator Saddam in Bagdad die Stellung gehalten hatten und den USA bei der Platzierung ihrer Luftangriffe halfen.

Doch die Schlagzeilen der vergangenen Wochen und Monate erzählen eine andere Geschichte: Die USA trauen ihrem Verbündeten Deutschland offenkundig so wenig, dass Spione der amerikanischen National Security Agency (NSA) seit zehn Jahren das Privathandy von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abhörten. Zudem sammelt die Behörde entsprechend den Dokumenten, die der Ex-NSA-Vertragsarbeiter Edward Snowden Medien zuspielte, allein in Deutschland pro Monat die Metadaten von bis zu 500 Millionen Telefonaten und E-Mails.

Unmut in Berlin

"Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht", empört sich die Bundeskanzlerin, die zuvor den Unmut über die NSA-Aktionen eher gedämpft hatte. John Kornblum hingegen, langjähriger US-Botschafter in Deutschland und ein ausgewiesener Anwalt der transatlantischen Bindungen, merkt in einer Talkshow kühl an: "Wir sind keine Freunde, sondern Partner." Seitdem stehen sich in einer hitzigen Debatte zwei Lager gegenüber. Selbst unter Präsident Barack Obama, der doch eine grundsätzlich andere Politik versprochen hatte, spähen die selbstherrlichen Amerikaner alle Deutschen aus, vom Normalbürger bis zur Kanzlerin, klagen die einen. Spioniert wird von allen, auch vom Bundesnachrichtendienst, beschwichtigen die anderen, und wir benötigen die Kooperation mit den US-Geheimdiensten, um Terroranschläge abzuwehren.

Ein zentrales Argument des zweiten Lagers lautet "Sauerland-Gruppe". Dass die aus zwei deutschen Konvertiten und einem türkischen Muslim bestehende Zelle der Islamischen Dschihad-Union (IJU) im September 2007 während der Vorbereitung eines Sprengstoffanschlages festgenommen werden konnte, ist der NSA zu verdanken. Amerikanische Agenten hatten E-Mails der drei jungen Männer mit Verbindungsleuten in Pakistan abgefangen und über die CIA ihren deutschen Kollegen zugeleitet.

Amerikanern fällt im Zusammenhang mit islamistischen Aktivitäten und dem Operationsgebiet Deutschland ein anderes Stichwort ein: 9/11. Die Hamburger Al-Qaida-Zelle um den Ägypter Mohammed Atta hatte den Terrorschlag vom 11. September 2001 gegen das World Trade Center in New York und das Pentagon vorbereitet.

Ein halbes Jahr nach diesem Angriff auf die USA segnete der damalige Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im April 2002 eine intensive Zusammenarbeit zwischen BND und CIA ab. Seitdem leiten die deutschen Agenten abgefangene "Metadaten", also Zeitpunkt, Dauer, Aufenthaltsort, Absender- und Adressatenkennung von Telefonaten oder E-Mail-Verkehr, zur Auswertung an die NSA weiter. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz soll ähnliche Informationen in die USA übermitteln. Die Bundesregierung versicherte dazu, alle E-Mail-Adressen mit der Endung .de sowie Telefonate mit der deutschen Landeskennung +49 würden ausgesiebt, um deutsche Datenschutzgesetze nicht zu gefährden. General Keith Alexander, der Chef der NSA, versichert, die NSA schöpfe derartige Informationen nicht ab, sondern bekomme sie von ihren Verbündeten zugeliefert. Ob sich die NSA allerdings mit den von ihren Partnerdiensten beschafften Daten begnügen, ist zweifelhaft. Aus den Snowden-Dokumenten geht hervor, dass die amerikanische Bundespolizei FBI, aber auch der britische Geheimdienst GCHQ Telekommunikations-Konzerne dazu verpflichteten, den Agenten Zugang zu Knotenpunkten von Untersee- und sonstigen Glasfaserkabeln und zu Rechenzentren zu ermöglichen.

Ob und wo die Amerikaner zu deutschen Glasfaserkabeln eigene Zugänge haben, wurde durch die Snowden-Unterlagen bislang nicht bestätigt. Der Journalist James Bamford, der seit Mitte der 1980er Jahre durch mehrere, zum Teil auch in Deutschland veröffentlichte Bestseller über die NSA zum weltweit profiliertesten Experten für den "mächtigsten Geheimdienst der Welt" wurde, sagt aber: "Die NSA hat Zugang zu diesen Knotenpunkten und Filter, mit denen sie das herausfischt, was sie braucht."

Bamford weiß, dass alle Geheimdienste der Welt auch ihre Verbündeten bespitzeln. Aber es gebe einen "riesigen Unterschied", nämlich den, dass die NSA Zugriff habe auf die Daten der in den USA ansässigen Internet-Giganten wie Google, Apple, Yahoo, Microsoft oder Facebook. "Darum haben die USA so etwas wie eine Atombombe, wenn es ums Abhorchen geht", sagt Bamford. "Der Rest der Welt hat, sagen wir, Kanonen."

"Five Eyes"

Die (nicht nur) geheimdienstliche Supermacht USA hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst mit Großbritannien zum UKUSA-Bündnis (entsprechend den Initialen UK und USA) zusammen geschlossen. Das Ziel: intensive Zusammenarbeit durch die Aufteilung der Welt in territoriale Zuständigkeitszonen und den Austausch gewonnener Erkenntnisse. Später erweiterten Australien, Kanada und Neuseeland dieses Bündnis zur Allianz der "Five Eyes". Frankreich soll bei dem Versuch gescheitert sein, zum "sechsten Auge" zu werden. Der Brüsseler EU-Gipfel im Oktober nährte Spekulationen, nunmehr strebe Deutschland eine Aufnahme an. Merkel sagte in der Pressekonferenz ausweichend, da sie das UKUSA-Abkommen "nicht genau kenne", könne sie "jetzt auch nicht sagen, dass wir genau das suchen".

Immer wieder heißt es, die "Five-Eyes"-Mitglieder bespitzelten sich nicht gegenseitig. Aber zumindest in einer ehemals als "Top Secret" eingestuften (und in Teilen geschwärzten) Version des Vertrages aus dem Jahr 1956, die dem Autor vorliegt, findet sich eine solche förmliche Verabredung nicht. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass US-Agenten auch in Kanada und britische Spione in den USA aktiv sind oder waren. Daher würde ein Beitritt Berlins zu UKUSA kaum die Möglichkeit amerikanischer Spähaktionen in Deutschland unterbinden.

Verhinderte das massenhafte Sammeln von Metadaten Dutzende von Terroranschlägen, wie es Alexander immer wieder behauptete? Manche Indizien sprechen dafür, dass die NSA angesichts der Datenmassen mitunter den Überblick verliert. So besuchte vor dem Sprengstoffanschlag der tschetschenischen Brüder Tsarnaev auf den Bostoner Marathon im April einer der Täter Dagestan, wo er Kontakte mit islamistischen Terrorgruppen hatte. Er sprach bei einem Telefonat von Russland in die USA über den Dschihad. Zudem surften die Brüder im Internet auf Al-Qaida-Seiten und luden sich Anleitungen zum Bau von improvisierten Sprengsätzen herunter. Doch nicht einmal ein warnender Hinweis des russischen Geheimdienstes an die US-Kollegen konnte die Bluttat verhindern.

Kontrolle verloren

Noch gewichtiger aber ist die Erkenntnis, dass der Moloch NSA, der alles kontrollieren will, seine eigenen Mitarbeiter nicht mehr kontrollieren kann. Wenn Edward Snowden unbemerkt Top-Secret-Dokumente in gigantischer Stückzahl stehlen und den Medien zuspielen konnte, wer kann dann garantieren, dass es nicht zuvor schon andere Lecks gab? Und falls ja, wer mag davon profitiert haben? Dass einzelne NSA-Agenten die ihnen zur Verfügung stehende Technologie nutzten, um Nebenbuhler auszuspähen, ist inzwischen bekannt. Doppelagenten, die Unterlagen anderen Staaten zuspielten, wurden bislang nicht entlarvt - aber das schließt nicht aus, dass es sie gegeben haben mag.

Dass die deutschen Geheimdienste von der Zusammenarbeit mit den US-Partnern profitieren, ist unstrittig. Dabei geht es nicht nur um die Nähe der Amerikaner zu den Internet-Riesen. Ein weiterer Punkt sind die strengen rechtlichen Datenschutzauflagen, die den Spielraum des BND bei der Beschaffung und Auswertung von Informationen arg begrenzen. Die Praktiken der NSA wurden hingegen in den USA kaum hinterfragt - zumindest nicht bis zu den Enthüllungen durch Snowden, in deren Folge auch die US-Geheimdienste künftig intensiver vom Kongress kontrolliert werden dürften. Dabei spielen in der inneramerikanischen Debatte die Operationen im Ausland keine große Rolle. Im Zentrum steht vielmehr das Abschöpfen der Kommunikationsdaten von US-Bürgern. Der Kampf gegen den Terror hat allerdings mit Lauschangriffen wie den auf das Handy der Bundeskanzlerin nichts zu tun. Das räumt in Washington der republikanische Kongressabgeordnete Mike R. Turner ebenso ein ("völlig absurd") wie in Berlin der frühere Botschafter Kornblum bei einem Auftritt in einer deutschen Talkshow: Dass die NSA Mobiltelefone angezapft hat, ist eine Dummheit ersten Grades."