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Schnüffeln unter Partnern

GROSSBRITANNIEN Auch britische Dienste sollen den globalen Datenverkehr ablauschen - selbst bei EU-Partnern. Auf der Insel scheint man das bisher gelassen zu…

25.11.2013
2023-08-30T12:24:08.7200Z
4 Min

Der Vorgang wirkt inzwischen ganz normal: Auf der Titelseite veröffentlicht die Tageszeitung "The Guardian" seit Monaten brisante Details aus den Dokumenten des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden - und ebenso wie bei den um einen Kommentar gebetenen Geheimdiensten herrscht im Parlament und bei anderen Medien meist weitgehendes Schweigen. So war es auch am vergangenen Donnerstag wieder: Da schien ein Memorandum die Beteuerungen der heimischen Dienste zu widerlegen, die US-Behörde dürfe die Daten britischer Bürger nicht auswerten. Einem Geheimabkommen von 2007 zufolge könnten E-Mails und Telefonate von Millionen unschuldiger Bürger ausgewertet worden sein, lautete die Interpretation des Blattes. Die öffentlich-rechtliche BBC beschränkte sich auf eine kurze Zusammenfassung der Vorwürfe, die Zeitungen schwiegen, auch im Unterhaus kam die Sache gar nicht erst zur Sprache.

Journalisten unter Druck

Die Spitze der Labour-Opposition hat sich bis heute mit keinem Wort kritisch zu den Snowden-Papieren geäußert. Die konservativ-liberale Regierung lässt ohnehin nichts kommen auf den Inlandsdienst MI5, die Auslandsspione von MI6 sowie die Horchzentrale GCHQ. Premierminister David Cameron (Konservative) hat dem "Guardian" mit "juristischen Anordnungen oder anderen härteren Maßnahmen" gedroht, falls die Zeitung nicht ihrer "sozialen Verantwortung" gerecht werde und von weiteren Veröffentlichungen absehe. Bereits im August hatte das Londoner Blatt der Zerstörung von Computer-Hardware durch Beamte der britischen Lauschzentrale GCHQ zugestimmt. Die Mitarbeiter der Geheimdienste sieht Cameron als "stille Helden, die für die Sicherheit unseres Landes sorgen. Wir sind ihnen zu tiefer Dankbarkeit verpflichtet". Auch der Konservative William Hague - als Außenminister für die Kontrolle von GCHQ und des Auslandsgeheimdienstes MI6 zuständig - nimmt die Dienste in Schutz. Deren Arbeit werde nicht zur Kontrolle der Staatsbürger verwendet: "Sie sind dazu da, die Freiheit zu bewahren."

Bis auf eine kleine Gruppe von Abgeordneten besteht im Parlament parteiübergreifende Einigkeit. Auch in den Medien findet der "Guardian" wenig Verbündete. Das robuste Boulevardblatt "Daily Mail" bezeichnete den Konkurrenten als "Feind Großbritanniens", auch seriöse Zeitungen wie "Times" und "Telegraph" übernehmen erstaunlich kritiklos die Vorgaben der Geheimdienste. Kurioserweise sind es die gleichen Blätter, die kürzlich gegen die vermeintlich bevorstehende Zensur durch ein neues Aufsichtsgremium der Presse polemisierten.

Dass die Öffentlichkeit den Enthüllungen weitgehend achselzuckend gegenübersteht, dürfte mit zwei grundlegenden Unterschieden zu den meisten EU-Partnern zusammenhängen. Einerseits fehlt den Briten die Diktatur-Erfahrung. Das Image des im Geheimen operierenden Regierungsapparats ist nicht wie in Deutschland von der Erinnerung an Gestapo und Stasi verdunkelt. Die Abhörexperten von Bletchley Park, die im Zweiten Weltkrieg die deutschen Funkcodes entschlüsselten, gelten als Helden, deren Arbeit den Krieg verkürzte. GCHQ wird in dieser Tradition gesehen. Zum Anderen haben die Briten leidvolle Erfahrung mit dem islamistischen Terror. Der Massenmord vom Juli 2005, als vier junge Briten in der Londoner U-Bahn und einem Doppeldecker 52 Pendler töteten und Hunderte verletzten, hatte eine massive Aufrüstung der Dienste zur Folge. Enthüllungen à la Snowden würden "einem Geschenk für Terroristen" gleichkommen, sagte kürzlich MI5-Chef Andrew Parker und gab bekannt, seine Behörde habe seit 2005 "34 geplante Anschläge verhindert".

Parker, John Sawers vom MI6 sowie der Behördenleiter von GCHQ, Iain Lobban, stellten sich zu Monatsbeginn erstmals für 90 Minuten einer öffentlichen Befragung durch das parlamentarische Kontrollgremium (Intelligence and Security Committee of Parliament - ISC). Was dessen Vorsitzender, Malcolm Rifkind, vorab stolz als "sehr wichtigen Schritt zur Offenheit und Transparenz" rühmte, war in Wirklichkeit bis ins Detail abgesprochen. Die Fragen waren zuvor eingereicht, auf Drängen der Geheimdienstler wurde auch die Diskussion über die peinlichen Snowden-Enthüllungen zeitlich begrenzt. Rifkind verteidigte sein Vorgehen: "Wir können ja nicht plötzlich eine Frage stellen, die von den Zeugen nur unter Rückgriff auf Geheimmaterial beantwortet werden könnte", sagte der frühere Außen- und Verteidigungsminister.

Bis Anfang der 1990er Jahre hatte Großbritannien formal geleugnet, dass es überhaupt Auslandsspione besaß. Das Gesetz über die Geheimdienste von 1994 ermöglichte erstmals die Einrichtung des ISC. Allerdings blieb die Auswahl der Mitglieder, vor allem auch des Vorsitzenden, dem Premierminister überlassen.

Dies hat sich mit einer Neufassung der Vorschriften im vergangenen Jahr geändert, die Rifkind als "kulturelle Revolution" rühmt. Zukünftig werde das Parlament das letzte Wort haben. Zudem kann sich der Ermittlungsführer des Gremiums, ein pensionierter Polizist, in den jeweiligen Zentralen der Dienste einzelne Akten zur Ansicht vorlegen lassen. Hingegen bleibe es auch im Zeitalter der elektronischen Datenüberwachung, in dem Millionen von E-Mails routinemäßig überprüft werden, dabei: "Wenn die Dienste den Inhalt von E-Mails oder Telefonanrufen anschauen wollen, brauchen sie die schriftliche Genehmigung des zuständigen Ministers."

Zahmes Kontrollgremium

Experten sehen sich durch die öffentliche Anhörung der Behördenleiter in der Meinung bestärkt, Rifkinds Ausschuss sei der Kontrollaufgabe nicht gewachsen. Die Parlamentarier, die allesamt der Geheimhaltung unterliegen, hätten den Eindruck "chaotischer Amateure" vermittelt, tadelt Professor Anthony Glees vom Zentrum für Geheimdienst-Studien an der Buckingham-Universität. Seine Reformvorschläge sehen die Wahl der Kontrolleure durch das Parlament vor. "Der Vorsitzende sollte wie in Deutschland stets der Opposition angehören." Außerdem brauche das Komitee eine bessere Ausstattung, ein einzelner Untersuchungsführer sei nicht genug. "All das sage ich als jemand, der die Arbeit der Geheimdienste für wichtig und rechtsstaatlich geboten hält", resümiert Glees.

Kritik

Stephen Dorril von der Uni Huddersfield geht weiter. Der Geheimdienst-Kritiker und Autor eines Buches über MI6 vermutet, dass den Chefspionen selbst in geschlossener Sitzung "keine harten Fragen gestellt" würden. Während Konservative wie Rifkind dazu neigten, Spionage gut und richtig zu finden, gebe es in der oppositionellen Labour-Party "keinen einzigen einflussreichen Kenner der Materie". Auch von den Liberaldemokraten, traditionelle Hüter der Bürgerrechte, erwartet der Dozent für Journalismus wenig. Ein quirliger liberaler Hinterbänkler, der sich kritisch mit Geheimdienst-Themen beschäftigt hatte, wurde kürzlich zum Staatssekretär im Innenministerium erkoren. "So kann man Leute auch zum Schweigen bringen", sagt Dorril.

Der Autor ist freier Korrespondent in London.