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Kleines Licht im großen Dunkel

WhistleblowER Die Methoden unterscheiden sich, die Motive nicht. Die Informanten gehen ein großes persönliches Risiko ein

25.11.2013
2023-08-30T12:24:08.7200Z
5 Min

Es war ein Treffen mit hohem Symbolwert. Anfang Oktober reisten vier US-Amerikaner nach Moskau, um einem Landsmann einen schlichten Kerzenhalter zu überreichen. An einem geheimen Ort trafen die zwei Frauen und zwei Männer Edward Snowden. Die vier Ex-Mitarbeiter von CIA, FBI, NSA und Justizministerium wollten zeigen, dass sie sich hinter die spektakulären Enthüllungen des 30-jährigen früheren NSA-Mitarbeiters stellen, der, ähnlich anderen Whistleblowern vor ihm, wie mit einer Kerze etwas Licht ins große Dunkel gebracht hat.

Riesige Datenbestände

Zur Tradition der Whistleblower, wie die Enthüller und Hinweisgeber genannt werden, gehört naturgemäß auch, dass die betroffenen Regierungen und Institutionen die Veröffentlichungen alles andere als bejubeln. Snowden wird als Verräter bezeichnet, die USA werfen ihm Spionage und Diebstahl von Regierungseigentum vor, weil er im Mai dieses Jahres Zehntausende von streng geheimen Dokumenten des Geheimdienstes NSA an Journalisten weitergegeben hat. Aber der Fall Snowden zeigt noch mehr: Die Digitalisierung aller Arbeitsbereiche verschafft möglichen Whistleblowern Zugriff auf ungeheure Datenbestände, die nahezu unbegrenzt verbreitet werden können. Und Snowden hat aus den Enthüllungen seiner Vorgänger einiges gelernt.

Seit Snowden auf der Flucht vor den US-Behörden ist, sind in den USA zwei Whistleblower zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Der Soldat Bradley Manning (25) muss für 35 Jahre ins Gefängnis, weil er geheime Militärdokumente an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergegeben hat. Der Computerhacker Jeremy Hammond (28) erhielt vor wenigen Tagen eine zehnjährige Haftstrafe, weil er in die Server der Sicherheitsfirma Stratfor eingedrungen war und Millionen von E-Mails veröffentlicht hatte.

Problematische Verbreitung

Gerade die Zusammenarbeit mit Wikileaks zeigt die Probleme auf, die durch eine ungeprüfte Publikation von Dokumenten entstehen können: Es lässt sich häufig nicht abschätzen, ob unbeteiligte Dritte nicht geschädigt werden und welche Gefahren für Sicherheit und Staatswohl drohen. Die Motive von Manning und Snowden liegen eng beieinander. Manning wollte auf Missstände bei US-Militäreinsätzen hinweisen, darunter die Tötung von Zivilisten durch amerikanische Soldaten im Irak. Sein Ziel: Eine Debatte über die US-Außenpolitik entfachen. Snowden wollte zeigen, wie weit die Massenüberwachung von Bürgern und Gesellschaft durch die Geheimdienste schon gediehen ist und welche technischen Möglichkeiten die USA und Großbritannien inzwischen haben, um die Kommunikation von Internetnutzern zu kontrollieren.

Beide machten sich Gedanken darüber, wie die von ihnen gesicherten Dokumente am besten an die Öffentlichkeit gelangen sollten. Nachdem Mannings Versuche gescheitert waren, die "New York Times" und die "Washington Post" für eine Veröffentlichung zu interessieren, lud er die Dokumente auf die Plattform Wikileaks hoch. Zwar kooperierte Wikileaks-Gründer Julian Assange vor den Veröffentlichungen mit internationalen Medien wie der "New York Times", dem britischen "Guardian" und dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Doch auf den Seiten von Wikileaks wurden fast alle Originaldokumente publiziert. Durch eine Indiskretion gelangte sogar die unredigierte Version von 250.000 US-Botschaftsdepeschen an die Öffentlichkeit.

Neues Vorgehen

Snowden hat aus der Entwicklung der vergangenen Jahre seine eigenen Schlüsse gezogen. In vier zentralen Punkten ist er anders als Manning vorgegangen: "Ich habe jedes einzelne Dokument vor der Freigabe sorgfältig überprüft, ob auch ein legitimes öffentliches Interesse daran besteht", sagte Snowden bei der Preisgabe seiner Identität im Juni. Er habe viele Dokumente mit großer Wirkung nicht mitgenommen, weil er niemandem habe schaden wollen. Zudem suchte er für die Veröffentlichung gezielt den Kontakt zu den US-Journalisten und Polit-Aktivisten Glenn Greenwald und Laura Poitras. Das war gar nicht so einfach, denn Greenwald wollte Snowdens Bitte, ein Verschlüsselungsprogramm für die E-Mail-Kommunikation zu installieren, zunächst nicht nachkommen. In Hongkong übergab Snowden den beiden Journalisten sein gesamtes Material. Er vertraute ihrer Einschätzung, welche Dokumente ausgewertet und veröffentlicht werden sollten.

Für Wikileaks gibt es hingegen kaum einen Grund, ein Dokument nicht zu veröffentlichen. "Die am besten gehütete Information hat das meiste Veränderungspotenzial", sagte Ex-Wikileaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg zum Konzept der Plattform. Die Risiken einer vollständigen Veröffentlichung wollte Snowden nicht eingehen. Und in der Tat gehen die Medien bislang sparsam mit den Dokumenten um, die ihnen zugespielt wurden. Anders als Manning hat sich Snowden auch entschieden, gleich seine Identität als Whistleblower preiszugeben. "Er spürte die Verantwortung, sein Gesicht zu zeigen, sich nicht zu verstecken. Er wollte der Welt zeigen, was vor sich geht und warum er es enthüllt", sagte Greenwald kürzlich in einem Interview. Snowden sagte selbst zu seinen Gründen: "Ich habe keine Absicht, meine Identität zu verbergen, denn ich weiß, dass ich nichts Falsches getan habe." Dennoch wollte er nicht das Risiko eingehen, in die Mühlen der US-Justiz zu geraten. Sein Leben wird nie wieder so sein wie vorher. Aber er nahm die Konsequenzen in Kauf, weil er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, "dass die US-Regierung die Privatsphäre, die Internetfreiheit und Grundrechte von Menschen rund um die Welt mit der heimlich aufgebauten Maschinerie zur Massenüberwachung zerstört".

Keine Reue

Trotz der genannten Beispiele ist es beileibe nicht so, dass jeder Whistleblower in den USA ins Gefängnis muss. So auch im Falle von Thomas Drake, Jesselyn Radack und Coleen Rowley, die dem Preisübergabekomitee an Snowden angehörten. Der hochrangige NSA-Mitarbeiter Drake hatte von 2002 an zunächst intern die Vorläufer der aktuellen NSA-Überwachungsprogramme kritisiert. Als dies seiner Meinung nach nichts fruchtete, ging er einen Schritt weiter. "2006 traf ich die Entscheidung, mein Recht auf freie Meinungsäußerung auszuüben und ging mit kritischen Informationen an die Presse", sagte der 56-Jährige Ende September vor dem EU-Untersuchungsausschuss zur Massenüberwachung. Doch anstatt die illegalen Programme zu stoppen, habe die US-Regierung ihn zur Zielscheibe umfassender Ermittlungen gemacht und Vergeltung geübt. Drake verlor seinen Job, seine Pensionsansprüche sowie sämtliche Ersparnisse, um sich vor Gericht gegen die Anschuldigungen zu verteidigen. Auch ihm drohten 35 Jahre Haft wegen Spionage. Schließlich wurden 2011 alle Anklagepunkte fallengelassen, vom Missbrauch eines Computersystems abgesehen. Drake sieht im Verhalten der US-Regierung gegen seine Person "eine direkte Form politischer Repression und Zensur". Im russischen Fernsehen sagten die Snowden-Besucher einmütig, dass sie den Gang an die Öffentlichkeit nicht bereuten. Nur Ray McGovern (74) räumte einen Fehler ein. Er war in den 60er Jahren ein Kollege von CIA-Analyst Sam Adams, nach dem der Whistleblower-Preis benannt ist. Adams hatte in den 1970er Jahren publik gemacht, dass die Zahl der Vietcong-Kämpfer im Vietnam-Krieg aus politischen Gründen zu niedrig angegeben worden war. McGovern hatte schon Jahre vorher von einen Beweisdokument erfahren und sagte nun: "Ich bedauere nur, mir von Adams nicht das Dokument besorgt und es in der 'New York Times veröffentlicht' zu haben."