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Angelesen

23.12.2013
2023-08-30T12:24:09.7200Z
4 Min

Auf den ersten Blick weckt "Das Buch vom Töten" eher unangenehme Gefühle. Der Titel prangt in roten Buchstaben auf dem Schutzumschlag des Hardcovers, darunter dezenter der Untertitel "Über die Todesstrafe", garniert mit dem Foto einer Pritsche, auf der Menschen zur Hinrichtung mittels Giftspritze fixiert werden. Wohlfühl-Literatur ist also ganz offenkundig nicht zu erwarten. Trotzdem ist das neueste Werk des renommierten Sachbuch-Autors Helmut Ortner eine herausragende Entdeckung des diesjährigen Buchherbstes.

Ortner schildert mit sachlich-klaren Worten die historische Entwicklung der Todesstrafe von der Kreuzigung im Römischen Reich zu Beginn unserer Zeitrechnung, über die nicht minder grausamen Rituale des Mittelalters bis hin zu den Hinrichtungspraktiken der Neuzeit in den USA und anderswo. Dabei werden dem mitunter schockierten Leser auch unappetitliche Details nicht erspart.

Besonders beeindruckend sind die zahlreich zitierten Aufzeichnungen von Opfern, Richtern und Vollstreckern. Etwa die Erinnerungen des Scharfrichters Charles-Henri Sanson, der im Blutrausch der Französischen Revolution gleichsam im Akkord die Guillotine bediente und dabei wahnsinnig wurde. Oder die Begehrlichkeiten des Chefs vom biologisch-anatomischen Institut der Universität Berlin, der die NS-Behörden 1943 um Verlegung der üblichen Erschießungszeiten bittet. Das sei notwendig, damit seine Ärzte die Flut der angelieferten Leichen nicht erst in den Abendstunden zu Forschungszwecken präparieren müssten. Denn dann sei für seine Kollegen angesichts der nächtlichen Luftangriffe auf Berlin eine Heimfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwierig.

Trotz solch aufwühlender Details wahrt Ortner die Distanz des Analysten. Erst gegen Ende des Buches legt er ein persönliches Zeugnis wider die Todesstrafe ab und referiert gute Gründe, warum die Ausssicht auf den Tod keine abschreckende Wirkung auf potenzielle Straftäter entfaltet. Auch verweist Ortner auf die Unzuverlässigkeit offizieller Angaben über Hinrichtungen, etwa in China. Das Kapitel hat die Überschrift "Zeit der Hoffnung". Es ist mit einem Fragezeichen versehen.

Helmut Ortner:

Das Buch vom Töten. Über die Todesstrafe

Zu Klampen Verlag, Springe 2013; 192 S., 19,80 €

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Deshalb ist auf dem Umschlag des jüngsten Werkes von Henryk M. Broder auch die Titanic abgebildet - mit dem Kiel schon halb unter Wasser. Und wie die Titanic sieht der Autor auch Europa oder zumindest die europäische Idee versinken. In 15 lesenswerten Kapiteln wendet sich der Berufspolemiker Broder vor allem gegen das Europa der Bürokraten ("Brüsseler EU-Adel"), die die Vielfalt der inzwischen 28 Mitgliedsländer der Europäischen Union mit mehr als 500 Millionen Einwohner mit einem "Regulierungswahn" vereinheitlichen wollen.

Beispiel dafür findet er genug: Da werden die herkömmlichen Glühbirnen verboten. Diese müssen durch teure Energiesparlampen ersetzt werden, deren Entsorgung unter anderem durch das darin enthaltene giftige Quecksilber schwierig und teuer ist. Broder nennt auch die milliardenteure "Euro-Rettung" und verweist auf die Verschwendung von EU-Steuergeldern, etwa die Verwendung von Mittel aus "Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)" für die Sanierung von Sportanlagen.

So dringt Henryk Broder immer weiter in die Untiefen der Europäischen Union vor und entlarvt sie als eine "Bürokratur", die vor allem an sich selbst denkt und sich offensichtlich selbst ernährt. So verdient der deutsche Bundespräsident mit rund 18.000 Euro ungefähr so viel wie ein Direktor in der EU-Verwaltung im siebten Jahr. Ein promovierter wissenschaftlicher Mitarbeiter einer deutschen Universität kann sich mit rund 3.800 Euro über das gleiche Gehalt freuen wie ein Saaldiener des EU-Parlaments.

Was aber kann getan werden, um die Titanic vor dem endgültigen Absaufen zu retten? Broder empfiehlt dazu eine Auszeit von Europa. In dieser Zeit solle nichts beschlossen oder verkündet werden und keine Entscheidungen über Rettungsaktionen und Erweiterungen getroffen werden. Stattdessen soll in dieser Zeit eine Debatte über die Zukunft Europas geführt werden.

Henryk M. Broder:

Die letzten Tage Europas

Knaus Verlag, München 2013; 224 S., 19,99 €