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Auch ohne Mehrheit

BUNDESTAG Ohne Gegenstimmen beschließt das Parlament neue Regeln zur Ausübung von Minderheitenrechten. Für Die Linke geht der gefundene Kompromiss aber nicht…

07.04.2014
2023-08-30T12:26:12.7200Z
3 Min

Am Ende wollte auch Die Linke nicht gegen den Kompromiss stimmen, auf den sich die drei anderen Fraktionen verständigt hatten: Nach mehr als 100 Tagen Großer Koalition beschloss der Bundestag vergangene Woche ohne Gegenstimme für die laufende Legislaturperiode neue Regeln zur Wahrnehmung parlamentarischer Minderheitenrechte. Die Abgeordneten von Union, SPD und Bündnis 90/Grünen votierten geschlossen für einen entsprechenden Antrag der Koalitionsfraktionen (18/481) in geänderter Fassung, während sich die Linksfraktion bei der Abstimmung enthielt. Das Parlament folgte damit einer mit den Stimmen der Koalition und der Grünen verabschiedeten Beschlussempfehlung des Geschäftsordnungsausschusses (18/997). Damit, so freute sich die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann, habe man "eine massive Verbesserung in der Situation, in der wir gerade sind, nämlich 80 Prozent Mehrheit und 20 Prozent Opposition".

20 Prozent - das heißt, die Opposition aus Links- und Grünen-Fraktion stellt zusammen lediglich ein Fünftel der Bundestagsabgeordneten: 127 von 631 Abgeordneten. Das war bislang zu wenig, um eine ganze Reihe parlamentarischer Minderheitenrechte wahrnehmen zu können, die nach den bisherigen Regelungen an ein Quorum von mindestens einem Fünftel der Abgeordneten, also 25 Prozent, gebunden sind. Dazu zählen etwa das Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und auf Klageerhebung wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip.

Nach der vom Bundestag jetzt beschlossenen Änderung der Geschäftsordnung können diese Rechte nun bereits auf Antrag von 120 Abgeordneten wahrgenommen werden. Gleiches gilt für eine Reihe weiterer Minderheitenrechte wie beispielsweise die Einsetzung von Enquete-Kommissionen. Andere Neuregelungen betreffen die Ausschüsse. So muss etwa bei überwiesenen Vorlagen der federführende Ausschuss "auf Verlangen aller Ausschussmitglieder der Fraktionen, die nicht die Bundesregierung tragen", eine öffentlichen Anhörung durchführen. Die Aufteilung der Redezeit im Plenum soll der Ausschussempfehlung zufolge "wie bisher nicht ausdrücklich in der Geschäftsordnung, sondern durch Vereinbarungen im Ältestenrat" geregelt werden.

Keine Mehrheiten fanden zwei gemeinsame Vorlagen der beiden Oppositionsfraktionen (18/379, 18/380) sowie ein Gesetzentwurf der Linksfraktion (18/838) zur Frage der Minderheitenrechte. Die Linke hatte unter anderem gefordert, der Gesamtheit der Oppositionsfraktionen die Erhebung einer Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu ermöglichen. Laut Grundgesetz kann eine Normenkontrollklage von einem Viertel der Bundestagsabgeordneten erhoben werden.

Streit um Normenkontrolle

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion, Petra Sitte, kritisierte in der Debatte, die Koalition lehne eine Änderung des Grundgesetzes zur Normenkontrollklage unter anderem deshalb ab, weil auch eine Verfassungsbeschwerde eingereicht werden könne. Dieses Recht stehe jedoch nicht den Fraktionen zur Verfügung. Auch sei das Recht auf eine Normenkontrollklage "eher ein Oppositionsrecht". Schließlich würden die Regierungsfraktionen nach Verabschiedung ihrer Gesetzesvorlagen "doch nicht im nächsten Schritt (...) vor dem Bundesverfassungsgericht erscheinen, um ihre eigenen Gesetze zu einer Normenkontrollklage anzumelden".

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, entgegnete, die Normenkontrollklage sei "kein originäres Minderheitenrecht". Sie könne von der Bundesregierung, einer Landesregierung und einem Viertel der Bundestagsabgeordneten erhoben werden. Auch sei die Geschäftsordnung "der richtige Ort", um die Angelegenheiten des Bundestages zu regeln. Man brauche keine Gesetzesänderungen, die man in der nächsten Legislaturperiode bei anderen Mehrheitsverhältnissen wieder verändern müsse.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Bernhard Kaster (CDU), betonte, obwohl die Opposition über 20 Prozent der Sitze verfüge, bewegten sich ihre jetzt vereinbarten Redezeiten sich je nach Debattenlänge zwischen 25 und 32 Prozent. Noch mehr sei "wirklich nicht möglich" gewesen". Er verwies zugleich darauf, dass bei der Neuregelung die Geltendmachung von Minderheitenrechten nicht von der Unterstützung aller 127 Oppositionsabgeordneten abhängig gemacht werde. Mit der erforderlichen Zahl von 120 Abgeordneten habe man eine "gute Regelung mit Augenmaß" gefunden. Lambrecht ergänzte, das Quorum von 120 Abgeordneten sei "nicht an Oppositionsfraktionen gebunden", sondern könne auch durch Parlamentarier der Koalition erreicht werden.

Haßelmann begrüßte, dass der Bundestag nach monatelangen Beratungen Minderheitenrechte in der Geschäftsordnung verankere. Es sei für ihre Fraktion ein "ganz wichtiger Punkt", dass dies auch mit der Mehrheit der Großen Koalition nicht wieder geändert werden könne. Mit der Fixierung der Minderheitenrechte in der Geschäftsordnung könne man diese Rechte nun gegenüber den anderen Fraktionen einklagen. Damit sei die Arbeitsfähigkeit des Parlaments "ein Stück weit mehr" gesichert. Keine Verständigung habe man bei den Redezeiten erzielt, doch sei dies nicht Gegenstand der Abstimmung.