Nein, ein Held sei er nicht, findet Ludwig Baumann. Aber auch kein Feigling. Als solcher wurde der Bremer jedoch jahrzehntelang beschimpft, dazu noch als Vaterlandsverräter und Kameradenschwein. Denn Baumann hat sich als Wehrmachtssoldat Hitlers Angriffskrieg verweigert. 30.000 solcher Deserteure, "Wehrkraftzersetzer" oder "Kriegsverräter" wurden von NS-Militärrichtern zum Tode verurteilt, über 20.000 tatsächlich hingerichtet. Auch Baumann sollte nach gescheiterter Desertion sterben, wurde aber zu zwölf Jahren Zuchthaus "begnadigt". Davon erfuhr er allerdings monatelang nichts; ständig wartete er in der Todeszelle auf die Hinrichtung.
Nach Gefängnis, Konzentrationslager und Strafbataillon war er ein gebrochener Mann, der das Erbe seines Vaters vertrank. Erst nach dem Tod seiner Frau bei der Geburt des sechsten Kindes übernahm er allmählich Verantwortung - nicht nur für die Familie, sondern später auch für die Gesellschaft: Er engagierte sich in der Friedens- und Eine-Welt-Bewegung, und 1990 gründete er mit drei Dutzend Veteranen die "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz". Als Vorsitzender warb er jahrelang freundlich, aber hartnäckig für die Rehabilitierung der noch immer als vorbestraft geltenden Deserteure - mit Erfolg: Schritt für Schritt stufte der Bundestag 1998, 2002 und 2009 die Militärjustizurteile gegen Deserteure, "Wehrkraftzersetzer" und schließlich auch "Kriegsverräter" als Unrecht ein.
Baumann ist inzwischen 92 und wahrscheinlich der letzte überlebende Wehrmachtsdeserteur. Gemeinsam mit dem Journalisten Norbert Joa hat er jetzt seine Lebensgeschichte aufgeschrieben. Beklemmend die Schilderungen seiner Verfolgung, seines Absturzes und der erlittenen Schmähungen nach dem Krieg, ermutigend die Passagen über sein späteres Engagement. Allerdings wird der Lesefluss durch ständige Rückblenden gestört. Fazit des bekennenden Pazifisten: Er habe sich seine Würde wiedergeholt, und die jüngere Generation "soll wissen, dass es lohnt, Nein' zu sagen".
Niemals gegen das Gewissen. Plädoyer des letzten Wehrmachts-deserteurs.
Herder Verlag, Freiburg 2014; 128 S., 12,99 €