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Rüstzeug gegen NSA Aros Häftlinge

AUSSPÄHAFFÄRE Experten schildern vor Abgeordneten die weltweiten Zugriffsmöglichkeiten des US-Dienstes - und wie ihm mit Verschlüssungstechniken Paroli geboten…

30.06.2014
2023-08-30T12:26:16.7200Z
4 Min

Der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) stellte Frank Rieger nicht nur als IT-Fachmann und Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC) vor, sondern wie selbstverständlich auch als "Hacker". Eigentlich stehen diese Computerfreaks im Ruf, sich nicht unbedingt legal in Netzwerken etwa von Konzernen und Regierungen zu tummeln. Inzwischen setzt der Untersuchungsausschuss, der die Affäre um die massenhafte Überwachung von Bürgern, Unternehmen und Politikern durch den US-Geheimdienst NSA und den britischen Nachrichtendienst erhellen soll, aber auch auf die Hilfe dieser gewieften Web-Experten. Die Abgeordneten sollen die Verantwortlichen für den Spionageskandal ausfindig machen und zudem Strategien für einen besseren technischen Schutz der Telekommunikation entwickeln.

"Unsicheres Netz"

Rieger griff vergangene Woche vor dem Ausschuss nicht nur die NSA als "Mafia mit angeschlossener Rechtsabteilung" an, eine deftige Attacke, die über die Laptops der Journalisten in Minutenschnelle den Weg in die Medien fand. Wie der Darmstädter IT-Professor Michael Waidner und der Informatiker Sandro Gaycken von der FU Berlin führte Rieger dem Gremium überdies schonungslos vor Augen, dass es im Internet als "unsicherem Netz mit zahlreichen offenen Türen" (Waidner) der NSA technisch im Prinzip möglich sei, weltweit die gesamte Telekommunikation zu erfassen. Heutzutage werde Spionage im "industriellen Maßstab" praktiziert, sagte der CCC-Sprecher. Aber die Sachverständigen machten den Parlamentariern auch Hoffnung: Mit Verschlüsselungstechniken und einer Abschirmung des Netzes in Deutschland und Europa könne man Geheimdiensten Paroli bieten; visionär sprach Rieger davon, die NSA "totzurüsten".

Vor allem an den Knoten der Kabelstränge, die überwiegend durch die USA und Großbritannien laufen, ließen sich Datenströme "problemlos anzapfen", legte Waidner dar. So könne man die Internetnutzung, den E-Mail-Verkehr und die Spuren von Handygesprächen in Deutschland registrieren - weil diese Daten zum großen Teil in internationalen Netzen übermittelt werden. Noch einfacher sei es für die NSA, sich Informationen von Partnern wie Facebook und Google zu besorgen.

Eine wesentliche Rolle spielen nach den Schilderungen der Experten auch die in Hard- und Software eingebauten "Hintertüren", die den Weg zu den begehrten Daten bahnen. Diese kaum erkennbaren Zugänge würden bereits von den Herstellern installiert. Da liegt auf der Hand, wie bedeutsam die Übermacht der USA bei der IT-Technik ist, auf die Waidner hinwies. Allerdings betonte Gaycken, dass auch andere bei massenhafter Überwachung und gezielter Wirtschaftsspionage kräftig mitmischen, vor allem Russen, Chinesen und Israelis.

Bleibt nur die Resignation? Davon wollten die drei Experten nichts wissen. Zwar legte Gaycken dar, dass jene, die im Einzelfall an bestimmte Daten heran wollen, dies auch schaffen. Der massenhaften Ausspähung lässt sich indes durchaus das Handwerk legen, lautet das Fazit dieser Anhörung. Für die Sachverständigen ist der Königsweg die Verschlüsselung, vor allem die "Ende-zu-Ende-Verschlüsselung": Daten werden vom Absender verpackt und wandern geschützt zum Empfänger, der sie dann öffnet. Diese Methode helfe auch gegen die NSA, zeigte sich Waidner optimistisch. Zwar gebe es keinen absoluten Schutz gegen Ausforschung, erläuterte der Wissenschaftler, der auch das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie leitet: Angriffe auf verschlüsselte Daten könne man jedoch derart erschweren und verteuern, dass sich eine Ausspähung im großen Stil nicht mehr lohne. Die Experten warben für die flächendeckende Einführung der "Ende-zu-Ende-Verschlüsselung". Freilich müsse diese sehr komplizierte Technik "laientauglich" werden, verlangte Gaycken.

Obendrein plädierten die Sachverständigen dafür, Datenströme nicht mehr über internationale Netze zu leiten, sondern vermehrt in Deutschland und Europa zu halten ("Schengen-Routing"). Nötig seien der Aufbau eines deutschen Markts für IT-Hochsicherheitsprodukte und mehr Sicherheitsforschung. Rieger skizzierte als Fernziel eine "europäische Informationssouveränität".

Dauerstreit um Snowden

Die spannende Lehrstunde der Fachleute drängte selbst den Dauerstreit um die Zeugenvernehmung Edward Snowdens in den Hintergrund. Eigentlich wollte der Ausschuss den Whistleblower zunächst zu einem informellen Gespräch in Moskau aufsuchen, was der Ex-NSA-Mitarbeiter aber ausschlug. Jetzt beschlossen Union und SPD, den 31-Jährigen am 11. September bei einer Videoschaltung nach Russland zu befragen. SPD-Obmann Christian Flisek erklärte, eine Ladung Snowdens nach Berlin wäre derzeit "unverantwortlich", da dessen Auslieferung an die USA nicht auszuschließen sei. Laut Unions-Sprecher Roderich Kiesewetter (CDU) ist Berlin kein geeigneter Ort für Snowden.

Ob es zu einer Anhörung per Video kommt, ist indes fraglich. Snowden lehnt dies bislang ab; er will nur unter sicheren Bedingungen im Bundestag aussagen. Linken-Obfrau Martina Renner sah eine Finte der Koalition, die eine Vernehmung Snowdens zu verhindern suche. Für Grünen-Sprecher Konstantin von Notz will Schwarz-Rot die Aufklärungsarbeit des Ausschusses "sabotieren". Die Opposition prüft nun eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts, um so vielleicht doch Snowdens Ladung nach Berlin durchzusetzen.