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Löchriges Netz

ARBEIT UND SOZIALES Regierung und Opposition wollen den hohen Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit abbauen

30.06.2014
2023-08-30T12:26:16.7200Z
6 Min

Ene, mene Muh und raus bist du." Wer kennt sie nicht, die Abzählreime der Kindheit. Die Debatte über den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (18/700, 18/702), die der Bundestag vergangene Woche führte, ließ einen mitunter an diese Reime denken. Schließlich ging es, grob gesagt, darum, wer von den sozial- und rentenpolitischen Projekten der Großen Koalition profitiert und wer nicht und welche Schritte nötig sind, um die gesellschaftliche Teilhabe so vieler Menschen wie möglich zu ermöglichen. Aus Sicht der Opposition sind das derzeit viel zu wenige, die Regierungsfraktionen konterten mit den Millionen Menschen, die aus ihrer Sicht von Rentenpaket und Mindestlohn profitieren werden.

Trotz kontroverser Ansichten - schließlich billigte der Bundestag mit der Mehrheit von CDU/CSU und SPD den Haushaltsplan von Ministerin Andrea Nahles (SPD) in der vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung (18/1011; 18/1023; 18/1024; 18/1025). Keine Mehrheit fanden dagegen zwei Änderungsanträge (18/1826, 18/1827) der Linken, in denen die Fraktion unter anderem die Anhebung des Regelbedarfs in der Grundsicherung fordert.

Löwenanteil Rente

Fast 340 Millionen Euro weniger als ursprünglich geplant darf die Bundesministerin für Arbeit und Soziales in diesem Jahr ausgeben. Und dennoch bleibt der Haushalt für Arbeit und Soziales der mit Abstand größte Posten des Bundeshaushaltes: 121,98 Milliarden Euro (2013: 119,23 Milliarden Euro) sind dafür in diesem Jahr eingeplant. Auch an der grundsätzlichen Ausgabenstruktur ändert sich nichts: Die Leistungen an die Rentenversicherung verschlingen traditionell den Löwenanteil und belaufen sich auf 82,96 Milliarden Euro (2013: 81,16 Milliarden Euro). Gespart wird vor allem bei den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Insgesamt belaufen sich die Ausgaben dafür in diesem Jahr auf 31,06 Milliarden Euro (2013: 31,62 Milliarden Euro).Von der 339-Millionen-Euro-Einsparung entfallen allein 300 Millionen auf das Arbeitslosengeld II. 19,20 Milliarden Euro sind dafür nun 2014 eingeplant. Ursprünglich waren es 19,50 Milliarden Euro gewesen. Dennoch ist das gegenüber dem Jahr 2013 (18,97 Milliarden Euro) ein leichter Anstieg.

Die Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterkunft und Heizung beläuft sich auf 3,90 Milliarden Euro (2013: 4,70 Milliarden Euro). Für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gibt der Bund ebenfalls 3,90 Milliarden Euro aus, genauso viel wie im Vorjahr. Deutlich gestiegen ist dagegen die gesetzlich geregelte stärkere Beteiligung des Bundes an der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dadurch werden die Kommunen in diesem Jahr um 5,49 Milliarden Euro (2013: 3,89 Milliarden Euro) entlastet.

Investition für Millionen

Angesichts dieser Zahlen verwunderte es nicht, dass Andrea Nahles ihren Etat als "das Herzstück" des Bundeshaushaltes bezeichnete. In ihm bilde sich am meisten ab, wie der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft organisiert ist, sagte Nahles und lobte in diesem Zusammenhang noch einmal die Groß-Projekte der Koalition wie das Rentenpaket und das Mindestlohn-Gesetz.

Die ab 1. Juli 2014 in Kraft tretenden Regelungen des Rentenpakets wie die abschlagsfreie Rente ab 63 nach 45 Versicherungsjahren, die bessere Anerkennung von Erziehungsleistungen für vor 1992 geborene Kinder in Form der sogenannten Mütterrente, Erhöhungen bei der Erwerbsminderungsrente und dem Reha-Budget, hatten vor allem wegen der Finanzierung für viel Kritik gesorgt. Auf 160 Milliarden Euro beziffern sich die Kosten bis zum Jahr 2030. Investitionen, die sich aus Sicht von Andrea Nahles lohnen: 10 Millionen Menschen würden allein vom Rentenpaket und noch einmal fünf Millionen Menschen vom geplanten flächendeckenden Mindestlohn ab 2015 profitieren, rechnete sie vor. Zur Kritik an den Kosten des milliardenschweren Rentenpaketes sagte Nahles: "Ja, es kostet was, aber wir können uns das leisten und es ist solide finanziert."

Das war Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) dann doch zu schön gerechnet. Er warf der Bundesregierung vor, "blind für die sozialen Probleme" des Landes zu sein und machte das vor allem am Thema Armut fest. So würden mehr als sieben Millionen Menschen Grundsicherungsleistungen beziehen, die verdeckte Armut nicht eingerechnet. "Dazu haben Sie kein Wort verloren!", sagte der Grüne. Diese Menschen würden vom Rentenpaket überhaupt nicht profitieren. Das Rentenpaket sei Ausdruck einer "exklusiven Sozialpolitik" für einige wenige, die im System drin sind, beklagte Strengmann-Kuhn. Er warb in diesem Zusammenhang noch einmal für das grüne Modell einer steuerfinanzierten Garantierente, um Geringverdienern ein Abrutschen in Altersarmut zu ersparen.

Höhere Regelsätze

Die Diskussion über Armutsbekämpfung und das Ziel, möglichst viele Menschen über Arbeit gesellschaftlich zu integrieren, sei "des Pudels Kern", entgegnete Ewald Schurer (SPD). "Aber wenn fünf Millionen Existenzen künftig mithilfe des Mindestlohns besser abgesichert sind, kann man nicht so tun, als ob das kein manifester Bestandteil von Armutsbekämpfung sei", sagte der Haushaltspolitiker. Auch die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente würden Armut bekämpfen. Deshalb sei es "grundfalsch" zu sagen, die Regierung tue hier nichts.

Das reichte der Opposition nicht. Grüne und Linke forderten, den Hartz-IV-Regelsatz anzuheben. Klaus Ernst (Die Linke) nannte es eine der "großen Ungerechtigkeiten" des Haushaltes, dass dafür keine Mittel eingeplant sind. Und der Grüne Strengmann-Kuhn forderte die Regierung auf, endlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Anhebung der Regelsätze umzusetzen. Zwar hatte der Gesetzgeber 2011 ein Urteil der Karlsruher Richter von 2010 umgesetzt und die Regelsätze angehoben. Jedoch hat das Sozialgericht Berlin das Gesetz den Bundesrichtern zu erneuten Prüfung vorgelegt, weil es der Auffassung ist, das Existenzminimum werde dort immer noch auf verfassungswidrige Weise ermittelt. Nach der letzten Erhöhung zum 1. Januar 2014 liegt der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen derzeit bei 391 Euro im Monat.

Zu viele Langzeitarbeitslose

Dass es einen erheblichen und deutlich zu großen Teil von Menschen gibt, die momentan nicht "im System drin sind", verschwieg auch Ministerin Nahles nicht. Allerdings konzentrierte sie sich dabei auf die große Gruppe der Langzeitarbeitslosen und die Frage, wie diese besser in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Als langzeitarbeitslos gelten Menschen, die länger als ein Jahr am Stück arbeitslos sind. Deren Anteil an allen Arbeitslosen lag 2013 laut Statistischem Bundesamt bei 35 Prozent und ist in den vergangenen Jahren, trotz der guten Konjunktur, nur minimal gesunken. Diese rund eine Million Menschen profitierten nicht von der Rekordbeschäftigung in Deutschland, stellte Nahles fest und verwies darauf, dass 46 Prozent von ihnen länger als vier Jahre arbeitslos sind und mehrere "Vermittlungshemmnisse" haben. Menschen könnten ruhig Umwege gehen, aber man dürfe sie nicht aufgeben, appellierte sie und kündigte an, für 2015 ein spezielles Förderprogramm mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds auflegen zu wollen.

Klaus Ernst kritisierte jedoch die im Haushalt eingeplanten Mittel für die Eingliederung in Arbeit als viel zu niedrig. "Qualifizierung und Eingliederung sind das richtige Rezept gegen Langzeitarbeitslosigkeit. Hier brauchen wir einen Aufbau, den kann man aber nicht erkennen", so Ernst. Dem widersprach Nahles. Mit pro Kopf durchschnittlich 1.852 Euro würden derzeit mehr Mittel für Langzeitarbeitslose ausgegeben als im letzten Haushalt.

Natürlich sei jeder Langzeitarbeitslose einer zu viel und man müsse sich künftig stärker um die Einzelfälle kümmern, betonte Sabine Weiss (CDU). Es sei aber angebracht, die Erfolge in anderen Bereichen deshalb nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion für den Bereich Arbeit und Soziales lobte insbesondere die geringe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland, die mit 7,9 Prozent die niedrigste in Europa sei. "Wir engagieren uns weiterhin auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Arbeitsmarkt", versprach sie und verwies auf das Programm "MoBiPro-EU". Mit diesem Programm fördert das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die berufliche Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen und arbeitslosen jungen Fachkräften aus Europa. Aufgrund der enormen Nachfrage wurden die Mittel dafür noch einmal um 27 Millionen Euro allein für dieses Jahr aufgestockt. Ein Ergebnis, das fast alle Redner würdigten. Allen voran Ministerin Nahles: "Das hätte ich ohne das Parlament nicht geschafft", sagte sie mit Blick auf die Haushaltsberatungen. Claudia Heine z