Der Waffenstillstand, der am vergangenen Freitag für die Südostukraine vereinbart worden ist, ist zwar noch immer brüchig. Wenn es aber gelingen sollte, diese Feuerpause dauerhaft zu stabilisieren, dann wäre das nicht nur eine Chance für eine politische Lösung, sondern es wäre vor allem auch ein Ende des unerträglichen Leids der Zivilbevölkerung.
Dass dieser Waffenstillstand zustande kam, hat auch damit zu tun, dass auf dem NATO-Gipfel in der vergangenen Woche eine entschiedene, aber maßvolle Antwort auf die Situation in der Ukraine gefunden wurde. Alle 28 NATO-Mitglieder haben bekräftigt, dass sie füreinander einstehen. Jedes einzelne NATO-Land kann nur in Sicherheit leben, wenn alle anderen NATO-Länder ebenfalls in Sicherheit leben. Die Europäische Union und die NATO stehen fest zusammen. Das ist, glaube ich, eine gute Botschaft für unsere östlichen NATO-Partnerländer.
Jeder, der heute Morgen die bewegende Rede von Präsident Komorowski gehört hat, kann nachvollziehen, dass die Polen und die Balten in großer Sorge sind. Andere haben jahrzehntelang Verantwortung für uns Deutsche, für unsere Sicherheit übernommen. Dann ist es ganz selbstverständlich, dass wir jetzt ebenfalls Verantwortung für andere übernehmen. Es war aber auch richtig, maßvoll zu handeln, an der NATO-Russland-Grundakte festzuhalten und keine NATO-Kampftruppen in Osteuropa dauerhaft zu stationieren.
Zwar hat Putin gegen den Geist dieser Vereinbarung verstoßen. Aber in einer Zeit, in der wir auf die Einhaltung des Völkerrechts sowie die Einhaltung bestehender Verträge dringen, ist es nicht klug, selbst bestehende Verträge aufzukündigen. Stattdessen hat die EU weitere Sanktionen beschlossen beziehungsweise vorbereitet, die bei Bedarf in Kraft treten können und die russische Entscheidungselite sowie die russische Wirtschaft empfindlich treffen beziehungsweise, soweit sie noch umgesetzt werden müssen, treffen können. Es ist gut, dass es dabei immer eine offene Tür für Russland gibt. Manche halten diese Maßnahmen für nicht ausreichend und fordern härtere Maßnahmen. Ich warne davor, die Wirkungen der Sanktionen kleinzureden und sich über diplomatische Mittel zur Lösung der Krise verächtlich zu äußern, wie das teilweise geschieht. Diesen Stimmen sollten wir nicht nachgeben; denn dieser Konflikt kann – darüber besteht in der NATO große Einigkeit – nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden. Wir sollten uns nicht dazu hinreißen lassen, aufzuhören, miteinander zu reden. Wir sollten nichts tun, was dazu führt, dass nicht mehr miteinander geredet werden kann.
Lieber Herr Gysi, Ihre Rede hatte einen roten Faden und als einzigen Tenor: Die Bundesregierung macht alles falsch, und Herr Gysi hat immer recht. Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, Sie hätten beim Mindestlohn recht gehabt und sich dafür rühmen, dann kann ich Sie nur fragen: Wo waren Sie denn, als wir vor zwei Monaten über den Mindestlohn abgestimmt haben?
Herr Gysi, noch ein Wort zu TTIP. Auch damit haben Sie sich ausführlich beschäftigt. Ich kann Ihnen sagen: Es wird kein Freihandelsabkommen geben, das die Rechte des demokratischen Gesetzgebers, verfassungskonforme Gesetze zu erlassen, in irgendeiner Weise beeinträchtigt. Ich sage Ihnen: Es gibt nur Freihandelsabkommen, bei denen jeder Investor in Deutschland die verfassungsgemäßen, gesetzlichen Regeln voll zu beachten und zu respektieren hat. Etwas anderes kann es gar nicht geben.
Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Situation in Deutschland ist gut. Wir hatten im Juli einen Ausfuhrrekord: Waren im Wert von über 100 Milliarden Euro wurden exportiert. Die Zahl der Beschäftigten steigt weiter. Wegen guter Lohnabschlüsse mit kräftigen Steigerungen haben wir auch eine starke Binnennachfrage. Aber der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine wird, wenn er nicht beigelegt wird, auch an -unserer Wirtschaft nicht spurlos vorübergehen.
Die Entwicklung zeigt: Wirtschaftlicher Erfolg kommt nicht von selbst. Wir müssen aktiv dafür arbeiten, dass die wirtschaftliche Stärke Deutschlands erhalten bleibt.
Ausdruck dieser wirtschaftlichen Stärke ist, dass wir diesen Haushalt verabschieden können – zum ersten Mal seit 46 Jahren einen Haushalt ohne neue Schulden. Das ist eine historische Zäsur.
46 Jahre lang haben wir immer nur neue Schulden aufgetürmt.
Jetzt schaffen wir einen ausgeglichenen Haushalt. In Spitzenzeiten hatten wir eine Zinsbelastung von 40 Milliarden Euro. Das hat die Handlungsfähigkeit unseres demokratischen Gemeinwesens drastisch eingeschränkt. Nur ein Staat, der finanziellen Spielraum hat, kann investieren, kann gestalten und kann für sozialen Ausgleich sorgen.
Deshalb ist es gut, dass wir jetzt einen ausgeglichenen Haushalt haben. Das ist auch eine gute Botschaft an die jungen Menschen in diesem Land: Wir wollen keine Politik zulasten der künftigen Generationen mehr machen.
Aber der Haushalt enthält auch andere Botschaften. Wir entlasten die Länder beim BAföG, damit sie mehr in Bildung investieren können. Wir entlasten die Kommunen um weitere 1 Milliarde Euro jährlich im Vorgriff auf das Bundesteilhabegesetz. Mit der Entlastung der Kommunen bei der Grundsicherung sind das jetzt 5,5 Milliarden Euro Entlastung. Wir investieren 6 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode in Forschung und Entwicklung. Außerdem investieren wir in den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur in dieser Wahlperiode insgesamt 5 Milliarden Euro. Das alles sind Schritte in die richtige Richtung, aber sie reichen nicht aus, um die gewaltigen Investitionsprobleme in diesem Lande zu lösen.
Der Investitionsstau ist leider keine Erfindung der Medien, sondern ein real existierendes Problem unserer Volkswirtschaft. Im Bereich der öffentlichen Infrastruktur investiert Deutschland 0,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, also 20 Milliarden Euro pro Jahr weniger als der Durchschnitt der OECD-Länder. Die getätigten Investitionen reichen nicht aus, um das abzudecken, was jährlich durch Verschleiß verloren geht.Deshalb müssen wir uns jetzt vor allem auf zwei Dinge konzentrieren:
Erstens. Wir dürfen die Mautdebatte nicht auf die Pkw-Maut verengen, sondern wir müssen vor allem für eine schnelle Ausweitung der Lkw-Maut auf allen Bundesstraßen sorgen.
Das Geld, das wir einnehmen, muss dort investiert werden, wo es am dringendsten benötigt wird: in die großen überregionalen Engpassstellen unseres Verkehrsnetzes. Wir brauchen eine klare Prioritätensetzung, und das muss sich auch in der Investitionsplanung der Bundesregierung widerspiegeln.
Zweitens. Wir müssen kreative Wege und Möglichkeiten suchen, wie das in Deutschland reichlich vorhandene private Kapital stärker in den Ausbau der Infrastruktur investiert werden kann, statt in spekulativen und hochriskanten Anlagen im Ausland verbrannt zu werden. Dabei will ich ganz klar sagen: Autobahnen und Schienenwege sind und bleiben öffentliches Eigentum. Herr Gysi,
Öffentlich-private Partnerschaften sind nur sinnvoll, wenn sie eindeutig wirtschaftlicher, günstiger sind als staatliche Maßnahmen. Das haben wir im Koalitionsvertrag so vereinbart, und das werden wir natürlich auch genau so umsetzen. Es muss in jedem Fall der Nachweis erbracht werden, dass diese Projekte wirtschaftlicher sind; sonst sollten sie so nicht finanziert werden; denn es macht keinen Sinn, die Steuerzahler mit teuren privatwirtschaftlichen Projekten zu belasten.
Ein gutes Beispiel für einen kreativen neuen Weg sind die Lebensversicherungen. Die Lebensversicherungen benötigen sichere Anlagen mit sicherer Rendite. Das waren lange die Staatsanleihen. Die fallen wegen der niedrigen Zinsen weitgehend aus. Deshalb kommen die Versicherer zu uns und sagen: „Wir würden gern mehr in Infrastruktur und in erneuerbare Energien investieren, aber die Rechtslage erlaubt das nicht.“ – Das müssen wir schnellstens ändern. Das Bundeskabinett hat einen Entwurf zur Neufassung des Versicherungsaufsichtsgesetzes auf den Weg gebracht. Damit bekommen Versicherungen die Möglichkeit, in größerem Maße in erneuerbare Energien, in Stromleitungen und in den Breitbandausbau zu investieren. Das ist überfällig.
Der zweite Engpass – neben der Infrastruktur – sind die Fachkräfte. Bis 2025, also innerhalb eines Zeitraums von zehn bis elf Jahren, stehen dem Arbeitsmarkt 6 Millionen Erwerbspersonen weniger zur Verfügung als heute. Gleichzeitig verlassen jedes Jahr immer noch 50.000 junge Menschen das deutsche Schulsystem, ohne einen Abschluss zu haben, und jedes Jahr brechen 25 Prozent der Jugendlichen ihre Ausbildung ab. Im Ergebnis haben dadurch 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 25 und 35 keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das ist nicht nur ökonomisch ein ganz großer Missstand; es kann uns auch menschlich nicht kaltlassen, dass junge Menschen ohne Perspektive sind, sich als moderne Tagelöhner durchschlagen müssen und schon Hartz IV bekommen.
Im Augenblick leben wir von der Einwanderung, wenn es darum geht, unseren Fachkräftemangel auszugleichen, aber das wird auf Dauer nicht reichen. Wir müssen mehr Anstrengungen unternehmen, um unsere jungen Menschen durch Nachqualifizierung in den Arbeitsmarkt zu bringen.
Aber bei denjenigen, die den Abschluss schaffen, dürfen die weiteren Bildungschancen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Deshalb wird es 2016 eine kräftige BAföG-Erhöhung geben. Wir haben uns mit den Ländern darauf geeinigt, dass der Bund ab 2015 die Ausgaben für das BAföG allein übernimmt.´ Ganz wichtig ist: Künftige BAföG-Erhöhungen sind nicht mehr von der Kassenlage der Länder abhängig.
Diese Koalition hat sich vorgenommen, dass Frauen und Männer gleiche Rechte und gleiche Chancen bekommen. Es kann nicht sinnvoll sein, wenn fast 50 Prozent der Studierenden weiblich sind, bei den Führungskräften nur noch 30 Prozent und bei den Vorstandspositionen nur noch 4 Prozent. Das ist eine Schwundquote, die mit dem Leistungsprinzip nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.
Natürlich sind das immer noch tradierte Rollenbilder und Arbeitsteilungen, die Frauen den Weg in eine erfolgreiche Berufstätigkeit verbauen. Aber wir merken, dass eine Änderung des Status quo immer auch eine Machtfrage ist. Manche Dinge bewegen sich eben nur, wenn man Druck ausübt, zum Beispiel für die Gleichberechtigung in deutschen Aufsichtsräten oder Großkonzernen. Deshalb brauchen wir nicht nur freiwillige Vereinbarungen, wir brauchen Regeln und Mechanismen wie die Frauenquote und ein Entgeltgleichheitsgesetz, um diese Machtstrukturen aufzubrechen. Deshalb sage ich ganz klar: Die Frauenquote muss kommen.
Viele Familien in diesem Land beklagen sich auch über die enormen Schwierigkeiten des Alltages. Es gibt nicht genügend Kitaplätze von hoher Qualität. Sie finden keine Ganztagsschule für ihre Kinder. Sie wollen ihre Angehörigen zu Hause pflegen. Es ist ein Himmelfahrtskommando, beim Arbeitgeber wegen Teilzeit nachzufragen. Wir wollen, dass die Familien mehr Unterstützung und mehr Freiheit bekommen, ihre Zeit nach ihren eigenen Vorstellungen einzuteilen. Dazu werden wir mit dem ElterngeldPlus und dem Familienpflegezeitgesetz zwei ganz wichtige Initiativen der Koalition im Parlament beraten.
Auch wenn es darüber im Koalitionsvertrag, lieber Volker, keine Einigung gegeben hat, finde ich den Vorschlag von Manuela Schwesig, eine Familienarbeitszeit einzuführen, hochinteressant; denn das ist eine Idee, mit der am Ende – das sagen uns die Vertreter der Wirtschaft – sogar die Gesamtarbeitszeit von Männern und Frauen erhöht werden kann und sie trotzdem mehr Zeit für die Familie haben. Vielleicht sollten wir darüber noch einmal nachdenken.
Es hilft den Menschen, ihre eigene Zeit nach ihren eigenen Vorstellungen aufzuteilen, um Beruf, Kinder, Pflege und Freizeit unter einen Hut zu bringen. Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie wir ihnen dieses Stück Freiheit zurückgeben können.
Die Situation der Flüchtlinge. Krieg und Terror führen dazu, dass immer mehr Flüchtlinge Schutz in Deutschland suchen. In diesem Jahr rechnen wir mit über 200.000 Asylbewerbern. Es ist nicht absehbar, dass es im nächsten Jahr weniger werden. Ich sage: Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Aufgabe aller Fraktionen in diesem Hause, diese Flüchtlinge in Deutschland so aufzunehmen und unterzubringen, dass sie nicht zum Angriffsobjekt für rechtsextreme Gruppen werden. Dabei dürfen wir die Kommunen nicht alleine lassen.
Deutschland nimmt zurzeit die meisten Flüchtlinge in der Europäischen Union, und zwar 30 Prozent aller Flüchtlinge, die nach Europa kommen, auf. Die anderen Länder müssen sich dieser Verantwortung aber auch stellen. Wir wollen ein europäisches Flüchtlingskonzept, Herr Innenminister. Wir unterstützen Sie in der Forderung, dass die große Zahl der Flüchtlinge unter allen Mitgliedsländern in der Europäischen Union fair verteilt werden muss. Jeder muss dabei mitmachen. Keiner kann sich dieser Aufgabe entziehen. Dabei haben Sie unsere Unterstützung.
Wenn wir am Ende sehen, dass wir nicht allen Flüchtlingen in Deutschland helfen können, dann müssen wir uns auf die konzentrieren, die am stärksten von Krieg, Verfolgung und Vertreibung betroffen sind. Mit anderen Worten: Wir müssen dort helfen, wo die Not am größten ist. Das setzt voraus, liebe Kollegen und Kolleginnen von den Grünen, dass wir Prioritäten setzen, wenn wir es gut machen wollen. Und wir müssen es gut machen. Deshalb appelliere ich an Sie, das Gesetz über sichere Herkunftsstaaten nicht aufzuhalten, sondern im Bundesrat passieren zu lassen. Dieses Gesetz beendet übrigens das neunmonatige Arbeitsverbot für Asylbewerber und gibt ihnen die Möglichkeit, schon nach drei Monaten zu arbeiten. Ich sage Ihnen: Der beste Schutz vor Diskriminierung ist es, wenn Flüchtlinge schon früh eine Arbeit aufnehmen und ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können.
Was derzeit in vielen Großstädten und Ballungszentren, aber auch in vielen kleinen Universitätsstädten passiert, macht uns große Sorgen: Wer eine größere Wohnung braucht, hat häufig keine Chance, eine neue Wohnung im angestammten Umfeld zu finden. Es kommt vermehrt zu Zwangsräumungen, weil Menschen Mieterhöhungen nicht zahlen können. Und Investoren entmieten systematisch Häuser, weil sie wissen, dass bei einem Mieterwechsel die Miete verdoppelt werden kann. Die soziale Verdrängung, die hier stattfindet, meine Damen und Herren, darf so nicht weitergehen.
Wir haben im Koalitionsvertrag eine Mietpreisbremse vereinbart. Wir müssen dafür sorgen, dass es auch in den angesagten Wohnquartieren der Städte in Zukunft noch eine sozial gemischte Wohnbevölkerung gibt. Deshalb sage ich ganz klar: Die Mietpreisbremse muss kommen. Das Wohnen in großstädtischen Quartieren muss auch für Menschen möglich sein, die nur ein normales Einkommen zur Verfügung haben.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zu einer politischen Frage, die uns seit der Landtagswahl in Sachsen beschäftigt. Zum zweiten Mal in sechs Jahrzehnten haben wir erlebt, dass in Deutschland weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten bei einer Landtagswahl wählen gegangen sind. Ich finde, da dürfen wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen; denn je niedriger die Wahlbeteiligung bei einer Landtags- oder Bundestagswahl ist, umso höher ist hinterher der Einfluss extremistischer Parteien, meine Damen und Herren. Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz klar: Wer Landtagswahlen in die Sommerferien verlegt, der stärkt das Desinteresse an Politik und macht es Menschen leicht, sich aus der Demokratie zu verabschieden.
Ich finde, dass wir es 25 Jahre nach dem Mauerfall nicht hinnehmen dürfen, dass sich immer mehr Menschen in Deutschland von der Demokratie abwenden. Das müssen wir stoppen. Deshalb regen wir an, dass alle Fraktionen bei dieser Frage in einem Bündnis zur Steigerung der Wahlbeteiligung zusammenarbeiten. Ich finde, das ist etwas, was wir gut zusammen machen können. Wir jedenfalls sind dazu bereit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
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