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Carsten Schneider, SPD:

Beginn einer Zeitenwende

Debatte zur Einbringung des Haushalts 2015 / 33. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages am 9. September 2014

Mit dem Haushalt 2015, den die Regierung hier eingebracht hat, beginnt eine Zeitenwende. Es ist der erste Bundeshaushalt seit mehreren Jahrzehnten, mit dem der Versuch unternommen wird – ich hoffe, wir werden es auch schaffen –, die Neuverschuldung nicht nur zu reduzieren, sondern sie gänzlich auf null zu setzen. Das hat es seit 1969 nicht mehr gegeben.

Wir als Sozialdemokraten haben uns im Regierungsprogramm zur Bundestagswahl vorgenommen, genau dies zu erreichen. Wir haben 2009 in der Großen Koalition hier im Bundestag die Schuldenbremse mit beschlossen, und wir werden sie vorfristig, nämlich schon im Jahr 2015, erreichen. Das ist ein Quantensprung, auf den wir Sozialdemokraten stolz sind.

Dies wird von einer breiten Mehrheit im Deutschen Bundestag, von den Kollegen der Union und, wie ich gehört habe, auch von der Linkspartei und, wie ich vermute, grundsätzlich auch von den Grünen, getragen. Über den Weg dahin streiten wir.

Es ist richtig, Kollege Bartsch, dass wir in der Steuerpolitik, gerade was die Verteilungsfrage betrifft, Unterschiede in der Koalition haben. Wir haben uns nicht auf alle Punkte einigen können, die Bestandteil unseres Regierungs- und Wahlprogramms waren. Das bleibt einer politischen Entscheidung im Anschluss an die nächste Bundestagswahl vorbehalten.

Trotzdem haben wir die Wachstumskräfte, die in Deutschland derzeit die Konjunktur stützen und für die gute Entwicklung verantwortlich sind, nämlich die Binnennachfrage, extrem gestärkt. Das Wichtigste dabei ist die ab dem 1. Januar 2015 beginnende Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Er wird allein in meinem Heimatland Thüringen für über ein Drittel der Beschäftigten für die größte Lohnerhöhung sorgen, die diese Beschäftigten jemals erreicht haben.

Aber nicht nur der Mindestlohn wird eine Stütze der Konjunktur sein und zu höheren Steuereinnahmen führen, sondern auch die Tarifabschlüsse. Nun weiß ich nicht, Kollege Bartsch, ob die von Ihnen genannten Zahlen inflationsbereinigt waren oder nicht. Wahrscheinlich waren sie inflationsbereinigt, was die Steigerung betrifft. Nichtsdestotrotz sehen auch wir, ähnlich wie die Deutsche Bundesbank, Luft nach oben, was die Lohnentwicklung betrifft. Die Tarifabschlüsse müssen in den nächsten Jahren höher werden, und der Anteil der Arbeitnehmer an der gesamtwirtschaftlichen Leistung muss gerechter ausfallen; das ist gar keine Frage.

Ja, wir haben auch eine Diskussion über die Zukunftsinvestitionen. Ich finde, völlig zu Recht; denn die Analyse, dass wir in weiten Teilen von der Substanz leben und die öffentliche, aber auch die private Investitionsbereitschaft – Stichwort „Kapitalstock der Unternehmen“ – schwach ist, ist nicht neu. Ich würde sie auch nicht infrage stellen. Ich glaube viel eher, dass sie richtig ist und dass wir darauf Antworten geben müssen.

Wir tun das in Teilen durch die Verabredung im Koalitionsvertrag, was die Investitionen im Bereich Verkehr betrifft – 5 Milliarden Euro mehr – und was den Bildungsbereich betrifft – 6 Milliarden Euro mehr; hinzu kommen 3 Milliarden Euro mehr für Forschungsausgaben. Das ist ein klarer Trend nach oben. Die Zukunftsausgaben werden verstetigt, aber das wird sicherlich nicht ausreichen.

Aus diesem Grund unterstütze ich grundsätzlich die Überlegungen sowohl des Bundeswirtschaftsministers als auch des Bundesfinanzministers, das enorme Sparkapital, das in Deutschland zur Verfügung steht, für Investitionen zu akquirieren, sei es in Unternehmen, sei es in die öffentliche Infrastruktur, also da, wo es um Nutzerfinanzierung geht. Ich halte die Diskussion über die Gründe, die 2008 in die Finanzkrise geführt haben, nämlich dass die Überschüsse, die wir hier erwirtschaftet haben, ins Ausland exportiert und nicht in Deutschland investiert wurden, für absolut überfällig.

Wir brauchen die hiesigen Unternehmensgewinne und die hiesige Sparquote für Investitionen in Deutschland, damit wir zukunftsfähig bleiben.

Wir wollen nicht wieder die Situation erleben, dass Lebensversicherungen, Banken und andere Kapitalanleger ihre hier erwirtschafteten Ersparnisse im Endeffekt im Ausland anlegen. Von daher, Herr Minister, sehe ich die Wiederbelebung des ABS-Marktes, also des Marktes für forderungsbesicherte Wertpapiere, kritisch.

Sicher ist es so, dass die mit Unternehmenskrediten besicherten Papiere nicht in dem Maße gehandelt worden sind wie andere. Nur, wer kontrolliert das? Ich glaube, dass wir die Chance viel besser nutzen müssen, die Bereinigung des Bankensektors im Verlaufe dieses Jahres durch eine unabhängige, qualifizierte Prüfung durch die europäische Bankenaufsicht, also durch die Europäische Zentralbank, vornehmen zu lassen. Wir müssen dafür sorgen, dass die sogenannten Zombiebanken, die nur noch durch das billige Geld der EZB am Leben erhalten werden, aber nicht mehr dafür sorgen, dass neu gegründete Unternehmen, die Innovationen vornehmen, finanziert werden, vom Markt verschwinden. Das heißt für Deutschland im Zweifel: kritische Eingriffe. Sie sind aber notwendig, um den Steuerzahler langfristig vor weiteren Schäden zu bewahren und außerdem um zusätzliche Wachstumsimpulse zu schaffen.

Herr Minister, ich finde, Sie haben zu Recht auf die Initiative zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit hingewiesen. Es bringt nichts, große Summen – hier 6 Milliarden Euro – in den Raum zu stellen, die im Endeffekt nicht abfließen. Ja, wir als Exportnation – heute hieß es, dass wir im letzten Monat Exporte im Wert von über 100 Milliarden Euro getätigt haben; das zeigt, dass wir immer noch eine Exportnation sind; wir sollten also den Teufel nicht an die Wand malen – haben ein großes Interesse daran, dass der europäische Binnenmarkt funktioniert, dass unsere Partner in Frankreich und Italien über eine stabile Wirtschaftsentwicklung verfügen können. Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir die vorgegebenen Spielräume innerhalb des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nutzen. Das heißt: Strukturreformen und im Gegenzug mehr Zeit beim Defizitabbau. Das Gleiche haben wir in Deutschland in den Jahren 2005 und 2006 in der Großen Koalition gemacht, und zwar erfolgreich.

Mit Herrn Renzi und Herrn Hollande haben wir es mit einem Ministerpräsidenten und einem Präsidenten zu tun, die solche Reformen – vielleicht zu spät – in Angriff nehmen. Wir als Deutscher Bundestag haben das größte Interesse daran, dass die beiden Länder Italien und Frankreich stabil bleiben, dass sie wirtschaftlich vorankommen und dass dort keine Extremisten an die Macht kommen. Deswegen sollten wir sie auf ihrem Weg uneingeschränkt unterstützen.

Ich will auf einen letzten Punkt eingehen: auf die Besteuerung des Finanzsektors. Die heutige Haushaltsdebatte ist in diesem Zusammenhang bereits ein Anfang. Bisher muss man sagen: Da tut sich nichts. Wir werden das Bankeninsolvenzrecht mit der Schaffung der Europäischen Bankenunion ändern. Das wird uns im Herbst dieses Jahres hier im Deutschen Bundestag beschäftigen. Aber klar ist auch, dass die Kosten der Krise, die auch wir in Deutschland zu schultern haben, vom Steuerzahler getragen wurden. Der Finanzsektor hat dazu keinen Beitrag geleistet. Im Gegenteil: Die zukünftig auszugestaltende Bankenabgabe – sie wird zu leisten sein, wenn auf europäischer Ebene eine Bank pleitegeht – bedeutet, dass der Finanzsektor die Kosten dafür tragen muss.

In Deutschland ist diese Abgabe nicht steuerabzugsfähig, in anderen europäischen Ländern schon. Ähnlich ist es mit der Finanztransaktionsteuer. Ihre Einführung war die Voraussetzung für die Zustimmung der SPD und auch der Grünen zum europäischen Fiskalpakt. Ich erwarte diesbezüglich substanzielle Fortschritte auf europäischer Ebene, damit wir diejenigen, die die Krise mit verursacht haben, tatsächlich an den Kosten ihrer Bewältigung beteiligen. Das ist eine Frage der öffentlichen Legitimation von Demokratie.

Sie haben dazu, Herr Minister, die volle Unterstützung des Deutschen Bundestages. Wenn wir das bis Ende des Jahres nicht schaffen sollten, werden wir sehr wohl überlegen müssen, ob wir dazu nicht national Regelungen treffen und vorangehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aus Politik und Zeitgeschichte

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