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JUSTIZ : »Ein Mehr an Demokratie«

Die Verfassungsrichter sollen künftig vom Plenum des Deutschen Bundestages gewählt werden

13.10.2014
2023-08-30T12:26:20.7200Z
4 Min

Als Jurastudent im ersten Semester habe er unbedingt Richter am Bundesverfassungsgericht werden wollen, gab Matthias Bartke (SPD) vergangene Woche im Bundestag zu. Wie die Mehrheit der Deutschen auch habe ihn vor allem die „Aura“ des Gerichts fasziniert, die „Aura“ der Unabhängigkeit, Überparteilichkeit und Sachorientierung. Zu dieser Aura trage auch die hohe Transparenz bei, unter der die Entscheidungen des Gerichts stattfänden. Dazu passe der Wahlmodus jedoch nicht so ganz, mit dem die Karlsruher Richter vom Parlament bestimmt werden, sagte Bartke. Deshalb werde dieser nun geändert, fügte er bei der ersten Lesung eines entsprechenden Gesetzentwurfs aller vier Fraktionen (18/2737) hinzu. Danach sollen die Richter zukünftig direkt vom Plenum des Bundestages gewählt werden.

Änderung überfällig In Artikel 94 des Grundgesetzes heißt es zur Wahl der Verfassungsrichter: „Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt.“ Bisher wählte der Bundestag seinen Teil der Richter indirekt durch einen zwölfköpfigen Wahlausschuss. Nach der geplanten Neuregelung soll der Ausschuss künftig einen Kandidaten vorschlagen, der dann im Plenum zur Wahl steht.

Schon seit längerer Zeit hatte es Kritik an der aktuellen Regelung zur Wahl der Karlsruher Richter gegeben. Unter anderem Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte eine Änderung gefordert. Ein neues Wahlverfahren sei überfällig, hatte er anlässlich der Wahl von Doris König zur neuen Richterin am Bundesverfassungsgerichts im Mai diesen Jahres gesagt. Es sei „beider Verfassungsorgane unwürdig“, wenn der Bundestag nur nachträglich über die Wahl informiert werde.

Für Bartke wird der Wahlmodus mit der neuen Regelung der hohen verfassungspolitischen Bedeutung des Gerichts gerecht. Sie beende eine „verfassungspolitische Asymmetrie“. Der CDU-Abgeordnete Stephan Harbarth betonte, es gehe nicht darum, ein Misstrauen gegen die bisherige Arbeit des Wahlausschusses zum Ausdruck zu bringen, sondern um eine verfassungspolitische Neujustierung. Die Wahl der Verfassungsrichter sei „nicht minder wichtig“ als andere Personalien, über die der Bundestag entscheide, wie beispielsweise die des Wehrbeauftragten oder des Präsidenten des Bundesrechnungshofes, sagte Harbarth. Seine Fraktion begrüße außerdem die Regelung, dass der Wahlausschuss weiterhin einen Kandidaten vorschlage und das Plenum dann über diesen Vorschlag abstimme. Damit würden „die Vorzüge beider Systeme miteinander kombiniert“.

Auch die Opposition ist mit der neuen Regelung einverstanden. Für Die Linke sagte Halina Wawzyniak, das neue Verfahren bedeute „ein Mehr an Demokratie“. „Wir finden das gut und deshalb sind wir selbstverständlich mit dabei.“ Allerdings sei es nicht zwingend, dass nur der Wahlausschuss einen Vorschlag unterbreitet. Es könne doch darüber nachgedacht werden, das Vorschlagsrecht allgemein zu erweitern. Bislang dürften nur Fraktionen, Landesregierungen oder die Bundesregierung dem Richterwahlausschuss Vorschläge unterbreiten. Weiter solle der Bundestag sich überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Karenzzeit für aktive Politiker einzuführen, bevor diese an das Bundesverfassungsgericht wechseln dürfen. Außerdem solle der Bundestag eine Begründungspflicht für abgelehnte Fälle für das Gericht einführen. Die Bürger müssten zudem das Recht erhalten, zu erfahren, warum Karlsruhe ihre Klagen abweise. Renate Künast (Grüne) sagte, ihre Partei habe eine Wahl der Richter durch das Plenum schon seit Jahren gefordert. Insofern sei das ein guter Tag. Allerdings nannte auch sie Änderungswünsche. So kritisierte sie, dass im Besetzungsverfahren der Kommission immer noch das d’Hondtsche Berechnungssystem zur Sitzverteilung verwendet werde. Auch brachte Künast eine Frauenquote für das Gericht ins Spiel. Es gebe eine solche Quote schließlich auch für Unternehmensvorstände, argumentierte sie.

Kein „Grillen“ der Kandidaten Einig waren sich die Abgeordneten darin, dass es zukünftig zu keiner Befragung der Kandidaten im Plenum kommen soll, wie es in den USA üblich ist. Dort müssen sich die Kandidaten für den Supreme Court einer intensiven Prüfung durch den Rechtsausschuss des Senates unterziehen. Bei diesen Anhörungen werden die potenziellen Richter intensiv nach ihren ethisch-politischen Ansichten befragt. Dabei haben sich schon manche Kandidaten geweigert, Fragen beispielsweise zu Abtreibungsrechten zu beantworten. Im Bundestag warnten die Abgeordneten vor ähnlichen Zuständen. Die Kandidaten dürften nicht „zerredet“ werden, fand zum Beispiel CDU-Mann Harbarth.

Das Bundesverfassungsgericht selbst hatte sich vor zwei Jahren im Zuge einer Wahlprüfungsbeschwerde mit der Rechtmäßigkeit der Wahl seiner Richter beschäftigt. Damals fand das Karlsruher Gericht offiziell keinen Anlass zur Kritik. Allerdings hatte Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle vor seinem Amtsantritt im Jahr 2008 den Wahlmodus kritisiert. Die mangelnde Transparenz und Nichtöffentlichkeit des Verfahrens lasse sich nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren. Um Stellungnahme zum neuen Verfahren gebeten, teilte das Gericht mit, dass „etwaige Anmerkungen aus unserer Sicht nicht veranlasst sind“.