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Rot-Rot-Grün : Die Zäsur von links

Kommt in Thüringen die avisierte Landesregierung, ist das ein innenpolitischer Einschnitt, aber keine Gefahr für die Demokratie

10.11.2014
2023-08-30T12:26:22.7200Z
5 Min

Die mahnende Einrede des Bundespräsidenten und manch gallige Kritik aus der CDU, der ein weiteres Stück landespolitischer Macht wegzubrechen droht, signalisieren es: Sollte in Thüringen tatsächlich eine rot-rot-grüne Koalition zustande kommen, wäre dies zweifelsohne eine innenpolitische Zäsur. Aber es wäre auch ein Nachweis für die Integrationskraft des demokratischen Parteiensystems der Bundesrepublik.

Allerdings wirft ein solches Regierungsbündnis Fragen nach möglichen Risiken und Nebenwirkungen auf: Ist die Linkspartei tatsächlich schon hinreichend geläutert? Steht in der Erfurter Landespolitik ein ideologisch angeleiteter Richtungswechsel bevor? Roden die Bündnisgrünen ihre Wurzeln, die in die Bürgerrechtsbewegung der DDR zurückreichen? Begibt sich die thüringische SPD in eine sie letztlich erstickende Umarmung der dort so viel stärkeren Linken?

Ein Blick zurück Erhellend für die Beantwortung dieser Fragen ist es, den Entwicklungspfad, den die Politik auf der Länderebene in Ostdeutschland seit 1990 genommen hat, einmal rückwärts abzuschreiten und, ausgehend von diesem, in manchem bereits historischen Erfahrungshintergrund den Bogen zur Gegenwart zu schlagen. Zunächst zur Linkspartei: Von der anfangs eingenommenen Position einer „gesellschaftlichen Opposition“, die faktisch der politischen Selbstausgrenzung gleichkam, hatte sich die Vorgängerpartei PDS seit den späten 1990er Jahren wegbewegt. Der Mitwirkung der PDS im von ihr parlamentarisch tolerierten „Magdeburger Modell“ einer sozialdemokratisch geführten Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt (1994 bis 2002) sind förmliche Regierungsbeteiligungen in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg nachgefolgt. Erkennbare, gar dramatische Linksverschiebungen im Regierungskurs sind damit damals nicht einhergegangen. Im Gegenteil: Wie regional vergleichende Fallstudien belegen, hat die PDS/Linke als Juniorpartner in Landesregierungen eine ausgesprochen pragmatische Linie verfolgt. Dabei erwies sich das Zusammenwirken der Fachpolitiker beider Fraktionen als eine wichtige Klammer. Und nicht nur dies: Kam es zu bündnisinternen Konflikten mit der SPD, zeigten sich die Sozialisten in einem Maße kompromissbereit, das wiederholt bis an den Rand der parteipolitischen Selbstpreisgabe ging.

Etliches spricht dafür, dass eine von einem linken Ministerpräsidenten geführte Landesregierung in Thüringen an dieser realpolitischen Grundeinstellung festhält. Zum einen dürfte sich mäßigend auswirken, dass die Linke dortselbst - anders als die SPD - keine alternative Bündnisoption hat. Zum anderen gibt es einen parteiübergreifenden Konsens über vorrangige Agenden der Landespolitik, der nicht nur Linke und SPD verbindet, sondern in der Sache die CDU mit einschließt: Dass mehr Lehrer und Polizisten eingestellt werden, die Hochschullandschaft gepflegt und die grenznahe Kriminalität wirksamer bekämpft werden sollen, finden sich als Eckpunkte gleichermaßen in den jüngsten Koalitionsverträgen von CDU/SPD in Sachsen und von SPD/Linke in Brandenburg. Ebenso dürften damit wichtige Agenden einer künftigen rot-rot-grünen Koalition in Thüringen benannt sein.

Keine Neuauflage Nun waren sozialpolitische Leistungen, die über Neuverschuldung finanziert wurden, ein Markenzeichen des Magdeburger Tolerierungsmodells. Seinerzeit bildeten die sozialpolitischen Fachpolitiker von SPD und PDS eine durchsetzungsfähige Querfront innerhalb des Bündnisses. Eine Neuauflage einer solchen Verschuldungspolitik ist indes nicht zu erwarten. Einmal wird die Schuldenbremse faktisch jetzt schon in den ostdeutschen Ländern angezogen. Auch in früheren rot-roten Bündnissen (Mecklenburg-Vorpommern, Berlin) haben Landespolitiker der Linkspartei das Gebot der Haushaltskonsolidierung aktiv mit umgesetzt. Zum anderen könnte jede neue Landesregierung in Erfurt, unbeschadet ihrer parteipolitischen Zusammensetzung, schwerlich gegen die in dieser Frage heute eindeutige Meinung der Bevölkerung anregieren. Neuesten Umfragen zufolge, plädieren nämlich gut 70 Prozent der Bundesdeutschen dafür, einem ausgeglichenen Haushalt den Vorzug zu geben, darunter jeweils klare Mehrheiten auch der Anhänger von SPD und Linkspartei.

Das Vorhaben, in die Präambel einer künftigen rot-rot-grünen Regierung in Erfurt ein klares Bekenntnis aufzunehmen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war, ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Zum einen könnte dies den Prozess der Klärung der Frage, wie es die Linke mit der DDR-Vergangenheit hält, innerparteilich vorantreiben und beschleunigen – gerade weil dieses Reizthema die Polarisierung zwischen jenen in der Regel älteren Parteigrößen, welche die DDR immer noch rückwirkend gerne weich zeichnen, und einer jüngeren Generation der Linken, die in dieser Frage persönlich unbelastet ist, verschärfen. Für die Bündnisgrünen wiederum bedeutet der Schritt der Thüringer Linke, den Willkür- und Unrechtsstaatscharakter der DDR anzuprangern, eine wichtige moralische Legitimationsgrundlage, um dieser Koalition beizutreten. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass es in den ersten vier Jahren des Magdeburger Modells, also vor rund 20 Jahren, der bündnisgrüne Politiker Hans-Jochen Tschiche war, der seine persönliche Autorität als DDR-Bürgerrechtler einsetzte, um das fragile Tolerierungsbündnis zu festigen.

Am schwierigsten von allen drei Bündnispartnern ist wohl die Lage für die SPD. Sie ist bei den Landtagswahlen heftig gestutzt worden, und sie hat dabei sowohl zur CDU als auch – und stärker noch – zur Linke hin an Wählern verloren. Eine Lehre der jüngsten thüringischen und sächsischen Wahlergebnisse scheint zu sein, dass es der SPD schadet, wenn sie aus der Position der zweit- oder drittstärksten Kraft heraus auf eine klare Koalitionsaussage vor den Wahlen verzichtet. Gewiss birgt die jetzt von der Mehrheit der Mitglieder gestützte Entscheidung, in eine von der Linken geführte Landesregierung einzutreten, das Risiko, einem noch tieferen Fall entgegen zu taumeln. Die SPD entgeht dieser Gefahr nur dann, wenn es ihr gelingt, innerhalb einer solchen Regierung gegenüber der Linken an Kompetenz in den „harten“ Themenfeldern der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Haushaltspolitik in der Wahrnehmung der Bevölkerung zurückzugewinnen.

Innerhalb des Korridors Das vorläufige Fazit lautet: Käme Anfang Dezember ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis in Erfurt tatsächlich zustande, so bestünde kaum Gefahr, dass diese Konstellation ein politisches Gefahrengut transportiert, das für unsere Demokratie hochbrisant ist. Auch ein solches Bündnis bewegte sich innerhalb eines Korridors zu lösender Probleme, die von allen Parteien als dringlich anerkannt sind. So sieht dies offenbar auch etwa die Hälfte der Thüringer, also weit mehr, als die Linke dort Wähler hat. In der letzten Vorwahlumfrage sagten 49 Prozent, es sei an der Zeit, dass die Linke mal einen Ministerpräsidenten stellt.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft und Forschungsdirektor am Zentrum für Sozialforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.