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GRIECHENLAND : Völlig überfordert

Trotz Reformen bleibt die Lage kritisch

10.11.2014
2023-08-30T12:26:23.7200Z
3 Min

Wir sind auf einem guten Weg“, sagt Maria Stavropoulou. Die Juristin leitet seit Juni 2013 die neue, unabhängige Asylbehörde in Athen. In sauberen Containerbüros können Bewerber hier täglich Anträge stellen, Dolmetscher stehen zur Verfügung, geschulte Mitarbeiter haben im ersten Jahr knapp 9.000 Anträge bearbeitet. Zweifellos ein Fortschritt: Früher nahm eine einzige Polizeidienststelle an nur einem Wochentag frühmorgens Anträge entgegen. Die ganze Nacht standen die Asylbewerber Schlange.

Die neue Athener Asylbehörde wird zu einem Drittel von der EU mitfinanziert. Insgesamt hat Brüssel zwischen 2007 und 2013 Griechenland mit 22 Millionen Euro dabei unterstützt, die Lage der Asylsuchenden und Flüchtlinge im Land zu verbessern. Doch trotz allem bleibt die Situation bis heute problematisch und Griechenland als eines der Haupteinfallstore mit dem Flüchtlingsansturm überfordert. Mehr als eine Million Flüchtlinge halten sich schätzungsweise in Griechenland auf – eine große Belastung für ein Land von gerade einmal elf Millionen Einwohnern.

In Zellen eingeschlossen In Aufnahmezentren sollen sie eigentlich in einer menschenwürdigen Umgebung zunächst zwei Wochen lang über ihre Rechte und Pflichten informiert werden. Doch weil die Plätze dort nicht reichen, werden die meisten gleich in „Verwaltungshaft“ genommen, wo sie nur sehr begrenzten Zugang zum Asylverfahren haben. Die Lager sind völlig überfüllt und in katastrophalem Zustand, wie Ioanna Kotsioni von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtet. Teilweise zu sechst seien Flüchtlinge 22 Stunden am Tag in kleinen Zellen eingeschlossen, bekämen unzureichend zu essen und keine ärztliche Versorgung. Die sanitären Anlagen seien unzumutbar. „Die gesundheitlichen Auswirkungen sind dramatisch bei Menschen, die oft stark traumatisiert aus ihren Heimatländern hier ankommen“, sagt Kotsioni.

Die Flüchtlinge werden inzwischen so lange festgehalten, bis sie ihrer Abschiebung zustimmen. Denn Griechenland möchte die Flüchtlinge von der Straße haben. Ganze Viertel der Athener Innenstadt wurden zwischen 2006 und 2010 von mittellosen Migranten überschwemmt. Die Kriminalität stieg an, die einstige Gastfreundschaft vieler Griechen schlug um in Feindseligkeit. Wasser auf die Mühlen der Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“, die heute drittstärkste politische Kraft in Griechenland ist. Ihr Ziel, „das Land vom fremden Abschaum“ reinigen zu wollen, verfolgt sie mit Schlagstöcken, Kampfhunden oder Eisenstangen. Allein 2013 hat es rund 320 teils schwer verletzte Opfer rassistischer Gewalt gegeben.

Vom Boot getreten Doch auch der griechischen Küstenwache wird immer wieder vorgeworfen, das Leben von Flüchtlingen zu gefährden – so Anfang diesen Jahres, als zwölf Menschen vor der Insel Farmakonissi ertranken. Nach Aussagen der Überlebenden habe die Küstenwache das Schlepptau des Flüchtlingsboots gekappt und Ertrinkende vom rettenden Schiff getreten. Die Küstenwache bestreitet die Vorwürfe, Amnesty International belegt dagegen in einer aktuellen Dokumentation viele solcher Schicksale.

Wer es dennoch nach Griechenland geschafft hat und dort Asyl beantragt, erhält ein Bleiberecht und damit eine Arbeitsgenehmigung von vier Monaten. Doch die große Mehrheit der Migranten will gar nicht in Griechenland bleiben, sondern weiter in ein nordeuropäisches Land reisen. Denn selbst wenn das griechische Asylsystem einwandfrei funktionieren würde – die zigtausenden Migranten haben in Griechenland keine Perspektive. Die Wirtschaftskrise hat dem Staat eine Arbeitslosenquote von knapp 27 Prozent beschert, selbst viele Griechen verlassen das Land.

Für die Flüchtlinge gilt: Sie müssen in dem EU-Staat Asyl beantragen, das sie zuerst betreten haben. Das regelt die Dublin-Verordnung. Auf Griechenland wird das Verfahren jedoch längst nicht mehr angewendet, denn 2011 stoppte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die innereuropäischen Abschiebungen nach Griechenland. Grund: die menschenrechtswidrigen Haftbedingungen und der mangelhafte Zugang zum Asylverfahren.

Die Autorin ist freie Journalistin in Griechenland.