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entwicklung : Die Gipfel werfen ihre Schatten voraus

Der Etat von Gerd Müller (CSU) wächst auf 6,51 Milliarden Euro. Angesichts der klima- und spolitischen Weichenstellungen 2015 ist das der Opposition zu wenig

01.12.2014
2023-08-30T12:26:24.7200Z
4 Min

Nein, er macht es der Opposition nicht leicht. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) konnte sich in der vergangenen Woche bei der Verabschiedung seines Etats einiger Anerkennung aus ungewohnter Richtung erfreuen. „Wir haben hier einen Minister, der die richtigen Dinge anspricht, die richtigen Akzente setzt, die richtigen Methoden wählt und auch noch Dokumente produziert, in denen mehr Geld verlangt wird“, sagte der Haushaltsexperte der Linksfraktion, Michael Leutert. Aber all dies nutze nichts, wenn hier ein Etat beschlossen werde, der nicht mehr Ressourcen zur Verfügung stelle, „obwohl allen klar ist, dass dies falsch ist“, sagte Leutert.

Zukunftscharta Ob Initiativen wie das Textilbündnis, das für faire Arbeitsbedingungen in dieser Branche weltweit sorgen soll, oder die „Zukunftscharta“, mit der Müller die Deutschen ins Boot holen will für eine entwicklungspolitische Agenda, die nicht mehr nur Geber- und Empfängerländer kennt, sondern auf die Einsicht setzt, dass auch die reichen Industrienationen ihren hohen Ressourcenverbrauch zurückfahren müssen: Mit seiner Politik findet der christsoziale Minister Resonanz bis in die Oppositionsbänke hinein. Sein Etat allerdings spiegelt die globalen Herausforderungen nicht wieder, so lautete die Kritik der Linken und der Grünen.

Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) kann sich im kommenden Jahr auf Ausgaben in Höhe von 6,51 Milliarden Euro einstellen, das sind 65,5 Millionen Euro mehr als im laufenden Jahr. Die Haushälter hatten gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf (18/2000; 18/2002) mehr Mittel für die entwicklungsfördernde und strukturbildende Übergangshilfe und für die Gesundheitsvorsorge in Entwicklungsländern freigemacht – und damit auch auf die anhaltenden Krisen in Syrien und im Irak sowie auf die Ebola-Epidemie in Westafrika reagiert (18/2823; 18/2824; 18/2825).

Michael Leutert erinnerte an das Ziel, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. Schweden, Norwegen, Dänemark, Luxemburg und Großbritannien hätten dieses Versprechen bereits eingelöst. „Da steht die Frage im Raum, warum wir das nicht auch schaffen“. „Unlogisch“ erscheine zudem, dass zwar als Reaktion auf die Flüchtlingskrisen die Mittel für humanitäre Hilfen im Etat des Auswärtigen Amtes auf 400 Millionen Euro aufgestockt wurden, im BMZ-Etat für die Übergangshilfen hingegen nur 139 Millionen Euro zur Verfügung stehen sollen. Die Menschen in den Flüchtlingslagern seien nicht nur auf unmittelbare Nothilfe angewiesen, sondern mittelfristig auch auf medizinische und sanitäre Versorgung und Schulen.

Anja Hajduk (Bündnis 90/Die Grünen) begrüßte zwar, dass bei der Übergangshilfe 90 Millionen Euro „draufgelegt“ worden seien. „Das ist nicht nichts.“ Sie könne aber nicht verstehen, dass im Gegenzug 75 Millionen Euro bei der Bilateralen Zusammenarbeit abgezogen würden. Mit einer Steigerung von insgesamt einem Prozent sei dieser Entwicklungshaushalt „keine Antwort auf die globalen Krisen“.

Volkmar Klein (CDU) sprach hingegen von einer „guten Botschaft für die Entwicklungszusammenarbeit“. 2005 habe der Etat eine Größe von 2,8 Milliarden Euro gehabt, heute seien – bei moderater Steigerung des gesamten Bundeshaushaltes in diesem Zeitraum – 6,5 Milliarden Euro vorgesehen. Klein lenkte den Blick unter anderem auf konkrete Hilfen, die Entwicklungsländer befähigen sollen, „auf eigenen Füßen zu stehen“. So habe man dafür gesorgt, dass in den kommenden Jahren jährlich 40 Millionen Euro für die Globale Impfallianz Gavi zur Verfügung stehen. „Damit werden Bremsklötze für die Entwicklung vor Ort beiseite geräumt.“

Sonja Steffen (SPD) verwies auf den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM), der im kommenden Jahr 210 statt der ursprünglich vorgesehenen 200 Millionen Euro erhalten soll. Steffen gestand ein, „an einigen Stellen nicht glücklich“ mit dem Haushalt zu sein. Um das BMZ wirklich zu einem „Ministerium für globale Zukunftsfragen“ zu machen, bedürfe es „eines wesentlich höheren Etats“.

Jahr der Entscheidungen Die großen Gipfel des kommenden Jahres warfen auch in dieser Debatte ihre Schatten voraus. Ob Klimakonferenz in Paris, Gipfeltreffen zu einer Post-2015-Agenda in New York oder die Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba – das Jahr 2015 steht im Zeichen wichtiger globaler Weichenstellungen. Angesichts von Klima- und Finanzkrise, „gigantischem Marktversagen“ „entgrenzter Gewalt wie wir sie in Syrien, im Irak, in Afghanistan, im Kongo bis nach Mexiko erleben“ und angesichts von 55 Millionen Flüchtlingen weltweit fehle die notwendige Neubewertung der globalen Lage, sagte Claudia Roth (Grüne). „Bauen Sie ihr Haus um zu einem Ministerium für globale Strukturpolitik. Nur so kommen Sie wirklich aus Ihrer Rolle als Feigenblatt dieser Bundesregierung heraus“, sagte sie an den Minister gewandt.

Bärbel Kofler (SPD) erinnerte an die Zusagen von Auswärtigem Amt und BMZ in Höhe von 500 Millionen Euro für syrische Flüchtlinge. Das sei „gut investiertes Geld“, weil an einer Stabilisierung der Nachbarländer, in den Millionen Syrer eine Zuflucht gefunden haben, kein Weg vorbei führe. Doch „wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, diese Mittel werden nicht reichen“ – auch weil die Menschen womöglich auf Jahre in Flüchtlingslager lebten und dort eine Perspektive bräuchten.

Sabine Weiss (CDU) lenkte den Blick auf die 200 Millionen Euro für die Sonderinitiativen des Ministers zur Hungerbekämpfung, zur Stabilisierung in Nordafrika/Nahost und zur Reintegration von Flüchtlingen. Dass der „Islamische Staat“ (IS) „ganze Landstriche mit seinen Gräueltaten überrollen“ konnte, sei auch eine Folge „jahrzehntelanger Nichtbeachtung der Interessen und Bedürfnisse der breiten armen Bevölkerung, eine Folge fehlender Bildung und Gesundheitsversorgung“ und eine Folge der Missachtung von Frauenrechten, sagte Weiss.

Keine Mehrheit fanden die Oppositionsfraktionen mit einem gemeinsamen Entschließungsantrag (18/3287.) zur Ausweitung der Budgethilfe, also direkte Zuwendungen an Haushalte von Entwicklungsländern. Linke und Grüne scheiterten zudem mit ihren Änderungsanträgen (18/3283; 18/3284) zur Annäherung an das 0,7-Prozent-Ziel: Die Linke hatte 1,42 Milliarden Euro, die Grünen 800 Millionen Euro mehr für den BMZ-Etat gefordert. Auch ein Entschließungsantrag der Linksfraktion (18/3286) zu mehr Transparenz bei Öffentlich-privaten Partnerschaften scheiterte am Votum der Koalition.