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1918-1938 : Die fremde Galaxie

Philipp Blom über Menschen auf der Suche

22.12.2014
2023-08-30T12:26:26.7200Z
2 Min

1920 nahm die schwarze amerikanische Jazzsängerin Mamie Smith in einem New Yorker Studio den Song „Crazy Blues“ auf, der in den USA zum absoluten Hit wurde. Das wäre nicht weiter ungewöhnlich. Aber für den Historiker und Journalisten Philipp Blom steckt mehr dahinter. Denn der Song wurde in dem strikt nach Rassen getrennten Land nicht nur von Schwarzen gehört. Er landete auch in den Wohnzimmern der weißen Mittelschicht, das war revolutionär, das gab es vorher nicht. Damit wurde zwar die Rassentrennung nicht überwunden. Aber das Beispiel zeigt, dass zentrale gesellschaftliche Normen plötzlich in Frage gestellt wurden.

In seinem Buch „Die zerrissenen Jahre. 1918-1938“ beschreibt Blom nicht die großen weltpolitischen Ereignisse. Sein Ziel ist vielmehr, sich auf der Folie dieser Ereignisse dem Lebensgefühl der vom Ersten Weltkrieg und der Moderne gezeichneten Menschen und Gesellschaften anzunähern: Was ängstigte sie? Was inspirierte sie? Wovon träumten sie? Welchen Utopien folgten sie? Dieser Zugang zu Geschichte hat sich schon in seinem Werk „Der taumelnde Kontinent“ bewährt, weil man nah dran ist, weil Blom es als Journalist versteht, Leser an eine Geschichte zu fesseln. Es ist aber letztlich ein Buch für Eingeweihte, denn nur mit einem gewissen Vorwissen lassen sich die Episoden einordnen.

Jedem Jahr dieser Epoche widmet Blom ein Kapitel und rückt dabei ein Phänomen in den Mittelpunkt. Man lernt nicht nur etwas über den Jazz und über die Ausweichmanöver der US-Bürger in Zeiten der Prohibition. Man wird mit dem Überlebenskampf verwundeter Kriegsveteranen und dem Schicksal ermordeter ukrainischer Bauern konfrontiert, genauso wie mit der Entdeckung fremder Galaxien. Die Suche nach etwas, an das man glauben kann, gehöre zu den grundlegendsten menschlichen Bedürfnissen, schreibt Philipp Blom. Wohin das führen kann, veranschaulicht kaum eine Epoche so gut, wie die von Blom wegen seiner Verwerfungen so genannte „Zeit des temporären Waffenstillstands“. Diese Resonanzen der Geschichte einzufangen, ist ihm zweifellos gut gelungen.