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EU-GIPFEL I : Ein bisschen diskutieren

Griechenland öffnet der Troika wieder die Türen. Premier Tsipras trifft Merkel in Berlin

23.03.2015
2023-08-30T12:27:58.7200Z
4 Min

Es ist immer besser, miteinander zu reden als übereinander. Das hat sich wohl auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gedacht, als sie Griechenlands neuen Premier Alexis Tsipras offiziell nach Berlin einlud. Am heutigen Montag, zwei Monate nach seinem Amtsantritt, wird der umstrittene Regierungschef erstmals im Kanzleramt erwartet – Gelegenheit für beide, „ausführlich zu reden und vielleicht auch zu diskutieren“, wie Merkel vergangene Woche in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag ankündigte. Die Formulierung sorgte im Plenum für Heiterkeit. Denn dass es den Politikern an Diskussionsstoff nicht mangelt, weiß im Saal jeder. Nicht nur, dass Tsipras Merkel in seinem Wahlkampf als „gefährlichste Politikerin Europas“ dämonisiert hatte. Sein Verteidigungsminister vom nationalistischen Koalitionspartner drohte Deutschland jüngst mit einer „Flut von Migranten und Dschihadisten“, sollte sein Land aus dem Euro gedrängt werden. Vor einigen Tagen sorgte der Auftritt des griechischen Finanzministers Giannis Varoufakis in der ARD für Wirbel. Und als Athen von Deutschland auch noch die Rückzahlung einer Zwangsanleihe aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges sowie Reparationszahlungen forderte, war für viele das Fass voll. Von „zerstörtem Vertrauen“ sprach Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt mahnte im Bundestag: „Es gehört sich schon, dass man mit denen, von denen man Unterstützung haben möchte, anständig umgeht.“ SPD-Fraktionschef Thomas Opppermann nannte es überdies „deplatziert, die Verhandlungen über Hilfspakete mit der Forderung nach Reparationen zu vermischen“. Das Thema sei nach Auffassung der Bundesregierung „rechtlich abschließend geregelt“.

Reformzusagen

Schadensbegrenzung steht nun ganz oben auf der Agenda der Berliner Gespräche. Und die Chancen, dass sich der Ton zwischen den Partnern wieder normalisiert, sind nach dem EU-Gipfel in Brüssel Ende der Woche zumindest größer geworden. In einem nächtlichen Sondertreffen mit den EU-Spitzen sicherte Tsipras zu, in den kommenden Tagen eine „vollständige Liste spezifischer Reformen“ vorlegen zu wollen. Sie ist Voraussetzung für die Auszahlung ausstehender Notkredite. Außerdem willigte der Premier ein, dass die von den Griechen ungeliebten Experten der Gläubiger-Troika, bestehend aus EZB, IWF und EU-Kommission, nach Athen zurückkehren können, um dort die Einblick in die Staatskasse zu bekommen.

Merkel dämpfte im Bundestag dennoch die Erwartungen, dass die griechische Staatsschulden-Krise schon bald gelöst sein könnte. Vor Athen liege „ein erheblicher finanzieller wie politischer Kraftakt“, der nur „im Zusammenspiel von Solidarität und griechischer Eigenanstrengung“ gelingen könne, urteilte die Kanzlerin. Voraussetzung sei, dass sich das Land an die Vereinbarungen mit den Gläubigern halte.

Auch Katrin Göring-Eckardt mahnte die Umsetzung der Reformen an. Doch die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen begrüßte ausdrücklich auch das am 18. März vom griechischen Parlament verabschiedete Gesetzespaket, das „den Ärmsten der Armen“ helfen solle und den Menschen wieder Hoffnung gebe. Das Maßnahmenbündel der Tsipras-Regierung, für das sogar Vertreter der früheren Regierungsparteien Nea Dimokratia und Pasok stimmten, sieht Stromlieferungen für verarmte Haushalte, Wohngeldzuschüsse und die Ausgabe von Essensmarken vor. Tsipras hat damit eines seiner wichtigsten Wahlkampfversprechen eingelöst.

Einen würdelosen Umgang mit Griechenland warf die Vize-Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, der Bundesregierung vor. „Wenn Sie ein einiges Europa wollen, dann hören Sie auf, andere Länder zu demütigen und ihnen Programme aufzuzwingen, die ihrer jungen Generation jede Perspektive nehmen“, forderte sie. In der Diskussion über Reparationszahlungen verlangte sie „von den Vertretern des deutschen Staates ein Mindestmaß an Sensibilität im Umgang mit diesem Thema“. Angesichts dessen, wie die deutschen Besatzer in Griechenland gewütet hätten, seien die „schnoddrigen Äußerungen“ einiger Regierungsvertreter respektlos.

Sanktionen verlängert

Ursprünglich sollte Griechenland gar kein Thema auf dem Brüsseler Frühjahrsgipfel sein. Doch angesichts der festgefahrenen Rettungsbemühungen hatten die EU-Spitzen kurzfristig ein Sondertreffen mit Tsipras vereinbart. Auf der offiziellen Tagesordnung standen andere Themen: Neben der Energieunion (siehe Text unten) und den transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP

(Seite 7) ging es auch um die Lage in der Ukraine. Die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen, dass die derzeit bis Ende Juli befristeten Sanktionen gegen Russland erst aufgehoben werden sollen, wenn die wichtigsten Vereinbarungen des Minsker Friedensplanes vom September 2014 erfüllt sind. Dieser sieht unter anderem einen Waffenstillstand, einen Abzug schwerer Waffen und einen Sonderstatus für den Osten des Landes vor.

Merkel hatte im Bundestag bereits angekündigt, sich für diese Lösung stark machen zu wollen. „Wir bestehen auf der Umsetzung des gesamten Minsker Paketes“, stellte sie klar. Auch SPD-Fraktionschef Oppermann, der die Minsker Vereinbarung als „einzigen Hoffnungsschimmer seit Monaten“ bezeichnete, sprach sich für die Beibehaltung der Sanktionen aus.

Sahra Wagenknecht hingegen bezeichnete die Sanktionspolitik der EU erneut als „unsäglich“. Europa habe sich damit „ins eigene Knie geschossen“. Außerdem warf sie der Europäischen Union vor, im Rahmen der Östlichen Partnerschaft versucht zu haben, „die Nachbarländer aus der wirtschaftlichen und politischen Kooperation mit Russland herauszubrechen“. An die Bundeskanzlerin gerichtet, sagte Wagenknecht: „Sie haben denen das Entweder-oder aufgezwungen, nicht Russland.“

Merkel hingegen betonte, die Östliche Partnerschaft richte sich gegen niemanden, „auch nicht gegen Russland“. Es gehe nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch, von dem alle nur profitieren könnten. Aus diesem Grund werde die EU ihr Angebot an ihre Nachbarländer im Osten beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga im Mai bekräftigen.

Zu den Ländern der 2009 ins Leben gerufenen Östlichen Partnerschaft zählen neben Belarus, Armenien und Aserbaidschan die Ukraine, Moldau und Georgien. Mit letzteren drei Staaten hat die Europäische Union im Juni 2014 Assoziierungsabkommen geschlossen. Der Bundestag will sie am Donnerstag ratifizieren.