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FACHKRÄFTESICHERUNG : Fünf Jahre voraus

Zentrale Ziele für 2020 sind laut Regierung schon jetzt umgesetzt. Grünen und Linken reicht das nicht

23.03.2015
2023-08-30T12:27:59.7200Z
4 Min

Wir sind unserer Zeit weit voraus. Denn obwohl das Jahr 2015 noch jugendlich ist, befinden wir uns eigentlich schon im Jahr 2020. Das zumindest ist die Meinung der Bundesregierung, wenn es um das Thema Fachkräftesicherung geht. „Wir haben die für 2020 definierten Ziele schon erreicht“, freute sich denn auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in der Debatte am vergangenen Donnerstag. Grundlage der Diskussion waren die Fortschrittsberichte zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung für die Jahre 2013 und 2014 (18/796, 18/4015).

Der Bericht für 2014 enthält die beruhigende Botschaft, dass die Bundesrepublik derzeit nicht unter einem akuten flächendeckenden Fachkräftemangel leidet. Allerdings gibt es sehr wohl Engpässe in Bezug auf bestimmte Qualifikationen, Branchen und Regionen. Die Zahl der sogenannten Engpassberufe habe im Juni 2014 bei 19 Berufsgruppen gelegen, insbesondere die Gesundheits- und Pflegeberufe sowie technische Berufe seien betroffen, schreibt die Regierung dort. Nach einer Anfang März vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg (IAB) vorgestellten Studie wird die Zahl der Erwerbspersonen von derzeit 45 Millionen um rund 8,5 Millionen bis zum Jahr 2030 sinken. Eine höhere Nettozuwanderung, eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren könnten den Rückgang jedoch weitgehend kompensieren, so dass 2030 tatsächlich wohl rund drei Millionen Arbeitskräfte fehlen werden, so die optimistische Prognose der Forscher.

Bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen, Älteren und dem Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit seien die Ziele, die eigentlich für 2020 definiert wurden, schon erreicht, rechnete Ministerin Nahles in der Bundestagsdebatte vor. Die Herausforderung liege nun darin, die hohen Beschäftigungsquoten zu halten. Zuwanderung spiele dabei eine große Rolle, reiche aber als Rezept nicht aus. „Für Mütter, die in der Teilzeitfalle feststecken, für Ältere, die länger arbeiten wollen und Menschen mit Migrationshintergrund müssen wir die Türen stärker öffnen“, appellierte Nahles. Ein Einwanderungs- und ein Teilhabegesetz könnten hier zu wichtigen Türöffnern werden. Darüber hinaus mahnte sie auch eine Debatte über die Führungskultur in Betrieben an, denn die Motivation der Mitarbeiter sei entscheidend, wenn man das „Potenzial heben“ möchte, so Nahles.

Familie, Pflege und Beruf

Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken, übte heftige Kritik an dem Fachkräftekonzept der Regierung. „Das hätten Sie sich sparen können“, ärgerte sie sich. Denn zu zentralen Problemen wie der Qualifizierung von Arbeitslosen äußere sich die Regierung nicht oder nur unzureichend. „Qualifizierung ist jedoch das A und O, um auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können.“ Deshalb reiche es nicht aus, 69.000 Weiterbildungsmaßnahmen mit dem Ziel eines Berufsabschlusses anzubieten, wenn 1,3 Millionen Arbeitslose keine Berufsausbildung haben, kritisierte Zimmermann.

Der Arbeitsmarktexperte der Union, Karl Schiewerling, erläuterte, wie aus seiner Sicht der demografisch bedingte Rückgang der Erwerbstätigen kompensiert werden kann: durch bessere Bildungschancen, Integration und Weiterbildung, eine bessere betriebliche Gesundheitsvorsorge, flexible Rentenübergänge und durch eine noch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Bei letzterer stünde in Zukunft jedoch nicht mehr die Kinderbetreuung im Zentrum, denn da sei viel erreicht worden. Vielmehr gehe es darum, die Pflege von Angehörigen und den Beruf besser verbinden zu können, betonte Schiewerling. Er verwahrte sich gegen den Vorwurf der Linken, dass es im Bereich der Arbeitsförderung in den vergangenen Jahren einen Kahlschlag gegeben habe. „Wir sind dabei, die Mittel neu zu justieren“, sagte er.

Brigitte Pothmer, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, wies auf einen Widerspruch bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen hin. So sei es zwar auf den ersten Blick toll, dass die Erwerbsbeteiligung seit den 1990er-Jahren um mehr als 20 Prozent gestiegen ist. „Gleichzeitig ist aber das von Frauen erbrachte Arbeitsvolumen nur um magere vier Prozent gestiegen. Immer mehr Frauen teilen sich also im Prinzip das gleiche Arbeitsvolumen“, rechnete sie vor. Das von der Bundesregierung propagierte Jobwunder sei vor allem ein Teilzeiteffekt und entspräche nicht den Wünschen der Frauen. Der Fachkräftemangel lasse sich so nicht bekämpfen und, so appellierte Pothmer an die Regierung: „Wenn Sie dieses Erwerbspotenzial wirklich heben wollen, dann müssen Sie die Sackgasse aus Ehegattensplitting und Minijobs beenden.“

Präventiv ansetzen

Katja Mast, SPD-Obfrau im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales, sprach sich, wie die Redner von Grünen und Linkspartei und Ministerin Nahles, dafür aus, die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte über ein Einwanderungsgesetz neu zu regeln. Eine zweite wichtige Säule sei aber die bessere Qualifizierung von Arbeitslosen. Hier sei von der Bundesregierung mit der assistierten Ausbildung, der Allianz für Aus- und Weiterbildung und der Einrichtung von Jugendberufsagenturen jedoch schon viel auf den Weg gebracht worden. Mast schlug vor, die Bildungsinfrastruktur mit Bildungsstützpunkten auszubauen und das Instrument der Arbeitslosenversicherung in diesem Zusammenhang so weiterzuentwickeln, dass es nicht erst ansetzt, wenn der Job weg ist, sondern dem präventiv entgegenwirkt.