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Götz Hausding
Streit über Kontingente

Sorge vor verlorener Generation in Syrien

In der Frage der Aufnahme weiterer Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak gibt es nicht nur unterschiedliche Auffassungen zwischen Koalition und Opposition. Auch die Koalitionspartner CDU/CSU und SPD sind sich offenkundig nicht einig. Zwar reichte vergangenen Donnerstag die Gemeinsamkeit noch, um Anträge der Opposition (Linke: 18/2742; Grüne: 18/3154) zu dem Thema abzulehnen. In der vorausgegangenen Debatte zeigten sich jedoch gegensätzliche Ansichten hinsichtlich der Auflegung weiterer deutscher Flüchtlingskontingente. Während Andrea Lindholz (CSU) einen weiteren deutschen Beitrag vom stärkeren Engagement der anderen EU-Länder abhängig machen will, nannte Christina Kampmann (SPD) dieses Vorgehen falsch. Das Handeln oder auch Nichthandeln anderer EU-Staaten entbinde Deutschland nicht von der Verantwortung, selbst tätig zu werden.

EU-Kontingent Deutschland gewähre syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen in einem Ausmaß Asyl, „wie sonst kein Staat außerhalb der Region“, sagte Lindholz während der Debatte. Mehr als 100.000 Syrer seien aufgenommen worden. Man sei auch bereit, darüber hinaus Verantwortung zu übernehmen. Dies müsse aber mit einem Konsens über ein gemeinsames EU-Kontingent einhergehen, forderte Lindholz.

Sonderprogramme allein, sagte die Unionsabgeordnete weiter, reichten aber nicht aus. Mehr als elf Millionen Syrer bräuchten Hilfe. „Wer behauptet, die größte Flüchtlingskatastrophe seit Ende des Zweiten Weltkrieges ließe sich mit Sonderkontingenten und Programmen zur Neuansiedlung in Deutschland beheben, verkennt die Realität“, sagte sie. Hilfe vor Ort zu leisten sei daher wichtiger als jedes Kontingent. „Eine Aufnahme in Deutschland kann nur im Einzelfall helfen“, befand Lindholz.

Ulla Jelpke (Die Linke) gab Lindholz insofern recht, als dass auch aus ihrer Sicht „sehr viel in den Anrainerstaaten für die Flüchtlinge getan werden muss“. Richtig sei auch, dass andere EU-Staaten mehr tun müssten. So zu tun, „als wären unsere Kapazitäten völlig ausgeschöpft“, sei absolut falsch „und auch keine besonders humanitäre Geste angesichts der Situation in diesen Ländern“. Jelpke rückte die Situation der Jesiden im Irak in den Mittelpunkt der Debatte. Tausende Frauen seien verschleppt, vergewaltigt und versklavt worden nachdem die Terrormilizen des Islamischen Staates (IS) die Jesiden im vergangenen Sommer angegriffen hätten. Zwar sei es kurdischen Milizen gelungen, viele Jesiden zu retten, wofür ihnen Dank gebühre, doch müssten die meisten Jesiden derzeit in Flüchtlingslagern leben und weiter die Angriffe des IS fürchten. Genau dort werde die Hilfe benötigt, sagte Jelpke. „Wenn dies nicht gelingt, sind das die nächsten Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Europa machen.“

„Für die syrischen Flüchtlinge gibt es keine Perspektive“, sagte Kampmann. Es bestehe die Sorge, dass in Syrien eine verlorene Generation heranwächst. Angesichts dessen sei es nicht nur menschlich geboten, sondern auch politisch vernünftig, sich für die Menschen, die vor Gewalt und Elend fliehen, zu engagieren, sagte die SPD-Abgeordnete.

Deutschland, sagte Kampmann weiter, habe bislang viel geleistet. Und dennoch: „Das kann es noch nicht gewesen sein.“ Die Schaffung europäischer Kontingente sei zwar richtig, stellte Kampmann fest. Man dürfe sich aber dennoch nicht zurücklehnen, mit dem Finger auf andere zeigen und sagen: Jetzt seid ihr dran. Die SPD-Politikerin sprach sich zugleich für eine deutliche Entlastung der Kommunen bei den Flüchtlings-Kosten aus. „Wenn vor Ort entschieden werden muss, ob entweder ein neues Flüchtlingsheim gebaut oder die Schule saniert wird, ist gesellschaftlicher Friede ganz konkret in Gefahr“, warnte sie.

Familienzusammenführung Luise Amtsberg (Grüne) sagte, es sei ihr nicht klar, wie eine kurzfristige Hilfe vor Ort, wie von der Union gefordert, in Flüchtlingslagern aussehen solle, in denen es keinen Strom, kein Wasser, kein Essen und keine medizinische Hilfe gebe und die tagelang vom IS beschossen würden.

Ein sicheres Leben sei in Syrien derzeit nicht möglich, ähnlich wie im Irak. „Obwohl die Bundesregierung immer wieder auf die dramatische Lage der stark betroffenen Minderheiten im Irak hinweist, ist sie diesbezüglich bislang untätig geblieben“, kritisierte Amtsberg. Dass etwas getan werden kann, zeige das Land Baden-Württemberg, das damit begonnen habe, ein Sonderkontingent von 1.000 Frauen aus dem kurdischen Teil des Iraks aufzunehmen.

Die Grünen-Abgeordnete forderte die Bundesregierung außerdem auf, Defizite in der Familienzusammenführung abzuarbeiten. Die Botschaften seien derzeit mit der Erteilung von Visa überfordert. Die deutsche Botschaft in Ankara beispielsweise habe erst wieder für Mitte 2016 Termine frei. Aber auch in Deutschland selber müsse die Infrastruktur zur Aufnahme von Flüchtlingen verbessert werden, forderte Amtsberg. So wie es jetzt laufe, sei es eines Rechtsstaates jedenfalls nicht würdig, urteilte die Grünen-Politikerin.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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