Die Bewertungen des rund 13 Jahre währenden deutschen Einsatzes in Afghanistan bleibt zwischen den Fraktionen im Bundestag weiter hoch umstritten. In der Beratung der Antwort der Bundesregierung (18/4168) auf eine Große Anfrage der Fraktion Die Linke (18/2144) zum „Krieg in Afghanistan“ lagen die Positionen zwischen Koalition und Opposition vergangenen Donnerstag weit auseinander: Die Linke bezeichnete die „deutsche Kriegsbeteiligung“ als „grundlegenden Fehler“, Vertreter von SPD und CDU/CSU wiesen dagegen auf die Fortschritte hin, die das Land seit 2001, dem Beginn der militärischen Intervention durch die internationale Gemeinschaft, gemacht habe. Die Grünen sprachen hingegen von einer „unglaublich großen Schieflage zwischen militärischem und zivilen Engagement“.
Wolfgang Gehrcke (Die Linke) kritisierte, dass der Militäransatz die Probleme des Landes nicht gelöst, sondern eine Vielzahl von Problemen erst aufgeworfen habe: In Afghanistan sei viel Geld falsch eingesetzt worden – rund elf Milliarden Euro für die Einsätze der Bundeswehr zwischen 2001 und 2014. „Was hätte man mit elf Milliarden Euro an Not, Elend und Unterentwicklung in solchen Ländern korrigieren können, wenn sie von Anfang an sinnvoll eingesetzt worden wären?“, fragte Gehrcke. 70.000 Menschen seien in diesem Krieg ums Leben gekommen. „Das ist eine furchtbare Katastrophe, eine furchtbare Bilanz.“ Zudem sei durch den Einsatz das Völkerrecht gebrochen worden. Deutschland habe sich durch die Weitergabe von Namen an gezielten Tötungen in Afghanistan mitschuldig gemacht. „Wir sind dem, was wir vorgeben, bekämpfen zu wollen, mit diesem Krieg immer ähnlicher geworden“, sagte Gehrcke.
Roderich Kiesewetter (CDU) stellte die heutige Lage Afghanistans in den Kontext seiner jüngeren Geschichte zwischen Monarchie, Diktatur, sowjetischer Besetzung und Herrschaft der Taliban. „Keines dieser Systeme hat Afghanistan auch nur in Ansätzen stabilisiert“. Es sei ein Fehlschluss, zu glauben, man hätte die Stabilisierung in Afghanistan in den vergangenen Jahren ohne Militär hinbekommen: „Zur Entwicklung gehört Sicherheit. Ein Mindestmaß an Sicherheit ist Hilfe zur Selbsthilfe“, sagte Kiesewetter. Gleichwohl müssten auch die Lektionen aus dem Einsatz benannt werden: Die Erwartungen an einen Wiederaufbau seien anfangs „unendlich“ gewesen, „die eigenen Mittel, die eigene Bereitschaft, sich einzubringen“ hingegen äußerst begrenzt. Auch eine frühere Einbindung der Nachbarstaaten und die Notwendigkeit einer realistischeren militärischen Einschätzung seien Erfahrungen aus dem Einsatz. „Unsere Lehre ist, dass wir nie mehr blauäugig und ohne die notwendigen Mittel in solche Einsätze gehen.“
Omid Nouripour (Grüne) machte eine große Diskrepanz zwischen den eingesetzten Mitteln und dem Erreichten aus: „Deutlich mehr Menschen leben in Afghanistan heute besser und unter friedlicheren Bedingungen, als das vor dem Einsatz der Fall war. Aber für all die Opfer, die gebracht worden sind, für all das, was aufgewendet worden ist, ist das, was erreicht worden ist, einfach zu wenig.“ So habe man anfangs auf Milizen und lokale Machthaber vertraut und zu spät auf den Aufbau staatlicher Strukturen gesetzt. Vor allem aber zeige sich im Rückblick die Unausgewogenheit von militärischen und zivilen Engagement. „Es wurden 9,8 Milliarden Euro für Militär ausgegeben, 3,4 Milliarden Euro für zivile Projekte. Wir haben nicht wegen zu geringer Ausgaben für das Militär vieles nicht erreicht, sondern wir haben vor allem wegen zu wenig zivilen Engagements dort vieles nicht erreicht“, sagte Nouripour.
Hans-Peter Bartels (SPD) benannte drei Lehren , die aus dem Einsatz zu ziehen seien: Zum einen habe man in Deutschland lange geglaubt, dass an Entscheidungen in Berlin das „Wohl und Wehe Afghanistans hänge“ – dabei war die Bundesrepublik bei ISAF nur eine von 50 truppenstellenden Nationen. „Wir entscheiden dort nichts allein.“ Zudem habe es zu viele Akteure, zu viele Strategien und zu wenig Koordination gegeben. Es wäre womöglich sinnvoll gewesen, „eine Arte zivilen Hochkommissar“ einzusetzen. Außerdem sei gerade zu Beginn des Einsatzes „zu viel Zeit ungenutzt verstrichen“, sagte Bartels. Bei Stabilisierungsmissionen wie in Afghanistan müsse die „militärische Komponente am Anfang besonders stark sein“, die zivile Hilfe brauche dann deutlich mehr Vorlauf, bis sie sich positiv auswirken könne.
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