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Verfassungsschutz
Helmut Stoltenberg
Schlapphüte an der Kandare

Die Regierung will die Zusammenarbeit der Inlandsgeheimdienste verbessern

Rund dreieinhalb Jahre sind seit der Aufdeckung der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) vergangen, und seitdem beschäftigen nicht nur dessen Verbrechen Parlamente und Öffentlichkeit, sondern auch das Versagen von Sicherheitsbehörden, das in diesem Zusammenhang zu Tage trat. „Das waren nicht nur einzelne Ermittlungsfehler, die dafür gesorgt haben, dass diese Mordserie so lange unentdeckt bleiben konnte – nein, es waren auch Strukturen, es waren Haltungen von Sicherheitsbehörden, von Verantwortlichen“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vergangene Woche im Bundestag. Jetzt habe man die „Pflicht, dafür zu sorgen, dass so etwas in unserem Land nicht mehr passiert“, fügte er bei der ersten Lesung seines Gesetzentwurfes zur Reform des Verfassungsschutzes (18/4654) hinzu. Mit der Vorlage sollen legislative Konsequenzen aus dem NSU-Skandal gezogen werden. Zugleich debattierte das Parlament erstmals über Anträge der Links- (18/4682) und der Grünen-Fraktion
(18/4690), in denen unter anderem eine Auflösung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in seiner jetzigen Form gefordert wird.

Streit um V-Leute In der Debatte wies de Maizière die Forderungen nach einer Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden als „falsch“ zurück. Dies würde die Sicherheit der Bürger im Lande „schädigen“. Auch die aktuelle Bedrohungslage unterstreiche die Bedeutung des Verfassungsschutzes für den Rechtsstaat. „Der Verfassungsschutz ist und bleibt ein wichtiger Teil unserer Sicherheitsarchitektur“, betonte der Ressortchef. Gerade deshalb müsse er sich fortentwickeln und „zukunftsorientiert aufstellen“. Dies habe auch die „Aufklärungsarbeit zum terroristischen NSU“ aufgezeigt.

Als zentrale Ziele des Gesetzentwurfes nannte er unter anderem eine Stärkung des Verbundes der Verfassungsschutzbehörden sowie „Klarheit beim Einsatz von V-Leuten“ (siehe Beitrag unten). Der Minister verteidigte zugleich den Einsatz von V-Leuten. Auch wenn es sich dabei mitunter um Menschen handele, „mit denen man eigentlich nicht so gerne zusammenarbeiten möchte“, brauche man sie, um an Informationen zu gelangen. „Für jeden Nachrichtendienst sind sie ein unverzichtbares Aufklärungsmittel“, betonte der Minister.

Für Die Linke kritisierte dagegen ihre Abgeordnete Petra Pau, nach dem Gesetzentwurf dürften „Nazis, die sich schwerer Verbrechen gegen Leib und Leben schuldig gemacht haben“, lediglich „in aller Regel“ nicht mehr als V-Leute angeworben werden. Diese Formulierung bedeute, dass es Ausnahmen gebe, etwa wenn das Informationsinteresse der Verfassungsschutzämter schwerer wiege als die Straftaten von Nazis. Pau wies zugleich Kritik am Beschluss der rot-rot-grünen Landesregierung von Thüringen zurück, dem zufolge „die V-Leute-Praxis (…) radikal heruntergefahren werden“ soll. Wer eine Praxis beende, „die Nazis verharmlost und letztlich stärkt, handelt rechtsstaatlich und humanistisch“, sagte sie.

Der Grünen-Parlamentarier Konstantin von Notz warf de Maizière vor, keinen Vorschlag zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste vorzulegen. Auch fehle eine „Idee, wie man im digitalen Zeitalter nachrichtendienstliche Aufklärung und Bürgerrechte besser vereinbaren kann“. Stattdessen stocke der Ressortchef „massenhaft Stellen auf“ und wolle die „hochproblematische V-Leute-Praxis einfach legalisieren und ausbauen“. Als Konsequenz aus dem NSU-Skandal sei eine Zäsur beim Bundesamt für Verfassungsschutz notwendig, das „vollkommen neu durchsortiert werden“ müsse. Auch müsse die „bisherige V-Leute-Praxis mit all ihren Skandalen“ ein Ende haben, forderte Notz. Der Staat dürfe weder „überzeugte Nationalsozialisten beschäftigen und finanzieren“ noch mit „schweren Straftätern vertrauensvoll zusammenarbeiten“.

Der SPD-Abgeordnete Burkhard Lischka warnte vor einem völligen Verzicht auf V-Leute. Wer dies wolle, nehme in Kauf, dass militante Gruppierungen ungestört Anschläge planen könnten, ohne dass der Staat die Chance habe, sie dabei zu stören. Der Staat dürfe sich „nicht vollkommen taub und blind machen, wenn es um feige Morde und Anschläge geht“, mahnte Lischka. Es dürfe aber keine Zusammenarbeit mit vorbestraften Schwerstkriminellen geben. Der SPD-Parlamentarier wertete den Gesetzentwurf zugleich als „nicht unwesentlichen Baustein“, um die „richtigen Lehren aus dem NSU-Desaster zu ziehen“. Das „Neben- und Gegeneinander der Verfassungsschützer, das wir da erlebt haben“, gefährde die innere Sicherheit, kritisierte er. „16 Schlapphutprovinzen, die alle vor sich hinwerkeln“, könne man sich nicht leisten.

Länderbedenken Der CSU-Parlamentarier Stephan Mayer betonte ebenfalls, dass V-Leute notwendig seien. „Die Arbeit ist ohne V-Leute nicht möglich“, auch wenn man es dabei nicht mit „angenehmen Zeitgenossen“ zu tun habe, sagte Mayer. Er wies zugleich Bedenken auf Seiten der Bundesländer gegenüber dem Gesetzentwurf als unbegründet zurück. Das Gesetz werde „nicht gegen die Länder gemacht, sondern es wird für die Länder gemacht“, sagte der CSU-Abgeordnete. Mit der Stärkung der Zentralstellenfunktion des BfV sei keine Schwächung der Landesämter für Verfassungsschutz verbunden. Vielmehr profitierten diese von einem starken Bundesamt.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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