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LIBANON : Mit dem Rücken zur Wand

Der syrische Bürgerkrieg bedroht den Zedernstaat. Der UNIFIL-Einsatz soll für Stabilität sorgen

15.06.2015
2023-08-30T12:28:03.7200Z
4 Min

Sie sind auf dem Vormarsch. Die schiitische Miliz der Hisbollah hat im syrischen Grenzgebiet zum Libanon eine Offensive gestartet. Die Nusrafront und der sogenannte Islamische Staat (IS) sollen aus den Kalamunbergen vertrieben werden. Von dort starteten die beiden radikal-islamistischen Rebellengruppen aus Syrien regelmäßig Angriffe auf libanesische Dörfer und Städte. Der kleine Zedernstaat am Mittelmeer, eingezwängt zwischen den mächtigen Nachbarn Israel und Syrien, steht vor der Zerreißprobe. "Es ist ein Existenzkampf - wir oder die Terroristen", behauptete Hassan Nasrallah, der Hisbollah-Generalsekretär. Seine Miliz interveniert auch in anderen Teilen Syriens. Bis zu 10.000 Mann sollen auf Seiten des Regimes von Präsident Bashar al-Assad im Einsatz sein.

Der Kampf von Hisbollah ist im Libanon heftig umstritten. Was Nasrallah als "Existenzkampf" sieht, halten Kritiker für einen Weg "in die Zerstörung des Landes", wie es Justizminister Aschraf Rifi formulierte. Der Streit wird entlang religiöser Linien ausgetragen und polarisiert weiter Gesellschaft und Politik. Rifi ist Mitglied der sunnitischen 'Zukunftsbewegung', die Ex-Premierminister und Multimilliardär Saad Hariri anführt. Die Partei warnt seit Jahren vor der Hegemonie der Hisbollah. 2008 war es zu bewaffneten Konflikten zwischen der schiitischen Miliz und Anhängern der Zukunftsbewegung in Beirut gekommen. Die Christen des Landes, die etwa 35 Prozent der libanesischen Bevölkerung ausmachen, sind gespalten. Ein Teil findet sich im Lager von Hariri, ein anderer auf Seiten der Hisbollah.

Der Konflikt zwischen den rivalisierenden Parteien verkompliziert sich durch die Einflussnahme ausländischen Staaten. Früher war es Syrien, die Premierminister und Präsident im Zedernstaat bestimmten. 2005 erzwangen Massenproteste den Abzug der syrischen Besatzungstruppen und mit dem Beginn des Bürgerkriegs 2011 hat Damaskus endgültig die Rolle als Akteur im Libanon verloren. An seine Stelle traten Saudi-Arabien, die USA und europäische Länder, die als Unterstützer des Hariri-Lagers die Politik mitbestimmen. Der staatliche Verbündete der Hisbollah ist nach wie vor der Iran. Die Islamische Republik finanziert und bewaffnet seit Jahrzehnten die radikal-schiitische Miliz.

Auch im Libanon spiegelt sich der sunnitisch-schiitische Konflikt wieder, der die gesamten Region dominiert und in Syrien, im Irak und derzeit auch im Jemen mit Gewalt ausgetragen wird. "Der regionale, sektenorientierte Konflikt verhindert einen Konsens zwischen den drei Glaubensgemeinschaften im Libanon", sagte Imad Salamei, Politikprofessor an der amerikanischen Universität in Beirut. Seit einem Jahr hat das Land keinen Präsidenten. Das Parlament erreichte nie das zur Wahl nötige Zwei-Drittel-Quorum. Die Regionalmächte seien derzeit mit anderem beschäftigt. "Sie führen direkt Krieg oder finanzieren Stellvertreterkriege", meint Politikwissenschaftler Salamei. "Das ist viel wichtiger, als Treffen zu organisieren, um einen neuen Präsidenten im Libanon zu wählen."

Das sind keine guten Voraussetzungen für ein Land in einer prekären Krisensituation. An vielen Grenzabschnitten wird gekämpft. Jederzeit kann es im ganzen Land, wie zuvor schon einige Male, zu Anschlägen von Extremisten kommen. 21 Soldaten der libanesischen Armee sind in Gefangenschaft der Nusrafront und Terrormiliz IS. Den jungen Männern droht der Tod. Und dann gibt es noch das Flüchtlingsproblem. Laut dem Hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sollen 1,3 Millionen Syrer mittlerweile im Libanon mit seinen rund vier Millionen Einwohnern Schutz suchen. Sie können nur mit Unterstützung von internationalen Hilfsorganisationen überleben.

Leid Der SPD-Abgeordnete Niels Annen brachte die Lage vergangene Woche auf den Punkt: "Der Libanon leidet wie kein zweites Land unter den enormen Belastungen dieses Krieges", sagte Annen in der Debatte zu einem Antrag der Bundesregierung (18/5054), die den Bundeswehreinsatz im Rahmen der UNIFIL-Mission (United Nations Interim Force in Lebanon) fortführen will. Annen wies darauf hin, dass Deutschland den Libanon seit 2012 mit insgesamt rund 250 Millionen unterstützt habe. "Einen weiteren Krieg kann sich diese Region nicht leisten". Die Bundeswehr helfe im Rahmen von UNIFIL, das Einsickern von Waffen über die Seegrenze zu verhindern, und sie helfe der libanesischen Armee ein Mindestmaß an Stabilität im Land zu garantieren: "Der Einsatz im Rahmen der militärischen Ausbildungshilfe ist deswegen keine technische, sondern eine hochpolitische Frage", sagte Annen.

Sevim Dagdelen (Die Linke) sprach hingegen von einem "absurden Theater": Während die Bundeswehr "die Vordertür des Libanon bewacht, steht die Hintertür an der Grenze zu Syrien sperrangelweit offen". Wenn es das Ziel gewesen sei, den Waffenschmuggel an die Hisbollah zu unterbinden, so dürfe UNIFIL "getrost als gescheitert gelten" Der Libanon brauche zivile Hilfe, "auch damit nicht noch mehr Menschen mit saudischem Geld für die Terrorgruppen der al-Qaida vor Ort eingekauft werden können".

Ralf Brauksiepe (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, nannte UNIFIL einen "ganz entscheidenden Stabilitätsfaktor" für die Region. "Die Vereinten Nationen wollen diesen Einsatz, und auch die beiden Konfliktparteien, die Staaten Libanon und Israel, wollen diesen Einsatz". UNIFIL biete den Rahmen, dass beide Seiten überhaupt im Gespräch bleiben würden.

Omid Nouripour (Grüne) erinnerte daran, dass die Armee im Libanon die einzige Institution sei, die überkonfessionell das Vertrauen der Bevölkerung genieße. "Jeder Beitrag zur Stärkung der Armee ist ein Beitrag zur Zurückdrängung der Milizen der Hisbollah auf der einen Seite und der Milizen auf der anderen Seite", sagte Nouripour.

Der Autor berichtet als freier  Korrespondent aus dem Nahen Osten .