Zu den weltweit besten Russland-Kennern gehört der Doyen der Geschichtswissenschaft Walter Laqueur. Mit seinem Buch „Der Schoss ist fruchtbar noch“ über die politische Entwicklung des Riesenreichs und der russischen Rechten in den 1990er Jahren ist dem renommierten Autor ein Standardwerk gelungen. Diesmal wagt er sich an ein Psychogramm des russischen Präsidenten Wladimir Putin und beschreibt Russlands zukünftige Rolle in der Welt als Juniorpartner an der Seite Chinas. Laqueur präsentiert Putins neue Ideologie – die „russische Idee“: Die Mission des Landes im eurasischen Raum bestehe darin, mittels einer „souveränen Demokratie“ die einzigartige russische Zivilisation zu erhalten und sie vor „liberalen Angriffen“ zu schützen. Quellenreich beschreibt Laqueur weitere Merkmale dieser „russischen Idee“: Die Orthodoxie, den Nationalismus, die Vorliebe für Verschwörungstheorien und die Furcht vor dem Westen. Das gegenwärtige politische System Russlands nennt er „eine Diktatur mit großer Unterstützung der Bevölkerung“. Allerdings sei es „falsch oder jedenfalls verfrüht“ von Faschismus zu reden, analysiert der Historiker. Besonders aberwitzig sei es, dass ausgerechnet die europäische Linke die ideologischen und politischen Veränderungen in Russland unter Putin nicht wahrnehme und weiterhin an ein linkes Land glaube. Laqueurs Verdienst ist es, dass er seinen Lesern einige Dutzend politische und religiöse Autoren aus der Vergangenheit und der Gegenwart vorstellt. Ausführlich beschreibt er, wie der Kreml die Einzigartigkeit Russlands zur Staatspropaganda nutzt und Putins Abwendung von Europa legitimiert. Dabei sei seine Popularität in Russland nicht auf die allgegenwärtige Propaganda zurückzuführen. Vielmehr hätten sich in der Umbruchzeit nach dem Zerfall der Sowjetunion die demokratischen Institutionen nicht bewährt, sondern eine Leitfigur, die Stärke ausstrahlt. Laqueurs Fazit: Die Eroberung der Krim wird Russland der Demokratie nicht näher bringen – das Gegenteil.
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