Die Europäische Zentralbank (EZB) ist wieder als Krisen-Feuerwehr im Einsatz. Ohne ihre Notmaßnahmen wäre Griechenland wohl schon finanziell kollabiert. Verunsicherte Bürger haben inzwischen mehr als 20 Milliarden Euro von ihren Konten abgeräumt. Die Zentralbank ist eingesprungen, um Liquiditätsengpässe der Banken zu überbrücken. Sie hat ihnen fast 70 Milliarden Euro Notliquiditätshilfen genehmigt. Diese „Emergency Liquidity Assistance“ (Ela) darf von der nationalen Notenbank nur an Banken gehen, die im Kern solvent sind. Doch Griechenlands vier Großbanken sitzen auf einem Berg an faulen Krediten – rund 100 Milliarden Euro. Das sind zwischen 30 und 50 Prozent des Kreditvolumens. Und ihre Kapitalpuffer sind dünn.
Fiktive Gutschriften Die Chefin der EZB-Bankenaufsicht, Danièle Nouy, mahnt eine bessere Eigenkapitalausstattung an. Beispielsweise ist es den hellenischen Banken erlaubt, 13 Milliarden Euro Steuergutschriften zum Eigenkapital zu zählen, obwohl sehr unsicher ist, ob der griechische Staat diese Milliarden je erstatten kann.
Kritiker sprechen deshalb von „Zombie-Banken“, die nur durch Ela künstlich am Leben gehalten werden. Zudem warnen Fachleute, dass über den Umweg der Banken eigentlich der griechische Staat am EZB-Tropf hänge. „Das ist eine ziemlich offensichtliche Staatsfinanzierung durch das Notenbanksystem, bei der die griechischen Banken zwischengeschaltet werden“, sagt Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Bei einer Insolvenzwelle würden die Ela-Kredite für das Euro-System zur Belastung, weil die griechische Zentralbank die Verluste nicht allein auffangen könnte.
Es gibt noch einen zweiten Kanal, über den Ela-Kredite zum Risiko für Europa werden können: das Target-Zahlungsverkehrssystem. „Über Ela und Target werden faktisch die Kapitalflucht und die Bankabhebungen der Griechen finanziert“, erklärt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Die Athener Zentralbank steht mit 76 Milliarden Euro beim Euro-System der Zentralbanken in der Kreide. Falls die Griechen sich nicht im Euro halten könnten, bliebe das EuroSystem wohl auf diesen Forderungen sitzen. „Dann müsste die Bundesbank die Target-Kredite wohl abschreiben“, meint Commerzbank-Ökonom Krämer.
Ein noch viel größeres Risiko stellen die Hilfskredite an Athen dar. Etwa 260 Milliarden Euro, rund 80 Prozent der griechischen Staatsschulden von 320 Milliarden Euro, liegen inzwischen bei öffentlichen Gläubigern. Deutschland hat dazu den Löwenanteil beigesteuert, es hat Garantien und Kreditanteile von etwa 65 Milliarden Euro gegeben. Die Zweifel, ob Griechenland seinen Schuldenberg von 175 Prozent der Wirtschaftsleistung jemals abtragen kann, sind groß.
Gläubiger-Verzicht „Das geht nur mit sehr hohem Wachstum“, sagt der Finanzwissenschaftler Clemens Fuest vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). „Doch ich glaube nicht, dass es der Syriza-Regierung gelingen wird, hohes Wachstum zu erzeugen.“ Kurzfristig könne Griechenland die Schulden tragen, weil die Zinsen subventioniert wurden – im Durchschnitt nur 1,6 Prozent, erklärt Fuest. Aber eine vollständige Rückzahlung hält er für wenig wahrscheinlich. Deshalb glauben viele Ökonomen, dass auf längere Sicht ein weiterer Verzicht der Gläubiger unumgänglich sein wird. Deutschland könne auf 40 bis 50 Milliarden Euro verzichten, findet der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs hält dagegen: „Kein Cent wird erlassen.“ Die jüngsten Nachrichten aus Athen deuten auf eine neue Lücke in Griechenlands Haushalt hin. Finanzminister Giannis Varoufakis hat andeutet, dass es zur Jahresmitte eng wird. Die Steuereinnahmen bleiben seit dem Regierungswechsel hinter den Erwartungen zurück. Bürger halten Zahlungen zurück, weil Syriza Erleichterungen versprochen hat. Zudem ist das Land wohl wieder in die wirtschaftliche Rezession gefallen.
All das deutet darauf hin, dass die Athener Kasse zur Jahresmitte leer sein wird, wenn größere Anleihen und Kredite fällig werden. Dann wird die Debatte über ein drittes Hilfspaket akut. DIW-Chef Fratzscher hält für die nächsten drei Jahre eine Finanzierungslücke in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Euro für realistisch.
Der Autor ist Wirtschaftsredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.