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Wechsel beim Straßburger Gerichtshof

09.11.2015
2023-08-30T12:28:11.7200Z
2 Min

EUROPARAT Kräftig Schützenhilfe erhält Guido Raimondi von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Seit vergangener Woche steht der Italiener an der Spitze des Menschenrechtsgerichtshofs, und vor Beginn dieser dreijährigen Präsidentschaft schlug eine Expertise der Abgeordnetenkammer Alarm: Sage und schreibe 11.000 Urteile der 47 Straßburger Richter harren ihrer Umsetzung durch die nationalen Regierungen. "Unzumutbar", kritisierte der parlamentarische Berichterstatter Klaas de Vries (Holland).

Die 47 Europaratsstaaten endlich auf die Umsetzung der Entscheidungen des Gerichtshofs verpflichten: Mit dieser heiklen Herausforderung sieht sich Raimondi zum Start seiner Amtszeit konfrontiert. Der 62-Jährige löste den Luxemburger Dean Spielmann ab. Der Italiener gehört seit 2010 zu den blau-schwarz gewandeten Robenträgern im Glaspalast an der Ill, wo er seit 2012 Spielmanns Vizepräsident war.

Unter Spielmann gelang es zwar, die massenhaft eingehenden Klagen effizienter zu bearbeiten und so die Überlastung der Europaratsrichter etwas zu entschärfen. Das Dauerproblem, dass sich so manche Regierungen um unangenehme Urteile gern herumdrücken, erbt Raimondi indes von seinem Vorgänger.

In Aserbaidschan bleiben Oppositionelle schon mal im Gefängnis, obwohl Straßburg deren Verurteilung missbilligt hat. In der Türkei werden Bürgerrechtler durch die exzessive Anordnung von Untersuchungshaft eingeschüchtert. In Italien oder auch in Ungarn dauern Prozesse häufig immer noch viel zu lang, woran zahllose Verurteilungen der Regierungen durch die Europaratsrichter nichts geändert haben. Moskau überweist zwar Schadensersatz an Angehörige entführter Tschetschenen, ignoriert aber die Forderung des Gerichtshofs nach Einrichtung einer unabhängigen Instanz, die sich um die Aufklärung der Schicksale von verschwundenen Tschetschenen müht. London weigert sich, entgegen dem Straßburger Verlangen, Häftlingen nicht mehr generell das Wahlrecht abzuerkennen. Deutschland reformierte die Sicherungsverwahrung erst nach langem Streit mit dem Gerichtshof.

Neben Raimondis Kollegium versucht auch das Ministerkomitee des Europarats die Beachtung der Urteile durchzusetzen. Doch der Staatenbund und seine Richter verfügen natürlich über keine Polizei, die sie gegen renitente Regierungen losschicken können.

Dem neuen Chef macht noch ein weiteres Dauerproblem zu schaffen: Die EU ist immer noch nicht der Menschenrechtskonvention des Europarats beigetreten, weswegen Brüsseler Gesetze und Urteile des EU-Gerichtshofs EuGH nicht der Straßburger Rechtsprechung unterliegen. Wäre dies so, könnten Bürgerrechtler etwa gegen die von Brüssel geplante Speicherung von Fluggastdaten vor Raimondis Runde klagen.

Seit Jahren zögert die EU die Unterschrift unter die Straßburger Charta hinaus, zuletzt legte der EuGH ein Veto ein. Schon mehrere Präsidenten des Menschenrechtsgerichtshofs haben sich an dieser harten Nuss die Zähne ausgebissen. Ob Raimondi den Durchbruch schafft?