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Aufgekehrt : Am Ende blieb der Zaun

09.11.2015
2023-08-30T12:28:11.7200Z
2 Min

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Irgendwann danach den Menschen. Das ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass der Mensch dann ein sündhaft teures Immobiliendarlehen aufnahm. Fürs Paradies reichte es zwar nicht mehr, aber im Umland konnte sich der Mensch ein kleines Stück Land kaufen. Dort setzte er dann ein günstiges Massivhaus drauf. Der Mensch sah sich alles an, was er baufinanziert hatte, und befand es für gut. Dann baute er einen hohen Zaun darum. Der lästigen Nachbarn wegen. Einen Flüchtling von nebenan wollte er nicht in seinem Vorgarten wissen.

Gott fand das merkwürdig, hatte aber Geduld mit seiner Schöpfung. Das hatte der Nachbar nicht. Er zog vor den Kadi. Nicht das göttliche, sondern das Amtsgericht sollte klären, ob der Zaun hätte gebaugenehmigt werden müssen. Man grüßte sich nicht mehr über den Zaun, vor anderen Nachbarn sprach man schlecht übereinander. Zwei Schlichtungsgespräche, drei Instanzen, vier Advokaten, sechs Rechtsschutzversicherungen und 12.412 Seiten Schriftsatz später ging der Nachbar K zum Nachbarn A und löste den ersten biblisch erfassten Nachbarschaftsstreit mit einer Keule. Die Nächstenliebe ging, der Zaun blieb.

"Meine größte List", sprach der Teufel zu Anwälten und Grenzschützern, "war nicht, den Menschen glauben zu machen, dass es mich nicht gibt, sondern dass Zäunen zur Einfriedung dienen." Befriedigt waren aber nur jene, die Klarheit darüber wollen, was drinnen und was draußen ist. Gott sah all die Zäune, Mauern, Gräben und ungepflegten Kirschlorbeerhecken, verneinte die Welt, murmelte "drum besser wär's, dass nichts entstünde" und legte sich zum Schlafen hin.  

Sören Christian Reimer