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NSA-Affäre : Der ominöse Erlass

Der Untersuchungsausschuss befasst sich erneut mit dem Drohnenkrieg der USA

06.06.2016
2023-08-30T12:30:02.7200Z
3 Min

Es war ein geradezu bombastisches Dementi, dass der Zeuge gegen Ende seiner einleitenden Worte vorbrachte. "Keiner meiner Referatsmitarbeiter, mich selbst eingeschlossen, keiner meiner Vorgesetzten", so ließ er die Abgeordneten wissen, "hatte irgendeine Kenntnis oder auch gar Einfluss über oder auf militärische Einsätze von Kampfdrohnen, deren Steuerung oder Modalitäten der Zielauswahl."

Hätte jemand von Dieter Romann etwas anderes vermuten können? Wenn der dramatische Auftritt des Präsidenten der Bundespolizei am Donnerstagabend vor dem NSA-Untersuchungsausschuss eines deutlich machte, so dies: In Kreisen deutscher Sicherheitsbehörden nimmt man sich den seit Jahren durch die Medien geisternden Vorwurf, in den Drohnenkrieg der USA verstrickt zu sein, offenbar zu Herzen.

Vor den Ausschuss geladen war Romann als Autor eines Dokuments, das in dieser Kontroverse neuerdings zunehmende Beachtung gefunden hat. Am 24. November 2010 hatte der heute 54-Jährige, damals Leiter des Referats "Ausländerterrorismus und Ausländerextremismus" im Bundesinnenministerium, einen Erlass unterzeichnet, mit dem er dem Verfassungsschutz ans Herz legte, beim Informationsaustausch mit befreundeten Nachrichtendiensten darauf zu achten, dass übermittelte Daten nicht genutzt werden konnten, um Personen zu lokalisieren.

Das Schriftstück hat im Ausschuss die Vorstellungskraft namentlich der Vertreter von Linken und Grünen beflügelt, seitdem sie in den Unterlagen, die die Bundesregierung zur Verfügung gestellt hatte, darauf gestoßen waren. War das womöglich das Schuldeingeständnis? Die klassische "smoking gun", die "rauchende Pistole", die den Beweis lieferte für die vermutete Verstrickung der Deutschen in einen schmutzigen Krieg der USA?

Drohnenopfer Im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet hatte sich einige Wochen, bevor Romann seinen Erlass ausfertigte, ein Vorfall ereignet, der solchen Spekulationen Vorschub leisten sollte. Im Oktober 2010 wurde der deutsche Staatsbürger Erdogan von einer Rakete getötet, die eine US-Drohne abgefeuert hatte. Der Verfassungsschutz hatte den Mann zuvor wegen radikalislamischer Umtriebe auf dem Radar gehabt. Spiegelte der Erlass jetzt womöglich das Erschrecken im Innenministerium wider über die jähe Erkenntnis, dass man Bünyamin Erdogan selbst ans Messer geliefert hatte, indem man den Amerikanern seine Mobilfunkdaten mitteilte?

Im Untersuchungsausschuss ist in den vergangenen Wochen eine ganze Kolonne von Zeugen aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) aufmarschiert, die allesamt dieser Deutung vehement widersprachen. Der Erlass sei nichts weniger gewesen als eine Zäsur in der Praxis des Informationsaustauschs mit befreundeten Diensten. Im Gegenteil, der Verfassungsschutz habe vor dem Erlass Mobilfunkdaten Verdächtiger herausgegeben, und er habe das im selben Umfang auch nach dem Erlass getan. Nichts habe sich geändert. Es habe sich auch gar nichts ändern müssen, weil die Zuständigen in Deutschland damals wie heute davon ausgehen, dass Mobilfunkdaten allein nicht ausreichen, um eine Person präzise als Drohnenziel zu markieren.

Warum dann aber so ein Erlass? Mitte Mai hatte der Zeuge Wilhelm Dettmer an die erregten Debatten erinnert, die der gewaltsame Tod Erdogans in Deutschland ausgelöst hatte. In den Medien sei der Verdacht laut geworden, deutsche Beamte hätten sich wegen Beihilfe strafbar gemacht. In dieser Lage habe sich der Verfassungsschutz, als wieder einmal eine Bitte aus den USA um Weitergabe von Mobilfunkdaten vorgelegen habe, im Innenministerium rückversichern wollen. Dieses habe mit dem Erlass unter den genannten einschränkenden Bedingungen seine Zustimmung erteilt.

Ein weiterer Zeuge, der BfV-Referatsleiter Henrik Isselburg, hatte am Donnerstag vor Romanns Auftritt noch eine andere Geschichte erzählt. Danach hatte die Anfrage beim Innenministerium mit dem Tod Erdogans überhaupt nichts zu tun: "Der zeitliche Zusammenhang war schlicht ein unglücklicher Zufall." Der eigentliche Anlass sei gewesen, dass der Verfassungsschutz damals abweichend von der bisherigen Praxis nicht Einzelinformationen, sondern erstmals eine ganze Liste mit Pass- und Mobilfunkdaten von 20 Verdächtigen habe übermitteln wollen. Allein dafür habe er um Genehmigung gebeten, sagte Isselburg.

Nach Ansicht Romanns freilich hätte es dessen gar nicht bedurft, hätte nicht doch der Tod Erdogans in der Behörde eine gewisse Verunsicherung hinterlassen. Der Erlass sei denn auch lediglich eine "deklaratorische" Bekräftigung der Rechtslage gewesen.