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MEDIEN : Wie geheim darf es sein?

Linke und Grüne wollen Journalisten vor Strafverfolgung wegen Landesverrats schützen

19.12.2016
2023-08-30T12:30:12.7200Z
4 Min

Für die einen war es ein "Abgrund von Landesverrat", für die anderen ein Glanzstück der Pressefreiheit. Der "Spiegel"-Artikel "Bedingt abwehrbereit" über Mängel bei der Bundeswehr löste 1962 eine Affäre aus, in deren Verlauf Mitarbeiter des Blattes in Untersuchungshaft kamen und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) seinen Hut nehmen musste.

Ganz so gravierend wie die Spiegel-Affäre war die jüngste Affäre um Landesverrat und Pressefreiheit nicht. Aber immerhin führte sie zur Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range und zu Rücktrittsforderungen gegen Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).

Auslöser war diesmal kein Leitmedium, sondern der Internetblog "netzpolitik.org". Der veröffentlichte im Frühjahr 2015 Ausschnitte eines als "VS-vertraulich" eingestuften Berichts des Bundesamtes für Verfassungsschutz über den Aufbau einer neuen Einheit zur Internetüberwachung. Der Präsident des Amtes, Hans-Georg Maaßen, erstattete deswegen Strafanzeige und Range leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Landesverrat gegen den Autor, den Blogbetreiber und gegen Unbekannt ein. Die Reaktionen darauf waren heftig. Von einem "unzulässigen Versuch, zwei kritische Kollegen mundtot zu machen", sprach etwa der damalige Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, Michael Konken. Auch Justizminister Maas ging auf Distanz.

Zusätzliche Brisanz erhielt die Affäre durch eine Erklärung Ranges, das Justizministerium habe ihn aufgefordert, das Ermittlungsverfahren gegen die Blogger einzustellen. Dies wäre eine politische Einflussnahme auf ein Ermittlungsverfahren gewesen, ähnlich wie sie Strauß seinerzeit vorgeworfen worden war - nur mit umgekehrten Vorzeichen.

Allerdings bestritt Maas vehement, dass es eine solche Weisung gegeben habe, und versetzte Range in den Ruhestand. Im August 2015 befragte der Rechtsausschuss des Bundestages Maas und Range dazu. Als ein Jahr später das Protokoll dieser nicht-öffentlichen Sitzung veröffentlicht wurde, und zwar ausgerechnet bei netzpolitik.org, erhielt die Affäre ihre letzte Drehung. Maas sprach von einem Versehen seiner Pressestelle, von der das Protokoll stammte, und entschuldigte sich.

Vergangene Woche nun debattierte der Bundestag über Schlussfolgerungen aus der Affäre. Anlass waren drei Anträge der Opposition. Die Linke (18/5839) fordert, dass Straftatbestände wie Landesverrat nicht mehr auf Personen angewandt werden sollen, die eingestufte Dokumente lediglich veröffentlichen. Zudem sollten Hinweisgeber besser vor straf- oder auch arbeitsrechtlichen Konsequenzen geschützt werden. Die Grünen (18/10036) wollen zum einen Ermittlungen wegen Landesverrats gegen Medien oder ihre Mitarbeiter strengeren Voraussetzungen unterwerfen sowie präziser definieren, was ein Staatsgeheimnis ist. Zum anderen beantragen die Grünen (18/10037), das Weisungsrecht des Bundesjustizministers gegenüber dem Generalbundesanwalt einzuschränken.

Hans-Christian Ströbele (Grüne) begründete die Anträge seiner Fraktion damit, dass für jeden, der über die Veröffentlichung einer Information nachdenke, klar erkennbar sein müsse, was ein Staatsgeheimnis ist und was nicht. Des Weiteren müsse sichergestellt sein, dass die Veröffentlichung eines Staatsgeheimnisses dann nicht strafbar ist, wenn das öffentliche Interesse das staatliche Geheimhaltungsinteresse übertrifft. Als Beispiel nannte er Grundrechtsverletzungen oder schwere Verbrechen, die durch die Veröffentlichung aufgedeckt werden können. Die Pressefreiheit sei "als Vierte Gewalt im Staate unverzichtbar. Die Demokratie lebt davon", schloss Ströbele.

Einen Bogen von der Türkei, in der 347 Medienleute unter dem Vorwurf des Landesverrats oder der Unterstützung des Terrorismus im Gefängnis säßen, zur Netzpolitik-Affäre zog Harald Petzold (Linke). Es sei "schon ein Skandal, dass auch bei uns Journalistinnen und Journalisten Gefahr laufen, des Landesverrats angeklagt zu werden, wenn sie über Dinge berichten, die der Regierung oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht passen". Die Öffentlichkeit habe ein Recht darauf zu erfahren, "was das Bundesamt für Verfassungsschutz vorhat, um alle Lebensbereiche der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes auszuspähen", sagte Petzold.

Patrick Sensburg (CDU) nannte den zur Debatte stehenden Antrag der Linken einen "Rundumschlag gegen die Sicherheitsbehörden". Es sei richtig gewesen, nach der Veröffentlichung in Netzpolitik.org zu ermitteln, sagte Sensburg, "sonst würden wir die Integrität des Staates gar nicht mehr ernst nehmen, wenn alles, was eingestuft ist, einfach nach draußen gelangen kann". Es gebe eine "dezidierte Rechtsprechung", die sehr gut zwischen Geheimhaltungsinteresse einerseits und Veröffentlichungsinteresse andererseits abwäge, betonte Sensburg. Der Generalbundesanwalt wäre wohl zu dem Ergebnis gekommen, dass kein Straftatbestand vorliegt, wenn er "nicht eingebremst" worden wäre.

Etwas anders bewertete Johannes Fechner (SPD) den Fall. Die Pressefreiheit sei eines der wichtigsten Verfassungsgüter, und deshalb dürfe "gar nicht der Eindruck entstehen, eine Behörde übe Druck auf sie aus". Die Anträge der Opposition seien ihm aber zu unbestimmt. Fechners Fraktionskollege Matthias Bartke erinnerte daran, dass der letzte vergleichbare Fall mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliege, und folgerte: "Dringender Handlungsbedarf sieht anders aus."