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Cum-Ex-Geschäfte : Das Prinzip Goldesel

Jahrelang nutzten Banken eine Rechtslücke aus und ließen sich Steuern doppelt erstatten

22.02.2016
2023-08-30T12:29:55.7200Z
6 Min

Die deutschen Finanzbehörden haben Banken, gewieften Steuerexperten und deren reiche Kunden offenbar über Jahre hinweg zu enormen Gewinnen verholfen. Der sprichwörtliche Dschungel der Steuerregelungen treibt manchmal so seltsame Blüten, dass die weit verbreitete Praxis des "Steueroptimierens" dagegen regelrecht blass wirkt. Etwas Licht in diesen Dschungel wollen jetzt die Fraktionen von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bringen: Vor dem Hintergrund eines möglichen Steuerbetrugs in Milliardenhöhe durch komplizierte Aktiendeals und entsprechender Ermittlungen durch Finanzverwaltungen und Staatsanwaltschaften hat die Opposition die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragt. Der Bundestag beschloss am vergangenen Freitag die Einsetzung des neuen Ausschusses. .

Die rechtlich fragwürdigen Deals, bei denen zuvor nicht gezahlte Steuern erstattet wurden, sind äußerst kompliziert und in der Finanzwelt unter dem Begriff Cum-Ex-Geschäfte bekannt. Zur Aufarbeitung dieser im Jahr 2012 beendeten Geschäfte hatten beide Fraktionen bereits Anfang vergangenen Jahres die Einsetzung eines Sonderermittlers beantragt, was von den Regierungsfraktionen aber abgelehnt wurde. Der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick warf der Koalition daraufhin vor, sie wolle "die Unfähigkeit des Staates, den Betrug zu verhindern, nicht aufarbeiten".

Nach Darstellung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sind dem Fiskus durch solche Geschäfte im Zeitraum von zehn Jahren etwa zwölf Milliarden Euro verloren gegangen. Von diesen Geschäften hätten hauptsächlich sehr reiche Einzelpersonen und große Banken profitiert. Insbesondere eine politische Aufarbeitung dieses Sachverhalts sei bislang nicht erfolgt.

Schaden ungeklärt Nach Ablehnung des Antrags zur Einsetzung eines Sonderermittlers beantragten die Oppositionsfraktionen im November 2015 die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durch den Bundestag, der die Praxis der Cum-Ex-Geschäfte aufklären soll (18/6839). Der Ausschuss soll dem Antrag zufolge aus acht Mitgliedern und entsprechend vielen Stellvertretern bestehen. Der Ausschuss soll unter anderem aufklären, wie es dazu kommen konnte, dass diese Geschäfte über zehn Jahre nicht unterbunden worden seien und wie hoch der entstandene Schaden genau ist. Ermittelt werden soll zudem, wer dafür verantwortlich ist, dass diese Geschäfte nicht rechtzeitig unterbunden worden sind und ob es Einflussnahme mit dem Ziel gab, diese Geschäfte nicht oder nicht vollständig abzuschaffen. Beleuchtet werden soll außerdem die Rolle der Banken des öffentlichen Sektors.

Die Linke hatte die ungerechtfertigte Erstattung von Kapitalertragsteuer bereits im Mai 2013 zum Thema einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung gemacht. In der Antwort heißt es unter anderem, dass die Cum-Ex-Geschäfte verdeckt praktiziert worden seien und der fiskalische Gesamtschaden und die Gesamtanzahl solcher Geschäfte nicht bezifferbar seien. Kurz gefasst geht es bei dem Cum-Ex-Modell darum, durch den kurz hintereinander erfolgenden (Leer-)Verkauf und außerbörslichen Aufkauf von Aktien kurz vor und nach dem Dividendenstichtag eine doppelte Erstattung von Kapitalertragsteuer zu erzielen.

In dem Antrag der Fraktionen heißt es dazu zusammenfassend, dass bei den "Cum-Ex-Geschäften" mittels Leerverkäufen eine Situation herbeigeführt worden sei, in der eine Aktie rechtlich gesehen für eine kurze Zeit scheinbar mehrere Eigentümer hatte. Der Zeitraum sei dabei so gewählt worden, dass in ihn die Auszahlung der Dividende fiel. Das habe dazu geführt, dass für eine nur einmal an die Finanzbehörden abgeführte Kapitalertragsteuer mehrere Steuerbescheinigungen ausgestellt worden seien. Die Kapitalertragsteuer sei dadurch mehrfach auf die Steuern der verschiedenen Eigentümer angerechnet worden, was zu mehrfachen Entlastungen an anderer Stelle geführt habe, obwohl es die entsprechende Belastung nur einmal gegeben habe.

Im Einzelnen läuft so ein Geschäft folgendermaßen ab: Der Leerverkäufer verkauft am Dividendenstichtag Aktien (die er noch nicht besitzt). Dabei geht er die börsenübliche Verpflichtung ein, die verkauften Aktien innerhalb von zwei Tagen nach Geschäftsabschluss an seinen Vertragspartner zu liefern. Er beschafft sich die Aktien von einem Dritten zu einem späteren Zeitpunkt, jedoch vor Ablauf der Lieferfrist an den (Leer-)Käufer. Der Erwerb erfolgt im außerbörslichen Handel, in dem die standardisierte Lieferfrist von zwei Tagen nicht gilt. Die dritte Partei ist zum Zeitpunkt des Dividendentermins noch dividendenberechtigt, da die Veräußerung an den Leerverkäufer erst nach dem Dividendentermin außerbörslich erfolgte, erhält die Dividende ausbezahlt und bekommt für die auf sie entfallende Kapitalertragsteuer eine Steuerbescheinigung. Der Leerverkäufer erhält somit von der dritten Partei Aktien "ex Dividende", also ohne Dividende. Mit diesen Aktien kann er seine Lieferverpflichtung "cum Dividende", also mit Dividende, aufgrund des Geschäftsabschlusses am Dividendenstichtag nicht erfüllen. Deshalb wird bei der Lieferung der Aktien nach dem Dividendenstichtag und damit "ex Dividende" im Depot des (Leer-)Käufers die Kompensation der Dividendenzahlungen durch die Geschäftsabwicklungsgesellschaft Clearstream in Gang gesetzt.

Clearstream belastet das Kreditinstitut des Leerverkäufers mit dem der Nettodividende entsprechenden Betrag und schreibt dem Kreditinstitut des (Leer-)Käufers diesen Betrag gut. Außerdem erteilt das Kreditinstitut des (Leer-)Käufers eine Steuerbescheinigung. Der (Leer-)Käufer wird im Ergebnis wirtschaftlich so gestellt, wie es aufgrund des Geschäftsabschlusses vor dem Dividendenstichtag vorgesehen ist. Der Geschäftsabschluss mit dem Leerverkäufer hatte Aktien "cum Dividende" zum Gegenstand, erfüllt wurde mit Aktien "ex Dividende" und mit einer Kompensationszahlung als Ausgleich für die entgangene Dividendenzahlung. Außerdem erhält der (Leer-)Käufer die Steuerbescheinigung. Auf diese Kompensationszahlung, die in Höhe der Nettodividende geleistet wird, wurde aber durch die ausschüttende Aktiengesellschaft keine Kapitalertragsteuer abgeführt. Sie wurde nur auf die originäre Dividende abgeführt, die die dritte Partei erhalten hat, welche die Aktien an den Leerverkäufer geliefert hat. Die Depotbank des (Leer-)Käufers stellt eine Steuerbescheinigung auf diese Kompensationszahlung aus. Der (Leer-)Käufer strebt dann über die Steuerbescheinigung eine Anrechnung auf die Einkommens- oder Körperschaftsteuer an. Sofern keine Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerschuld besteht, wird die bescheinigte Kapitalertragsteuer an den (Leer-)Käufer erstattet. Im Ergebnis wird somit eine Steuer angerechnet oder erstattet, die tatsächlich nicht gezahlt wurde. (siehe auch Grafik oben)

Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, dass dies den Initiatoren dieser Geschäfte von vornherein klar war und der erstrebte wirtschaftliche Vorteil in der unberechtigten Erstattung der Kapitalertragsteuer bestehe. Die Möglichkeit, sich durch derartige Geschäfte unberechtigterweise nicht gezahlte Kapitalertragsteuer erstatten zu lassen, wurde mit Wirkung ab 2012 gesetzlich unterbunden.

Aus Sicht der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke sind diese Geschäfte ein "Skandal", denn das Geld der Steuerzahler sei nicht für öffentliche Leistungen verwendet, sondern ohne Gegenleistung an Millionäre überwiesen worden. Zwar seien die Gesetzeslücken inzwischen gestopft, das "Hase-und-Igel-Spiel am Finanzmarkt" gehe aber mit anderen Formen von Dividendenstripping unverändert weiter.

»Größter Steuerskandal« Für den finanzpolitischen Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Gerhard Schick, handelt es sich bei der inzwischen untersagten Praxis um den wohl größten Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Tür des Finanzamts habe praktisch offen gestanden, und Betrüger hätten zehn Jahre lang ein- und ausgehen können, sagte er. Schick verglich die Praxis mit einer Familie, in der Mutter und Vater beide jeweils Kindergeld für ein- und dasselbe Kind beantragen und auch erhalten. Das gehe beim Kindergeld natürlich nicht, die Finanzdealer hätten aber nach diesem Prinzip vorgehen können. Dabei seien Aktien so hin und her verschoben worden, dass scheinbar zweimal Steuer gezahlt wurde, obwohl dies nur einmal der Fall gewesen sei. Die Finanzämter hätten daher auch zwei Mal Steuern zurückerstattet. Bei Sozialbetrug werde immer sofort nach Konsequenzen gerufen, um solchen Betrug für die Zukunft zu unterbinden, sagte Schick. Bei den Cum-Ex-Geschäften gebe es bisher aber keine politische Aufarbeitung, und es seien keine Konsequenzen gezogen worden.

Zuletzt waren diese Geschäfte Anfang Februar wieder in den Blickpunkt gerückt, als die deutsche Tochter der kanadischen Maple Bank durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geschlossen wurde. Laut "Süddeutsche Zeitung" soll die Bank mit Geschäftspartnern den deutschen Fiskus mit solchen Deals um 450 Millionen Euro betrogen haben. Der Schritt gelte als Warnung an andere Banken und Fonds, die es beim Handel von Aktien mit und ohne Dividende darauf anlegen, sich eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrmals erstatten zu lassen, so die Zeitung. Zur Rückzahlung sei die Maple Bank nicht in der Lage gewesen, deshalb habe die BaFin die Schließung der Bank angeordnet. An der Plünderung der deutschen Staatskasse haben sich dem Bericht zufolge über 100 Banken und Fonds aus vielen Ländern beteiligt. Die Behörden verdächtigten zahlreiche Institute aus Deutschland, der Schweiz, Großbritannien, den USA und anderen Staaten, solche Deals betrieben zu haben. Die Hypo-Vereinsbank habe bereits ein Geständnis abgelegt. Zwei Landesbanken, die LBBW in Baden-Württemberg und die HSH Nordbank, hätten dem Fiskus je mehr als 100 Millionen Euro erstattet.

Nach einem "Spiegel"-Bericht vom September 2014 hatte das Bundesfinanzministerium die doppelte Kapitalertragsausschüttung lange toleriert. Der Wind habe sich erst gedreht, als der Bund Anfang 2012 eine EU-Richtlinie umsetzte, die auch mit den problematischen Cum-Ex-Geschäften Schluss machte. Danach habe das Ministerium damit begonnen, die zu Unrecht erstatteten Kapitalertragsteuern zurückzufordern.