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NSU-Ausschuss : Dimension des Verbrechens war nicht sofort ersichtlich

Brandermittler Lenk schildert detailliert die intensive Spurensuche im zerstörten Zwickauer Haus der Terrorgruppe

22.02.2016
2023-08-30T12:29:56.7200Z
3 Min

Da kann doch kein noch so winziges Detail unerwähnt geblieben sein - mochte man meinen, als Kriminalhauptmeister Frank Lenk nach annähernd zwei Stunden seinen Fotovortrag beendete, der eine Zeugenaussage war: Vernehmung durch den 3. Untersuchungsausschuss des Bundestags, der unter "Terrorgruppe NSU II" firmiert. In Zwickau, in der Frühlingsstraße 26, hatten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gewohnt. Am 4. November 2011 zerstörte eine Explosion die Wohnung. Zschäpe soll sie herbeigeführt haben - so der Vorwurf, um den es unter anderem im Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht geht.

Präzise Angaben Brandermittler Lenk wuselte sich in den Tagen danach durch den Tatort: Wo welche Waffe entdeckt wurde, beschrieb er präzise den Ausschussmitgliedern, wo Munition lag, wo Handschellen. Er fand auch einen Benzinkanister am Wohnungseingang. Und doch prasselten nach seinem Bericht die Fragen auf ihn ein. Ob die Brandstelle auch nur einen Augenblick unbewacht gewesen sei? Nein, versicherte er. Schließlich die Klartext-Frage: Kann es sein, dass Waffen nachträglich platziert wurden? Lenk beharrte darauf: "Die Waffen waren in der Wohnung." Und im Brandschutt. Keiner habe die Möglichkeit gehabt, den Ermittlern etwas unterzujubeln.

Klärung "noch offener Fragen" lautet der Auftrag des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses. Die Rolle von Informanten wird erneut zur Sprache kommen: Wirklich nichts vom NSU gewusst? Handelte es sich bei dem "Nationalsozialistischen Untergrund" nur um ein Trio oder gab es ein Netzwerk? Mögliches Versagen von Sicherheitsbehörden soll aufgedeckt werden, um Lehren daraus zu ziehen.

Lenk war der erste Zeuge, den der Ausschuss vernahm. Das penible Nachbohren nach seinem prallen Vortrag kam offenkundig selbst manchem Fragesteller übertrieben vor. Jedenfalls klang es fast wie eine Entschuldigung, als es unisono damit begründet wurde, dass es doch auch darauf ankomme, Verschwörungstheorien entgegenzutreten. Sie halten sich munter in Internetforen.

Viele Fragen also an Lenk. So versicherte er, dass das Haus "besenrein" gewesen sei, bevor es bei der Suche nach möglichen Verstecken in Hohlräumen abgerissen wurde. Sollte heißen: Da ist keine Spur mehr unentdeckt geblieben. Der zweite Zeuge, Kriminaldirektor Thomas Werle vom Bundeskriminalamt (BKA), versicherte, dass die "Ermittlungen von allen Seiten mit großer Vehemenz und sehr engagiert" geführt worden seien. Seine Behörde hatte nach einer Woche die Ermittlungen übernommen, nachdem erkannt wurde, um "was für eine Dimension" es gehe: Mordserie, Bezug zum Rechtsextremismus. Schritt für Schritt wurde das Ausmaß deutlich, wie Lenk mit der Vorführung eines Teils von insgesamt 1.088 Ermittlungsfotos darlegte. Zunächst habe er gedacht, das sei "eigentlich ein ganz normaler Brand" - entstanden durch ein Benzin-Luft-Gemisch.

Brisanter Tipp Gegen Mitternacht kam aber dann von einem Anwohner ein brisanter Hinweis: Noch am Vortag habe vor dem Haus ein Wohnmobil geparkt - just jenes, das Stunden vor der Zwickauer Explosion in Eisenach ausgebrannt war - Mundlos und Böhnhardt hatten so Selbstmord begangen, wie sich später herausstellte. Nun beschlagnahmte Lenk das Gebäude, weil die Sicherheit von Spuren hohe Priorität bekam. Nachdem die stark beschädigte Wohnung abgestützt worden war, begann am anderen Tag die Untersuchung. Dabei wurden Handschellen gefunden, deren Kennung auf die Polizistin Michèle Kiesewetter hinwies, ermordet am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn. Dass es indes "nicht nur um einen Polizistenmord" ging, wurde Lenk klar, als ihm ein Schnellhefter mit Prospekthüllen ins Auge fiel, in denen Zeitungsartikel steckten - durchnummeriert von eins bis neun: "Das waren die Morde eins bis neun." Elf Waffen wurden gefunden, darunter die Pistole vom Typ Ceska, mit der zwischen 2000 und 2006 in sechs deutschen Städten neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen worden waren. Schließlich stieß die Polizei auf über 30 DVD. Auf deren Hüllen wurde sie erstmals mit dem Kürzel "NSU" konfrontiert. Die Tatwaffe, die DVD, auf denen die Taten mit der Trickfilmfigur Paulchen Panther verherrlicht wurden: Da wurde der Generalbundesanwalt eingeschaltet, übernahm das BKA die Federführung bei den Ermittlungen. Insgesamt waren es zuletzt 1.800 Spuren, die von der Zwickauer Polizei gesammelt wurden, 400 kamen durch die Arbeit des BKA hinzu - etwa durch DNA-Analysen. Zu den Spuren zählen Turnschuhe und Masken, Ausweise, Pässe und Führerscheine - unter anderem auf dem Namen Zschäpe -, teils angekokelte, teils unversehrte Geldscheinbündel, Sparkassenbanderolen von Überfällen. Vier Überwachungskameras sicherten die Wohnung, Sensoren waren an Türen montiert. Ausgebreitet waren die Asservate in einer Garage der Polizei, die Platz für vier Autobusse bot.