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Peter Pomerantsev: Nichts ist wahr und alles ist möglich
Aschot Manutscharjan
Kurz rezensiert

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015; 304 S., 21,99 €

Das legendäre Radio Eriwan lässt grüßen: "Warum gibt es in Russland noch 'liberale' Zeitungen und Fernsehsender?" Peter Pomerantsevs lapidare Antwort lautet: "Weil die Strippenzieher eine scharfe Waffe brauchen, um andere Strippenzieher auszuschalten." Immer wenn sich Kommunisten und selbsternannte "Patrioten" in den russischen Talkshows gegenseitig an die Gurgel gingen, bleibe beim Zuschauer das Gefühl zurück, Präsident Putin sei im Vergleich zu dieser "Mischpoke" der einzige zurechnungsfähige Politiker, meint Pomerantsev in seinem brillant geschriebenen Buch.

Der Autor wuchs in London auf nachdem seine Eltern als Dissidenten in den 1970er Jahren aus der Sowjetunion geflohen waren. 2006 kehrte Pomerantsev nach Moskau zurück, arbeitete zunächst als Assistent, dann als Produzent und Autor für verschiedene Fernsehsender. Hautnah erlebte er, wie die Mechanismen der Staatspropaganda funktionieren. Detailliert beschreibt er, wie der "Chefideologe von ganz Russland", Wladimir Surkow, einmal wöchentlich die Leiter der Fernsehsender in sein Büro im Kreml bestellte, um ihnen die Richtlinien für die nächste Woche zu diktieren, wer der aktuelle Feind sei und wie man Putin als "Präsidenten der Stabilität" in den Köpfen der Zuschauer verankern solle.

Zu Surkows "Geniestreichen" zählt Pomerantsev eine neue Variante des Autoritarismus: Die Opposition wird nicht einfach unterdrückt, vielmehr darf sie sich innerhalb der vorhandenen Ideologien und Bewegungen entwickeln, um am Ende ad absurdum geführt zu werden. So dominiere der Kreml alle Formen des politischen Diskurses, um keine unabhängige Bewegung außerhalb seiner Mauern entstehen zu lassen. Sein Einfluss erstrecke sich sogar auf die Moskauer Hipster, das Medienhaus SNOB, welches das Image der westlich orientierten "globalen Russen" fördere. Investigative Journalisten, die untersuchen, wie Steuergelder unterschlagen werden, konnte Peter Pomerantsev hingegen nirgends ent- decken.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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