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UN : Grenzen des globalen Helfens

Experten fordern mehr Geld und Flexibilität für Hilfswerke

22.02.2016
2023-08-30T12:29:56.7200Z
4 Min

Zehn Milliarden Euro sollen bereitstehen, um syrischen Flüchtlingen im Nahen Osten zu helfen - darauf haben sich rund 60 Staaten und Organisationen Anfang Februar in London geeinigt. Mehr als die Hälfte davon sollen bereits in diesem Jahr fließen, Deutschland ist mit mehr als zwei Milliarden Euro bis 2018 neben Großbritannien und Frankreich einer der größten Geber. Der Grund für die Spendenbereitschaft liegt auf der Hand: Nicht noch einmal soll sich das Szenario des Jahres 2015 wiederholen, als das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und das Welternährungsprogramms (WFP) die Lebensmittelrationen für Millionen syrischer und irakischer Flüchtlinge in Jordanien, im Libanon, in der Türkei, in Syrien und im Irak wegen chronischer Unterfinanzierung zusammenstreichen mussten. Nicht wenige Beobachter sehen genau darin den sprichwörtlichen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte - und Hunderttausende in den Flüchtlingslagern veranlasste, sich auf den Weg nach Europa zu machen.

Stößt das globale humanitäre System angesichts der weltweit steigenden Zahl von Flüchtlingen an seine Grenzen? In einem öffentlichen Expertengespräch des Menschenrechtsausschusses kamen die Sachverständigen zu dem Schluss, dass UN-Hilfswerke und Hilfsorganisationen in Zukunft deutlich flexibler reagieren müssten und sich eher auf mehr als weniger Krisen und Konflikte mit globalen Auswirkungen einzustellen hätten: Eine Annahme, die auch dem ersten "Weltgipfel für humanitäre Hilfe" zugrunde liegen dürfte, der in diesem Jahr im Mai erstmals in Istanbul tagt.

Johan Cels vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sprach angesichts von weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht von einem "historischen Moment". Beim humanitären Weltgipfel müsse es um eine bessere Lastenverteilung innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft gehen - aber auch um langfristige Lösungen für den Umgang mit wachsenden Flüchtlingszahlen. "Es gibt im Augenblick keine gute Verzahnung von Flüchtlingshilfe und Entwicklungszusammenarbeit", sagte Cels. Er regte an, den UN-Hilfswerken mehr Gelder zur Verfügung zu stellen, die nicht zweckgebunden sind - und die Organisationen im Gegenzug zu mehr Transparenz und Rechenschaft zu verpflichten.

Robert E. Smith vom Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) des UN-Sekretariats sagte, dass die Probleme nicht nur durch mehr Geld, sondern auch durch besseren Ressourceneinsatz lösbar seien. Als Beispiele nannte er unter anderem mehrjährige Mittelausstattung, die Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren, höhere Effizienz bei Hilfsorganisationen und die Einbindung neuer Geber etwa aus der Wirtschaft. Für Lucio Melandri vom Kinderhilfswerk UNICEF steht die Finanzierung des globalen humanitären Systems "am Scheidepunkt": Lange sei strikt unterschieden worden zwischen akuter humanitärer Nothilfe und langfristiger Entwicklungshilfe. "Wir brauchen heute eine Verzahnung beider Bereiche und wir brauchen langfristige Finanzierung", sagte Melandri. Ralf Südhoff vom UN-Welternährungsprogramm (WFP) bezeichnete das UN-Hilfssystem als "latent überfordert". Auch er forderte eine bessere Integration von Not- und Entwicklungshilfen. Bei einem Großteil der Krisen würde es sich nicht um akut Betroffene einer Naturkatastrophe handeln, sondern um Flüchtlinge die oftmals auf Jahre oder gar auf Jahrzehnte vertrieben seien. Ein Schlüssel seien etwa "Cash-for-Work"-Programme, bei denen Flüchtlinge in Arbeit gebracht würden, um ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können.

Christoph Wagner (Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission, ECHO) betonte hingegen, dass es sich bei Not- und Entwicklungshilfen um Instrumente mit unterschiedlicher Zielsetzung handle: Entwicklungszusammenarbeit sei auf lang anhaltende Wirkung aus, hinter ihr stehe ein politisches Konzept wie etwa gute Regierungsführung. Die bedarfsorientierte Nothilfe sei hingegen nicht-politisch, neutral und unparteiisch. "Es ist also nicht ganz einfach, beides zusammenzuführen", sagte Wagner. Und Christof Johnen vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) warf die Frage auf, ob eine Abkehr von der "prinzipienbasierten humanitären Hilfe" - also die Abkehr von Neutralität und Unparteilichkeit am Ende nicht noch größere Probleme schaffe. Tatsache sei jedoch auch, dass Akteure der humanitären Hilfe heute in Syrien jene Aufgaben übernommen hätten, die einst Akteure der Entwicklungszusammenarbeit wahrgenommen hätten, sagte Johnen und nannte als Beispiel die Aufrechterhaltung der Wasserversorgung in Aleppo. Mehrere Experten unterstrichen außerdem, dass mit Nothilfen den Ursachen von Konflikten nicht beizukommen sei: "Humanitäre Hilfe kann kein Ersatz für politische Lösungen sein", sagte Sabrina Khan von der Hilfsorganisation Islamic Relief mit Blick auf Syrien.

Eine Reihe von Sachverständigen betonte, dass die Diskussion beim humanitären Weltgipfel in Istanbul über die Frage der Finanzierung hinausgehen müsse und sich nicht allein auf die Situation in Syrien konzentrieren dürfe. Auch im Südsudan und in Burundi seien Hundertausende auf der Flucht, nur hätten diese Flüchtlinge Europa nicht erreicht und seien deshalb nicht auf der Agenda, sagte Andrea Hitzemann (Caritas International). "Wir sollten andere schwelende Krisen nicht vergessen." Mathias Mogge (Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen, VENRO) machte sich für frühzeitige, also vorbeugende Hilfen stark: "Dies Investitionen sparen am Ende sehr viel Geld, das wir später nicht in humanitäre Hilfe investieren müssen." Auch Jemilah Mahmood (Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften) forderte mehr Anstrengungen zur Prävention: "Wir müssen besser als bisher die Krisen der Zukunft vorhersehen und uns darauf einstellen."