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NSA-Ausschuss : Erschütterung im Staatsapparat

Die Enthüllungen Snowdens untergruben jedes Vertrauen in das rechtsstaatliche Vorgehen der USA

29.02.2016
2023-08-30T12:29:56.7200Z
5 Min

Es waren Wellen der Verunsicherung, die im Sommer 2013 einige staatstragende Institutionen der Bundesrepublik erschütterten. Beim Bundesnachrichtendienst (BND) kamen Zweifel an den sogenannten Selektoren auf, die die National Security Agency (NSA) in die gemeinsam in Bad Aibling betriebene Abhöranlage eingespeist hatte. Im Kanzleramt sah sich die zuständige Referatsleiterin veranlasst, den BND um Auskunft über die Rechtmäßigkeit seines Tuns zu bitten. Und dem Auswärtigen Amt kam das Vertrauen in den "engsten Verbündeten" USA abhanden. Darüber berichtete vergangene Woche der derzeitige deutsche Botschafter in Indien, Martin Ney, als Zeuge im NSA-Untersuchungsausschuss. Der heute 59-jährige Jurist war seit 2010 stellvertretender Leiter, anschließend zwischen 2012 und Juni 2015 Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes und Völkerrechtsberater der Bundesregierung. In dieser Zeit gingen jährlich 50 bis 100 Anträge auf Genehmigung der privilegierten Tätigkeit amerikanischer Vertragsfirmen der US-Streitkräfte in Deutschland über seinen Schreibtisch.

Vertrauen verloren Laut Nato-Truppenstatut gelten für solche Unternehmen, die Versorgungs- und Betreuungsleistungen, aber auch "analytische" Dienste anbieten, Ausnahmen von handels- und gewerberechtlichen Vorschriften. Für die Dauer ihrer Geschäftstätigkeit in Deutschland sind ihre Mitarbeiter aufenthaltsberechtigt. Im Übrigen bestimmt Artikel 2 des Truppenstatuts, dass sie sich an deutsches Recht zu halten haben. Die Genehmigung erfolgt im sogenannten "Docper-Verfahren" Fall für Fall durch Austausch von Verbalnoten zwischen dem Auswärtigen Amt und der US-Botschaft.

Dabei verfuhr die deutsche Seite lange Zeit nach dem Grundsatz, dass der "engste Verbündete" Vertrauen in die Rechtlichkeit seines Verhaltens verdiene. Die Firmen, auf die sich die Anträge bezogen, wurden nur summarisch überprüft. Es genügte, wenn sie plausibel machten, dass ihr Tätigkeitsprofil dem Bedarf der US-Streitkräfte entsprach. Das änderte sich, als im Sommer 2013 der frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowden die nicht einmal vor dem Lauschangriff auf die Kanzlerin zurückschreckende Schnüffelpraxis seines einstigen Auftraggebers offenlegte. Die Enthüllungen seien im Auswärtigen Amt als "Einschnitt" empfunden worden, berichtete Ney: "Das Vertrauen in die Zusage der Einhaltung deutschen Rechts war doch erschüttert." Als dann Anfang August der US-Geschäftsträger wieder einmal mit einem Bündel von Docper-Anträgen auf der Matte gestanden und versichert habe, alle betroffenen Firmen würden sich selbstverständlich "absolut an deutsches Recht halten", sei die Frage aufgekommen: Können wir so weitermachen wie bisher?

Zügel angezogen So fiel der Entschluss, die Prozedur zu verschärfen. Fortan sollte die Verpflichtung zur Einhaltung deutschen Rechts nicht mehr als gegeben vorausgesetzt, sondern in jeder einzelnen Genehmigung ausdrücklich erwähnt werden. Über die Festlegung im Truppenstatut hinaus sollte die US-Seite zusagen, "alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass deutsches Recht eingehalten wird". Neben dem Auswärtigen Amt sollten sich künftig auch das Kanzleramt sowie das Innen- und das Verteidigungsministerium an der Überprüfung beteiligen. Zudem sollte die im Rahmenabkommen vorgesehene "Beratende Kommission" zur Klärung von Streitfragen "reaktiviert" werden. Die betroffenen Firmen sollten belegen müssen, wie sie sicherstellen wollten, dass ihre Mitarbeiter deutsches Recht beachteten. Auch die bislang geübte Praxis rückwirkender Genehmigungen hatte jetzt ein Ende: "So haben wir im Herbst 2013 die Zügel gegenüber den Amerikanern angezogen."

Konfliktfrei ging das nicht. Die US-Botschaft habe "lange mit uns um Formulierungen gerungen", zunächst offenbar ohne Rücksprache mit Washington. Nach einiger Zeit hätten sich nämlich die Verhandlungspartner mit dem Wunsch nach Änderung der vereinbarten Klauseln gemeldet: "Wir haben gesagt, das geht auf keinen Fall." Die Folge sei "ein ausgesprochen intensiver Dialog" gewesen "bis dahin, dass wir angedroht haben, Mitarbeiter der Firmen des Landes zu verweisen".

Auch Christina Polzin im Kanzleramt hatte im Spätsommer 2013 einen Strauß auszufechten. Die heute 43-jährige Juristin leitete von Juli 2011 bis Dezember 2014 das Referat 601, zuständig unter anderem für Personal und Recht der Geheimdienste. Irritiert nahm sie im Sommer 2013 zur Kenntnis, dass laut Snowden monatlich 500 Millionen sogenannte Metadaten von Telefon- und E-Mail-Verkehren aus Bad Aibling an die NSA abflossen. Sie erkundigte sich beim BND nach der Rechtsgrundlage. Die Antwort lautete, in Bad Aibling werde der satellitengestützte Datenverkehr im Nahen und Mittleren Osten überwacht. Da sich die Satelliten, wo die Daten erfasst werden, im Weltraum befänden, also außerhalb Deutschlands, seien alle Aktivitäten vom Auftrag des BND gedeckt, Informationen im Ausland zu beschaffen. Restriktionen, die sich darüber hinaus aus dem BND-Gesetz ergeben könnten, seien nicht einschlägig. Polzin fand die "Weltraumtheorie" nicht überzeugend. Gegen ihren Vorgesetzten, den Geheimdienstkoordinator Günter Heiß, konnte sie sich indes nicht durchsetzen. Dem Ausschuss erklärte sie nun, sie sei nach wie vor der Meinung, dass das BND-Gesetz eine ausreichende und viel zuverlässigere Rechtsgrundlage geboten hätte. Ermächtige es doch den Geheimdienst, unter bestimmen Voraussetzungen Daten an "öffentliche Stellen" im Ausland zu übermitteln. Dies sei freilich "aktenkundig" zu machen. Zwar habe der Gesetzgeber die kontrollierte Weitergabe einzelner Daten vor Augen gehabt. Doch sei die Vorschrift, jede Übermittlung zu dokumentieren, nicht so streng gefasst, dass sie nicht auch auf einen automatisierten massenhaften Datenabfluss anwendbar wäre. Es genüge, Art, Umfang und Herkunft der Daten sowie den Zweck der Übermittlung festzuhalten. Dazu sei der BND in Bad Aibling in der Lage: "Ich gehe davon aus, dass es Darstellungen gibt, was dort passiert." In den vergangenen Monaten hatte sich der Ausschuss um Unterlagen bemüht, die dies belegen, und von der Bundesregierung Hinweise auf Fundstellen in den Akten erhalten. Dass diese allesamt aus der Zeit nach August 2013 stammen, der Post-Snowden-Ära also, irritierte die Zeugin nicht: Das Gesetz kenne keine unbegrenzte Aufbewahrungspflicht. Im Übrigen entspreche die Art der Dokumentation genau dem, was sie sich vorgestellt habe. Umstritten ist auch der Umgang mit Selektoren - Suchmerkmalen, die bei Abhörmaßnahmen dazu dienen, die erfassten Datenströme auszusieben. Seit April 2015 weiß die Öffentlichkeit, dass die NSA in Bad Aibling fast 40.000 Selektoren eingespeist hatte, die zur Ausspähung europäischer Ziele geeignet waren. Monate später kam ans Licht, dass auch der BND 3.000 ähnlich fragwürdige Suchmerkmale programmiert hatte.

Nach Ansicht der Regierung gehen die BND-Selektoren den Ausschuss nichts an, weil dieser sich mit dem BND nur im Zusammenhang mit der NSA zu befassen habe. Linke und Grüne verlangen daher in einem gemeinsamen Antrag (18/7565), den Untersuchungsauftrag um die Frage zu erweitern, inwieweit auch der BND "Rechtsvorschriften verletzt oder deutsche Interessen gefährdet" hat.