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Abschiebungen : Der Vollzug ist Ländersache

Bei der »Durchsetzung der Ausreisepflicht« setzen die Bundesländer unterschiedliche Akzente

27.03.2017
2023-08-30T12:32:18.7200Z
6 Min

Von der Willkommens- zur Abschiedskultur - die Freie und Hansestadt Hamburg hat diesen Schritt, glaubt man dem Sprecher der Innenbehörde, seit langem erfolgreich bewältigt: "Wir sind natürlich sehr konsequent mit der Rückführung abgelehnter Asylbewerber." So sei Hamburg das erste Bundesland gewesen, das im vorigen Herbst ein Abschiebegewahrsam für "vollziehbar Ausreisepflichtige" am Flughafen Fuhlsbüttel eingerichtet habe.

Einer Hamburger Initiative sei auch zu verdanken, dass Anfang 2016 im Bundespolizeipräsidium in Potsdam die "Organisationseinheit Passersatzpapierbeschaffung" eingerichtet wurde, die sich darum kümmern soll, ausreisepflichtige Ausländer mit Dokumenten auszustatten, um ihre Abschiebung zu ermöglichen. Das Personal der "Rückführungsabteilung" in der Hamburger Ausländerbehörde wurde von zehn auf 30 Mitarbeiter verdreifacht und die Zahl der Ausreisepflichtigen in der Hansestadt im Laufe des Jahres 2016 um mehr als 1.200 verringert.

»Eine Kernfrage« Für Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz (SPD) ist es eine Kernfrage politischer Glaubwürdigkeit, dass der Staat in der Lage ist, abgelehnte Asylbewerber und andere Ausreisepflichtige effektiv außer Landes zu bringen. Andernfalls "werden wir ein großes Problem bekommen. Dann entsteht ein Legitimationsproblem, das man gar nicht überschätzen kann", warnte er im Januar in einem Interview. Unter Flüchtlingen müsse es sich herumsprechen, "dass es nichts bringt, seine Papiere wegzuwerfen".

Damit dürfte der Sozialdemokrat ein Länderchef nach dem Herzen des Bundesinnenministers sein. Das gilt nicht für alle. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) legte sich lautstark quer, als sich am 9. Februar die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin auf einen 15-Punkte-Plan verständigten, um Abschiebungen schneller und effizienter zu gestalten. Die Rede war von zusätzlichen Bundesmitteln, um "Anreize für die freiwillige Ausreise zu setzen", von "Anwendungshinweisen" des Bundes für eine "einheitlichere" Handhabung der gesetzlichen Duldungsregelungen durch die Länder und von einer möglicherweise "ergänzenden Vollzugszuständigkeit" des Bundes "bei der Aufenthaltsbeendigung".

Aus Erfurt ließ dazu Ramelow verlauten, dass ihm die ganze Richtung nicht passte: "Wir sind nicht bereit, Wahlkampfmanöver der Großen Koalition mitzumachen." Viele der beschlossenen Punkte seien nicht umsetzbar und nur geeignet, integrationswillige Migranten zu entmutigen, hieß es weiter aus Thüringen. Das Programm spiele der AfD in die Karten.

Das sieht die Bundesregierung gänzlich anders. "Die Akzeptanz der großzügigen Aufnahme von Schutzbedürftigen kann dauerhaft nur erhalten bleiben, wenn diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind, auch zeitnah in ihre Herkunftsländer zurückkehren", schreibt sie in ihrem Gesetzentwurf "zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht". Er soll innerhalb von anderthalb Jahren zum dritten Mal eine Verschärfung im staatlichen Umgang mit Flüchtlingen herbeiführen nach dem "Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz" vom Oktober 2015 und dem "Asylpaket II", das im März 2016 in Kraft trat (siehe Beitrag unten links).

Der Bund kann indes vieles beschließen. Für die Umsetzung bedarf er zwingend der Mitwirkung der Länder. In der föderalen Ordnung sind die Zuständigkeiten auch im Asylverfahrensrecht auf mehrere Schultern verteilt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) prüft und entscheidet über Asylanträge. Um Unterbringung und Versorgung der Antragsteller haben sich derweil die Länder zu kümmern. Das Bamf spricht bei einem ablehnenden Bescheid eine "Ausreiseaufforderung" aus. Deren Vollzug obliegt wiederum den Ländern, zumeist den zuständigen Ausländerbehörden in Landkreisen und Kommunen.

Streit um Abschiebestopps Dabei steht den Landesregierungen nach Artikel 60a Aufenthaltsgesetz ein begrenzter Ermessensspielraum zu. Sie können "aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen" oder zur Wahrung anderer "politischer Interessen" die Abschiebung von Ausländern "für längstens drei Monate" aussetzen. Nach spätestens sechs Monaten bedarf eine weitere Verlängerung eines solchen Abschiebestopps allerdings der Zustimmung des Bundesinnenministers.

Wie erfolgreich ein Land die "Durchsetzung der Ausreisepflicht" betreibt, bemisst sich nach der Rückführungsquote. Sie beschreibt das Verhältnis der Zahl Ausreisepflichtiger zu der der tatsächlich erfolgten Ausreisen. Dass es dabei bisher erhebliche Unterschiede gab, zeigen Daten, die das Magazin "Focus" im Frühjahr 2016 veröffentlichte. Damals konnte Spitzenreiter Bayern mit einer Rückführungsquote von 39,9 Prozent auftrumpfen, Sachsen mit 35,2 und Thüringen mit 30,5 Prozent. Schlusslichter waren Baden-Württemberg mit 9,8 Prozent, das Saarland mit 5,1 und Bremen mit 4,3 Prozent.

Die Verantwortung liegt nicht ausschließlich bei den Landesbehörden. Es ist kein Zufall, dass das Gros der 2016 zurückgeschickten Ausländer - in Baden-Württemberg nach Auskunft des dortigen Innenministeriums rund 80 Prozent - aus den Ländern des Westbalkans stammt. Diese sind an konstruktiven Beziehungen zur Europäischen Union interessiert und kooperationswillig. Besonders hartleibig gebärden sich dagegen die Maghreb-Staaten. Es ist eine geläufige Klage aus Innenministerien der Länder, dass es kaum möglich sei, Marokko, Algerien oder Tunesien zur Rücknahme eigener Staatsbürger zu bewegen.

Darüber hinaus freilich besteht in Teilen von CDU und CSU der nicht einmal heimliche Verdacht, dass Landesregierungen zumal mit grüner Beteiligung Abschiebungen auch gerne sabotieren. Der CSU-Innenexperte Stephan Mayer forderte daher finanzielle Konsequenzen: "Diese Länder handeln nicht nur rechtswidrig und unsolidarisch gegenüber den gesetzestreuen Ländern", beklagte er etwa im Januar. "Sie nehmen auch noch Kosten für Personen in Kauf, die unser Land eigentlich verlassen müssten. Das können wir aus meiner Sicht bei der Berechnung der Flüchtlingshilfen des Bundes für die Länder nicht unberücksichtigt lassen", fügte Mayer hinzu. Auch Kanzleramtschef und Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier (CDU) mahnte: "Alleingänge von einzelnen Bundesländern bei Abschiebestopps halte ich für falsch."

Gretchenfrage Quelle solchen Unmuts ist die aktuelle Gretchenfrage der deutschen Asylpolitik: Wie hältst du's mit Abschiebungen nach Afghanistan? Sie wurde virulent, als im vorigen Oktober Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ein Rücknahmeabkommen mit der Regierung in Kabul vereinbarte, woraufhin bislang drei Sammeltransporte an den Hindukusch stattfanden. Nicht nur Pro-Asyl-Aktivisten empörten sich. Mitte Februar verhängte Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt (SPD) einen gemäß Artikel 62a Aufenthaltsgesetz zunächst auf drei Monate befristeten Abschiebestopp für Afghanen. Wegen der "teils unklaren Sicherheitslage" sei dies aus "humanitären Gründen" geboten. Ausgenommen sind Schwerkriminelle und Gefährder.

Schleswig-Holstein ist bisher das einzige Land, das Artikel 62a aktiviert hat, indes: "Andere tun im Ergebnis dasselbe", heißt es aus Kiel. So beruft sich Rheinland-Pfalz auf eine seit vier Jahren geübte Praxis, lediglich Straf- und Gewalttäter nach Afghanistan zu schicken. In Nordrhein-Westfalen sind es Kriminelle, Gefährder und junge Männer ohne erkennbare Integrationsneigung, die abgeschoben werden können. Allerdings seien 2016 auch mehr als 400 Afghanen freiwillig zurückgekehrt. Nicht anders verfahren Thüringen und Berlin: Einzelfallprüfungen anstelle eines generellen Abschiebestopps. Ähnlich Niedersachsen: "Da, wo es Anzeichen dafür gibt, dass das gefahrlos möglich ist, machen wir das", sagt Landesinnenminister Boris Pistorius (SPD) zum Thema Abschiebungen nach Afghanistan.

"Rückführungsmanagement" lautet mittlerweile der Fachbegriff für ein komplexes Unterfangen. Es geht darum, Asylbewerber mit prekärer Bleibeperspektive frühzeitig anzusprechen, möglichst schon in der Erstaufnahmeeinrichtung, und Ihnen mit dem Hinweis auf Angebote finanzieller Unterstützung die baldige freiwillige Heimreise schmackhaft zu machen. Dabei ergänzen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bestehende bundesweite Förderprogamme mit eigenen Mitteln, was sich die Regierung in Mainz im vorigen Jahr 2,6 Millionen Euro kosten ließ. Für 2017 sind rund drei Millionen veranschlagt.

Die freiwillige Ausreise gilt als der humane, effiziente und kostengünstige Königsweg des Rückführungsmanagements. In Berlin steht sie neuerdings im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag: "An die Stelle einer reinen Abschiebepolitik soll die Förderung einer unterstützten Rückkehr treten." Im vorigen Jahr kamen in der Hauptstadt auf eine Abschiebung 4,5 freiwillige Ausreisen.

Insgesamt haben die meisten Länder ihre Anstrengungen erheblich verstärkt. Zwischen 2015 und 2016 verzeichnete etwa Niedersachsen einen Zuwachs der Zahl freiwilliger wie unfreiwilliger Ausreisen um 99,8 Prozent, Sachsen um 95,8 Prozent, Thüringen immerhin um 65,3 Prozent. In Berlin stieg im selben Zeitraum allein die Zahl der Abschiebungen um das Anderthalbfache, genau gesagt um 151,6 Prozent.

Mittlerweile ist auch das Rückführungsmanagement ein Gegenstand des föderalen Wettbewerbs. Nicht nur Hamburg sieht sich als vorbildlich. In Düsseldorf wird darauf hingewiesen, dass NRW seit Jahren die weitaus höchsten Zahlen freiwilliger wie unfreiwilliger Ausreisen aufzuweisen hat: "Wir sind das Musterland." Rheinland-Pfalz macht geltend, bereits 2005 mit eigenen Mitteln die "Landesinitiative Rückkehr" gestartet zu haben, während das Saarland die dort seit langem bestehende zentrale Organisation der Rückführung als modellhaft lobt.